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„Wir können einen gesellschaftlichen Beitrag leisten“

Campus.leben-Serie „Wissenschaft und Open Access“: Informatikprofessorin Claudia Müller-Birn im Interview

23.05.2018

Open Science gründe auf den Prinzipien der guten wissenschaftlichen Praxis, sagt Informatikprofessorin Claudia Müller-Birn. Dies Studierenden zu vermitteln, sei ein Auftrag für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Open Science gründe auf den Prinzipien der guten wissenschaftlichen Praxis, sagt Informatikprofessorin Claudia Müller-Birn. Dies Studierenden zu vermitteln, sei ein Auftrag für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
Bildquelle: istockphoto/fotostorm

Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Freien Universität veröffentlichen bereits nach dem Open-Access-Prinzip – Informatikprofessorin Claudia Müller-Birn ist eine von ihnen. Sie sagt: „Das Thema Open Access ist ein wesentlicher Baustein, um Offene Wissenschaft (Open Science) zu realisieren. Die Verabschiedung der Open-Access-Strategie des Präsidiums der Freien Universität Berlin ist ein zentraler Schritt hin zu Offener Wissenschaft. Die Freie Universität Berlin kann hier in der Zukunft eine Vorreiterrolle einnehmen, aber nur dann, wenn sie nicht stehenbleibt und weiter an der Vision einer Offenen Wissenschaft arbeitet.“ In campus.leben erläutert Claudia Müller-Birn, warum ihrer Ansicht nach Open Science das Ziel sein muss und welche Verantwortung Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihrer Generation für die Ausbildung von Studierenden haben.

Frau Professorin Müller-Birn, warum setzen Sie sich nicht nur für Open Access, sondern für Offene Wissenschaft ein?

Der Ruf nach einer offenen Wissenschaft ist einerseits entstanden durch Replizierbarkeitskrisen in Disziplinen wie der Psychologie, aber auch durch eine „Vertrauenskrise der Wissenschaft” d.h. einer zunehmenden Entfremdung der Universitäten von der Öffentlichkeit. Somit müssen wir als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einerseits nach innen in unsere Fächerkulturen wirken, aber auch über unsere Disziplin hinaus aktiv tätig werden.

Informatikprofessorin Claudia Müller-Birn tritt für Offene Wissenschaft ein.

Informatikprofessorin Claudia Müller-Birn tritt für Offene Wissenschaft ein.
Bildquelle: Frank Wolffing-Seelig

Innerhalb meiner Disziplin ist offenes Arbeiten grundsätzlich nichts Ungewöhnliches. Deshalb erläutere ich meinen Wunsch nach Offener Wissenschaft aus meiner Fachperspektive heraus: In der Informatik ist es beispielsweise üblich, die im Rahmen der Forschung entwickelte Software unter einer Open-Source-Lizenz zur Verfügung zu stellen und Forschungsartikel über die persönliche Webseite oder über Netzwerke wie ResearchGate zu teilen. Zunehmend werden aber auch Forschungsdaten und ganze Code-Books vor allem über Github oder Zenodo – das sind Online-Speicherdienste – geteilt. Damit wird die Reproduzierbarkeit von Forschungsergebnissen zunehmend vereinfacht.

Durch den vielfach benannten digitalen Wandel sind viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Informatik den Folgen und Auswirkungen der von uns entwickelten Technologien auf unsere Gesellschaft gewahr und auch bestrebt, in einen Diskurs zu kommen. Als einen ersten Schritt in diese Richtung habe ich beispielsweise im vergangenen Semester die Ringvorlesung „Open Technology for an Open Society“ organsiert. Wir können und sollten unsere Forschung nicht losgelöst von der Gesellschaft vorantreiben, sondern in den Dialog treten und über unsere Forschungsarbeit aufklären.

Was hat sich durch Open Science ganz konkret in Ihrem Forschungsalltag als Informatikprofessorin verändert?

Ich bin in den vergangenen Jahren sensibler für die Entwicklungen innerhalb und außerhalb der Universität geworden und setze mich zunehmend aktiv für einen Veränderungsprozess hin zu einer Offenen Wissenschaft ein. Unter anderem unterstütze ich Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler auf ihrem Weg zu einer Offenen Wissenschaftspraxis in dem Fellow-Programm „Freies Wissen“ von Wikimedia Deutschland, dem Stifterverband und der VolkswagenStiftung, mit dem die Freie Universität nun auch wissenschaftlich kooperiert. Daneben versuche ich aktiv, meine Wissenschaftskommunikation zu verbessern und meine Doktoranden in ihren Bestrebungen zu einer Offenen Wissenschaft zu unterstützen.

Ich sehe aber vor allem die etablierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als Wegbereiter für eine Offene Wissenschaft, denn wir befinden uns in einer Phase des Wandels: die alten Reputationsmechanismen sind noch aktiv, aber der Ruf nach Alternativen wird zunehmend lauter. Gerade für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler ist das eine Gratwanderung, denn sie müssen den „traditionellen“ Anforderungen für eine entfristete Professur gerecht werden und gleichzeitig die Offene Wissenschaft unterstützen.

Welche neuen Möglichkeiten bietet Open Science für Ihre Lehre?

Dem Wunsch nach einer forschungsorientierten Lehre kann viel einfacher durch Offene Wissenschaft entsprochen werden, denn wir können den Studierenden bereits frühzeitig Werkzeuge und Beispiele in die Hand geben, mithilfe derer sie unter anderem Forschungsergebnisse replizieren können. Wichtig ist es meines Erachtens vor allem, den Studierenden nicht nur das Fachwissen, sondern ebenfalls die Grundprinzipien der wissenschaftlichen Praxis (siehe DFG) zu vermitteln. Die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis umfassen als solche bereits die wesentlichen Ideen einer Offenen Wissenschaft. Mit der Ausbildung der Studierenden anhand dieser Prinzipien können wir einen gesellschaftlichen Beitrag leisten, denn unsere Studierenden wirken nach Abschluss ihres Studiums neben der Wissenschaft vor allem in der Wirtschaft, Gesellschaft oder Politik.

Was wünschen Sie sich zum Thema Open Science an der Freien Universität?

In der Open-Access-Strategie der Freien Universität Berlin ist die Schaffung von „Ermöglichungsstrukturen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler“ ein wichtiger Bestandteil. Das Ziel dieser „Ermöglichungsstrukturen“ ist es, „durch den Ausbau von Service- und Informationsangeboten [...] eine zeitnah wirksame, auf Nachhaltigkeit zielende Veränderung der Publikationskultur anzustreben“. Leider bleibt die Strategie erstaunlich vage in den Maßnahmen, wie eine solche Veränderung der Organisations- und Wissenschaftskultur erreicht werden kann. Die Hoffnung, durch ein Angebot auch einen kulturellen Wandel zu erreichen, greift meines Erachtens zu kurz.

Ich habe zwei Wünsche an die Freie Universität. Zum einen sollte das Thema Offene Wissenschaft zur Chefsache erklärt werden. Ein Beispiel dafür ist das Museum für Naturkunde in Berlin. Johannes Vogel, Generaldirektor des Museums, hat es in den vergangenen fünf Jahren geschafft, einen kulturellen Wandel in der Forschungsorganisation zu initiieren, der nicht nur dazu geführt hat, dass Drittmittel und Publikationen gestiegen sind, sondern auch, dass das Thema Wissenschaftskommunikation als wesentlicher Teil der wissenschaftlichen Arbeit begriffen wird. Nur wenn Offene Wissenschaft zum Selbstverständnis der Freien Universität gehört, werden auch die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlicher zu uns kommen und sich bei uns für diese Ziele engagieren.

Mein zweiter Wunsch ist, dass die Forderungen nach Open Access und Offener Wissenschaft bereits bei den Berufungen berücksichtigt werden. Eine Vorreiterrolle nimmt hier die Ludwigs-Maximilians-Universität München (LMU) ein. Bereits in einer Ausschreibung aus dem Jahr 2015 wurden dort Anforderungen nach einer offenen Wissenschaftspraxis genannt. Mittlerweile hat die LMU ein Open-Science-Center gegründet – ein Weg, der auch sehr gut zur Freien Universität Berlin passen würde.

Die Fragen stellte Leonie Schlick

Weitere Informationen

Das Open-Access-Team steht Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in allen Fragen rund um das Thema Open Access und Elektronisches Publizieren zur Verfügung:

Universitätsbibliothek, Center für Digitale Systeme (CeDiS)

Universitätsbibliothek, Redaktion Dokumentenserver

Zentrale Webseite: www.fu-berlin.de/open-access

Lesen Sie auch das Interview mit Universitätspräsident Professor Peter-André Alt zum Auftakt der campus.leben-Serie Wissenschaft und Open Access sowie die Interviews mit Mathematikprofessor Günter M. Ziegler und Dirk Ostwald, Professor für Computational Cognitive Neuroscience.