Springe direkt zu Inhalt

Architektin des Erbguts

Die französische Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier hielt die Einstein Lecture an der Freien Universität / Innerhalb weniger Jahre hat ihre als „Genschere“ bekannte CRISPR-Cas9-Methode die lebenswissenschaftliche Forschung revolutioniert

09.11.2018

Emmanuelle Charpentier, MIkrobiologieprofessorin und wissenschaftliche Direktorin am Max Planck-Institut für Infektionsbiologie...

Emmanuelle Charpentier, MIkrobiologieprofessorin und wissenschaftliche Direktorin am Max Planck-Institut für Infektionsbiologie...
Bildquelle: Christoph Assmann

Wenige Methoden aus dem riesigen Werkzeugkasten der Molekularbiologie haben in so kurzer Zeit so viel Aufmerksamkeit erhalten wie die sogenannte CRISPR-Cas9-Methode. Das enorme Interesse an der „Genschere“ war auch an der Freien Universität Berlin zu spüren: 1800 Zuhörerinnen und Zuhörer hatten sich in der vergangenen Woche zur 18. Einstein Lecture angemeldet, um im Audimax des Henry-Ford-Baus einer französischen, seit 2015 auf dem Charité-Campus in Berlin-Mitte tätigen Wissenschaftlerin zu lauschen, die derzeit eine der heißesten Anwärterinnen auf einen der nächsten Nobelpreise ist.

... hielt die diesjährige Einstein Lecture an der Freien Universität...

... hielt die diesjährige Einstein Lecture an der Freien Universität...
Bildquelle: Christoph Assmann

Emmanuelle Charpentier, die gerade mit dem Berliner Wissenschaftspreis 2018 ausgezeichnet wurde, ist wissenschaftliche Direktorin am Max Planck-Institut für Infektionsbiologie und baut aktuell ihr eigenes Institut auf, die Max Planck-Forschungsstelle für die Wissenschaft der Pathogene, an der u.a. zu bakteriellen Krankheitserregern geforscht wird. Darüber sprach sie in Dahlem nicht. Doch letztlich geht auch die von ihr gemeinsam mit Jennifer Doudna von der Universität Berkeley in den USA entwickelte CRISPR-Cas9-Methode auf die Forschung an Bakterien zurück.

Was ist CRISPR-Cas9? Die kurze Antwort lautet, dass es eine Methode ist, mit der die Erbsubstanz von Menschen, Bakterien, Tieren oder Pflanzen an beliebiger Stelle gezielt verändert werden kann. Anders als einige körpereigene Eiweiße zerlegt der molekulare Komplex CRISPR-Cas9 beide Stränge der Erbsubstanz DNA, zertrennt den DNA-Strang also komplett. „CRISPR-Cas9 war nicht die erste Methode, mit der das möglich war, aber die bis dahin verfügbaren Methoden waren umständlich. CRISPR-Cas9 ist einfach und kostengünstig und dabei sehr präzise“, so Charpentier.

... im voll besetzten Max-Kade-Auditorium im Henry-Ford-Bau.

... im voll besetzten Max-Kade-Auditorium im Henry-Ford-Bau.
Bildquelle: Christoph Assmann

Letztlich besteht das System aus zwei Komponenten: Cas9 ist ein Eiweiß, das eine bestimmte DNA-Sequenz durchtrennt. CRISPR besteht aus zwei RNA-Molekülen, die für die Zielsteuerung zuständig ist. CRISPR sagt, wo es hingeht, Cas9 schneidet dann dort und nur dort. „Den Rest macht die Zelle“, sagt Charpentier. Dieser „Rest“ ähnelt der Arbeit in einer Autoreparaturwerkstatt: Ein durchtrennter DNA-Strang kann sich für eine Zelle zum Totalschaden auswachsen und muss deswegen umgehend repariert werden.

Die Reparaturmechanismen sind von Natur aus in jeder Zelle vorhanden, und sie können durch Wissenschaftler verändert werden. Das ist es, was CRISPR-Cas9 so revolutionär macht. Forscher können dafür sorgen, dass an der Bruchstelle bestimmte DNA-Abschnitte ausgeschnitten, hinzugefügt oder ausgetauscht werden. Wie wenig aufwendig dieses „Gene Editing“ ist, lässt sich am besten dadurch verdeutlichen, dass in einigen Ländern mittlerweile Gentechnik-Baukästen auf dem Markt sind, mit denen quasi am Küchentisch mithilfe der CRISPR-Cas9-Methode gentechnisch veränderte Bakterien hergestellt werden können. Im Prinzip. Denn erlaubt ist das zumindest in Deutschland nicht.

Gentechnische Küchentisch-Dystopien sind aber nicht das, was CRISPR-Cas9 aus Sicht der Biologie ausmacht. Für Forscher ist die Genschere vor allem ein Erkenntnis-Turbo: „Wir arbeiten seit 2013 damit, und es hat den Laboralltag komplett verändert“, sagte der Humangenetiker Professor Stefan Mundlos von der Charité - Humanmedizin Berlin in seinem Einführungsvortrag. Dank CRISPR-Cas9 könne jede beliebige Genveränderung in kürzester Zeit in einem Modellorganismus untersucht werden. So lässt sich bei abertausenden von Genen herausfinden, was bestimmte Mutationen bewirken. Tausende Labors weltweit nutzen heute CRISPR-Cas9, um das Erbgut unterschiedlichster Organismen mit unterschiedlichsten Zielen zu verändern. „Ich mag den Gedanken“, sagte Charpentier, „dass wir eine Technologie entwickelt haben, mit der wir die Mechanismen des Lebens besser verstehen.“ Sie selbst hat der Versuchung widerstanden, CRISPR-Cas9 zu ihrem Lebenswerk zu machen und jahrelang immer neue Anwendungen dieser Technologie zu suchen oder zu entwickeln. Lieber betreibt sie weiterhin Grundlagenforschung zu Krankheitserregern, manchmal mit Genscheren, oft aber auch ohne.

Doch CRISPR-Cas9 hat sich verselbstständigt. Es ist längst kein reines Forschungswerkzeug mehr. So wird es etwa in der Landwirtschaft zur Optimierung von Nutzpflanzen eingesetzt, was kürzlich sogar den Europäischen Gerichtshof beschäftigt hat. Die Richter befanden, dass Nutzpflanzen, die mit der CRISPR-Cas9-Methode bearbeitet worden sind, unter die EU-Richtline für gentechnisch veränderte Organismen fallen und ein aufwändiges Zulassungsverfahren durchlaufen müssten. Das zog scharfe Kritik aus den Reihen der Wissenschaft nach sich. Denn anders als bei traditionellen Gentechnik-Methoden werden bei CRISPR-Cas9 keine fremden Gene in das Erbgut eingefügt, sondern lediglich punktuelle Genveränderungen („Mutationen“) vorgenommen, wie dies in der Pflanzenzucht auch mit einigen Chemikalien oder mit Hilfe von Strahlung geschieht, beides Verfahren, die nicht unter die EU-Richtlinie fallen. Auch Charpentier findet das EuGH-Urteil deswegen unverständlich, wie sie in ihrem Vortrag betonte.

Auch in der Medizin ist CRISPR-Cas9 längst mehr als ein Forschungswerkzeug. So laufen erste klinische Studien, in denen dem menschlichen Körper entnommene Blutzellen mit genetischen Defekten mittels CRISPR-Cas9-Methode repariert und dem Körper wieder zurückgegeben werden. Diese neue Form der somatischen Gentherapie hält Charpentier für ziemlich attraktiv, erneut weil keine Fremdgene mithilfe von Viren oder anderen Genfähren an den Zielort gebracht werden müssen: „CRISPR-Cas9 wird den Hype um die Gentherapie wieder entfachen.“

Doch es gibt auch warnende Stimmen. So ist unklar, ob Genveränderungen per CRISPR-Cas9 möglicherweise das Krebsrisiko erhöhen. Dieses Problem kann auch bei anderen Formen der Gentherapie auftreten. Forscher aus Stanford konnten vor einem Jahr außerdem zeigen, dass das Immunsystem auf die Eiweißkomponente von CRISPR-Cas9 reagiert, das Cas9-Protein. Wissenschaftler vom Berlin-Brandenburger Centrum für regenerative Therapien berichten in einer aktuellen Publikation über eine analoge Beobachtung. Ob das für Gentherapien mit Hilfe von CRISPR-Cas9 ein unüberwindbares Problem ist, ist derzeit unklar. Werden menschliche Gene außerhalb des Körpers verändert, dann ist das möglicherweise nicht so gravierend, da dort keine Immunzellen vorkommen und Cas9 nach der Genveränderung von den Zellen abgebaut wird.

Kontroverser als die somatische Gentherapie ist ein denkbarer Einsatz der Genscheren bei menschlichen Keimzellen. Damit könnten sich (einige wenige) Erbkrankheiten bereits vor der Befruchtung beseitigen lassen. Humangenetiker Mundlos glaubt nicht, dass das jemals ein reales Szenario werden könnte. Andere sind sich da nicht so sicher. Die National Academy of Sciences in den USA hat kürzlich ein Positionspapier zum „Gene Editing“ vorlegt, das empfiehlt, sich auf Keimzell-Manipulationen geistig vorzubereiten, um nicht überrascht zu werden, wenn es in einigen Jahren plötzlich so weit ist.

Hoch kontrovers diskutiert wird auch die ebenfalls auf CRISPR-Cas9 basierende Gene Drive-Methode, bei der genetische Manipulationen genutzt werden, um quasi Evolution zu spielen. Mit viel Geld von der Bill & Melinda Gates Foundation wird derzeit versucht, Anopheles-Mücken, die Überträger der Malaria, mithilfe von CRISPR-Cas9 mit Schadgenen auszustatten. Diese Mücken könnten dann in Malariagebieten ausgesetzt werden. Dort geben sie die schädlichen Gene an ihre Nachkommen weiter, und am Ende würde die komplette Mückenpopulation aussterben. Die Natur hat CRISPR-Cas9 übrigens tatsächlich vor vielen Jahrmillionen als Waffe entwickelt: Mehr als 300 Bakterienarten nutzen dieses Werkzeug seither, um sich gegen eingedrungene Viren zu verteidigen und deren Erbgut zu zerlegen.