Mit dem Sinfonieorchester des Collegium Musicum Berlin habe ich schon viele tolle Momente erlebt. So trafen wir 2015 zum Beispiel gleich zwei „Queens“: Wir durften nicht nur Deutschlands Schlagerkönigin Helene Fischer bei Auftritten als Orchester begleiten, sondern auch Her Majesty The Queen bei ihrem Staatsbesuch mit „Pomp and Circumstance“ empfangen. Auch, wenn sich beide Ereignisse als Anekdoten für Anlässe jeder Art eignen, ist eine andere, vermeintlich unbedeutendere Begegnung genauso in unserem Gedächtnis geblieben: Am 14. Juni vergangenen Jahres spielten wir ein gemeinsames Konzert mit dem Southhampton University Symphony Orchestra, als dieses auf Deutschlandtournee war und Station in Berlin machte. Fast genau ein Jahr, nachdem ein Referendum den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union besiegelt hatte, trafen wir auf jene jungen Leute, die den Brexit am wenigsten wollten und die Auswirkungen am meisten zu spüren bekommen werden. Es tat gut, gemeinsam zu musizieren und über Musik und aktuelle politische Entwicklungen zu sprechen.

Nicht zuletzt diese Begegnung hat uns vor Augen geführt, wie wichtig Möglichkeiten zum internationalen Austausch sind. Was könnte in einem krisengeschüttelten Europa, das durch wieder aufkeimenden Rassismus und Nationalismus geprägt ist, besser passen als 462 junge Musikerinnen und Musiker, die in Straßburg, am Sitz des Europarates, gemeinsam Beethovens „Ode an die Freude“ spielen? 

Die Idee, mit Studentenorchestern aus ganz Europa gemeinsam beim European Student Orchestra Festival zu musizieren, hat uns sofort überzeugt. Viel Positives hatten wir auch von Freunden gehört, die mit dem Münsteraner Uniorchester schon einmal an dem Festival teilgenommen hatten. Die Entscheidung, uns zu bewerben, fiel deshalb leicht. Und unsere Freude war riesig, als im August 2017 bekannt gegeben wurde, dass wir als eines von acht Orchestern ausgewählt worden waren.

Das European Student Orchestra Festival (ESOF) wurde 2012 in der belgischen Stadt Löwen von Studierenden ins Leben gerufen. 2018 fand es zum ersten Mal außerhalb des Gründungsortes statt. Nach monatelanger Vorbereitung und intensiven Proben war es im Juni endlich so weit. Kaum in Straßburg angekommen, trafen wir beim Eröffnungskonzert auf die Musikerinnen und Musiker der anderen Orchester. Sie kamen aus Frankreich (Straßburg und Toulouse), Schweden (Uppsala), Italien (Pisa), Deutschland (Freiburg) und der Schweiz (Aarau und Genf). Da ein Orchester abgesagt hatte, wurden wir gebeten, statt eines 45-minütigen Auftritts einen kompletten Konzertabend zu bestreiten. Weil jedes Orchester ein Werk einer Komponistin oder eines Komponisten aus seinem Heimatland spielen sollte, hatten wir die 3. Sinfonie von Johannes Brahms im Gepäck. Auf unserem Programm standen außerdem das Violinkonzert von Jean Sibelius mit unserem Solisten David Gorol und ein kurzer Ausschnitt aus der Oper „The Fairy Queen“ von Henry Purcell, mit dem unser Blechbläserensemble „Blech Beauty“ sein ganzes Können unter Beweis stellen konnte.

Unser ausverkauftes Konzert war auf jeden Fall ein Highlight der Reise. Im wirklich allerletzten Moment haben wir auch noch einen Pauker gefunden. Die Suche nach einem Ersatz für unseren verhinderten Musiker hat uns vor der Abreise sehr gestresst, denn – man mag es kaum glauben – in Berlins reichhaltiger Musikszene hatten wir niemanden finden können. Deswegen waren wir umso glücklicher, als am Donnerstagabend Steven aus dem Straßburg nahegelegenen Trossingen wie ein „deus ex machina“ dem Schnellzug TGV entstieg.

An den folgenden Tagen hatten einige von uns Zeit, die Stadt zu erkunden, den Fernsehsender Arte oder das Europäische Parlament zu besichtigen. Zehn Mitglieder unseres Orchesters stürzten sich jedoch direkt wieder in Proben, denn für das Abschlusskonzert erarbeiteten wir zusammen mit Musikerinnen und Musikern aller acht Orchester die 9. Sinfonie in e-moll op. 95 von Antonín Dvořák. In diesem gemeinsamen European Student Orchestra konnten wir auch mal wieder mit Benjamin spielen. Der Cellist hatte während seines Bachelorstudiums an der Freien Universität Berlin vier Semester in unserem Orchester gespielt. Jetzt macht er seinen Master in Genf und war mit dem dortigen Uniorchester zum Festival gekommen.

Das war das Tolle am European Student Orchestra Festival: Wir haben neue Leute kennengelernt und alte Bekannte wiedergesehen. Auch wenn es abgenutzt klingen mag: Musik vereint. Sie ist eine internationale Sprache, die alle verstehen.