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Von Marskolonisatoren und Sauerstoffproduzenten

Studierende des Instituts Futur gewinnen 10.000 Euro im Hochschulwettbewerb zum Wissenschaftsjahr 2018

19.09.2018

Im Februar 2018 präsentierten Aileen Moeck (rechts) und Jens Konrad (links) ihr Projekt „Zukunftsbauer“ auf der Bildungsmesse didacta in Hannover.

Im Februar 2018 präsentierten Aileen Moeck (rechts) und Jens Konrad (links) ihr Projekt „Zukunftsbauer“ auf der Bildungsmesse didacta in Hannover.
Bildquelle: Die Zukunftsbauer

„Wenn ich groß bin, will ich Social Media Manager werden.“ Hätte ein Kind diesen Wunsch vor 15 Jahren geäußert, man hätte es vermutlich ungläubig angesehen. Die Digitalisierung in Deutschland stand erst noch bevor, Facebook war noch nicht gegründet. Dass ein Jahrzehnt später in fast allen Berufsgruppen Menschen gebraucht werden, die die Kommunikation über die sozialen Medien organisieren, war damals noch eine bloße Zukunftsvision. Die Vision ist in kurzer Zeit Realität geworden. Wenn wir morgen in Berufen arbeiten, die es heute noch gar nicht gibt, wie sollen wir uns darauf vorbereiten?

Aileen Moeck und Jens Konrad haben sich mit dieser Frage auseinandergesetzt und das Projekt „Die Zukunftsbauer“ entwickelt. Beim Hochschulwettbewerb zum Wissenschaftsjahr 2018 zum Thema „Arbeitswelten der Zukunft“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und Wissenschaft im Dialog wurden sie für ihre Idee mit 10.000 Euro ausgezeichnet.

Selbstverständlichkeiten in Frage stellen

Mit der Zukunft beschäftigen sich die beiden Studierenden schon länger, in diesem Jahr haben sie den weiterbildenden Masterstudiengang Zukunftsforschung am Institut Futur der Freien Universität abgeschlossen. „Der Master hat meine Welt auf den Kopf gestellt“, sagt Aileen Moeck. „Ich wusste gar nicht, dass man so viel in Frage stellen kann.“ Im Bachelor hat Aileen Moeck Europäisches Management studiert, Jens Konrad hat einen Bachelorabschluss in Marketing. Beide haben nebenbei in verschiedenen Start-Ups und in der Innovationsberatung gearbeitet. „Bei meiner Arbeit ging es immer viel um Fakten. Der Master hat dann plötzlich sehr viele dieser Selbstverständlichkeiten in Frage gestellt“, sagt Aileen Moeck. Beide hätten sich persönlich sehr weiterentwickelt. Nachhaltigkeit bedeute etwa nicht nur grün und öko, sondern auch, dass menschliches Handeln Auswirkungen auf die Zukunft habe, mit denen man sich auseinandersetzen müsse. „Ich war so beeindruckt von diesem neuen Denken, dass ich damit auch andere Menschen erreichen wollte“, sagt die Zukunftsforscherin.

In ihrer Masterarbeit fragte sich Aileen Moeck zunächst theoretisch, wie man Zukunftsdenken an Schulen bringen kann, und warum man das tun sollte. Das Fazit war ernüchternd: Schule und Arbeitsleben seien entkoppelt, die Schulen nicht vorbereitet auf eine sich schnell verändernde Gegenwart. Die Berufswelt werde immer modularer, die Beschäftigungsverhältnisse kürzer. Menschen, die darauf nicht eingestellt seien, falle es schwer, umzusatteln. Was macht beispielsweise eine Taxifahrerin, deren Beruf durch uber und günstige Carsharing-Angebote zunehmend bedroht wird? „65 Prozent der Kinder, die jetzt in die Schule kommen, werden später in Jobs arbeiten, die es noch gar nicht gibt. In Amerika werden 48 Prozent der aktuellen Jobs in den nächsten Jahren automatisiert“, sagt Aileen Moeck. Man könne das ängstlich aufnehmen – oder als Chance begreifen: „Die Veränderungen sind nicht schlimm, wenn wir die Zukunft gut und richtig angehen.“ Deswegen will sie Menschen dazu anregen, ihre Arbeitswelten selbst zu gestalten.

Mithilfe der „Zukunftsbox“, einem Baukasten mit Materialien zur Veranschaulichung, sollen sich Neunt- bis Elftklässler ein Schuljahr lang auf eine Zukunftsreise begeben.

Mithilfe der „Zukunftsbox“, einem Baukasten mit Materialien zur Veranschaulichung, sollen sich Neunt- bis Elftklässler ein Schuljahr lang auf eine Zukunftsreise begeben.
Bildquelle: Die Zukunftsbauer

Berufe der Zukunft

Mit den Ergebnissen ihrer Masterarbeit als Grundlage hat Aileen Moeck zusammen mit Jens Konrad „Die Zukunftsbauer“ entwickelt, „die Studien- und Berufsberatung für das 21. Jahrhundert“. Dabei handelt es sich um ein Lehrkonzept, in dem Schülerinnen und Schüler Berufsgruppen erarbeiten, die in der heutigen Welt noch nicht existieren. Mithilfe einer „Zukunftsbox“, einem Baukasten mit Materialien zur Veranschaulichung, sollen sich Neunt- bis Elftklässler ein Schuljahr lang auf eine Zukunftsreise begeben. In acht Doppelstunden erarbeiten sie ihre Vorstellungen, Ideen und Ängste der Zukunft, entwickeln daraus neue Berufsbilder und bestimmen die erforderlichen Fähigkeiten.

Im Gegensatz zu einer klassischen Berufsberatung vertreten „Die Zukunftsbauer“ keine Wirtschaftsinteressen und wollen nicht direkt Kompetenzen für den Arbeitsmarkt entwickeln. Die nachhaltige Bildung stehe im Vordergrund. Das Projekt soll als übergeordnetes Narrativ zur schulischen Studien- und Berufsberatung dienen, an das sich andere Projekte der Berufsorientierung anschließen lassen.

In den vergangenen Monaten haben die beiden Erfinder von „Zukunftsbauer“ Pilotversuche an der Berliner Sekundarschule St. Franziskus in Schöneberg durchgeführt. Neben einer externen Grafikerin unterstützte eine Pädagogin sie bei der manchmal herausfordernden Arbeit mit den Schulklassen. Die Jugendlichen bewiesen ihre Kreativität: Sie erfanden zum Beispiel eine „Sauerstoffproduzent“ und den „Marskolonisator“, der auf dem Mars neuen Lebensraum erschließt. Den brauche es, weil es auf der Erde, so das Zukunftsszenario, aufgrund von Überbevölkerung keinen Platz mehr geben wird. „Die Arbeit an der Schule hat uns gezeigt, dass Kinder die Welt durch die Medien sehr negativ wahrnehmen“, sagt Aileen Moeck. „Trotzdem haben sie positive Lösungsansätze entwickelt, in denen es auch immer einen Ausgleich von Technik und Natur gab. Die Jugendlichen wollten keine absolut technisierte Welt.“ Auch habe sich gezeigt, dass sich viele Zukunftsängste aus der Gegenwart speisen: Klimawandel und Migration sind die Themen, mit denen Kinder von heute aufwachsen. „Eigentlich müsste die Zukunftsforschung Gegenwartsforschung heißen, denn wir stellen unsere heutige Lebensrealität in Frage“, sagt Aileen Moeck.

Im Moment bauen Aileen Moeck und Jens Konrad den ersten Prototypen der Zukunftsbox, der später bundesweit in Schulen eingesetzt werden soll. Zusätzlich zum Gewinn der 10.000 Euro haben sie ein Berliner Startup Stipendium erhalten, das es ihnen erlaubt, eine externe Mitarbeiterin und eine Grafikerin anzustellen und insgesamt zu viert ein halbes Jahr intensiv an dem Projekt zu arbeiten. Mit dem Berliner Startup Stipendium fördern die Freie Universität Berlin, die Technische Universität Berlin, die Charité – Universitätsmedizin Berlin und die Humboldt-Universität zu Berlin seit 2016 gemeinsam Gründerinnen und Gründer, die innovative oder technologiebasierte Geschäftsideen umsetzen wollen. Finanziert wird das Stipendium von der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe mit Unterstützung des Europäischen Sozialfonds. Neben der finanziellen Förderung von 2.000 Euro monatlich für jedes Teammitglied werden die Stipendiaten außerdem von Profund Innnovation, der Service-Einrichtung für Wissens- und Technologietransfer in der Abteilung Forschung der Freien Universität, beraten und betreut.

Zukunftsbauer und Futuristen

Aileen Moeck ist selbst das beste Beispiel für eine „Zukunftsbauerin“: Aus ihrer Masterarbeit und einer Problemstellung hat sie ein eigenes Berufsfeld für sich geschaffen. Als Zukunftsforscherin und Futuristin war sie vor Kurzem bei einer Konferenz in Kopenhagen, um einen Workshop zum Thema „Wie werde ich Futurist?“ zu geben. Futuristen, das seien neugierige und mutige Menschen, die auch ein wenig kindisch in ihrem kreativen Überschwang seien, die langfristig und systemübergreifend denken. Sie versuchen, verschiedene Perspektiven in Entscheidungsprozesse mit einzubeziehen. Futuristen blicken der Zukunft optimistisch entgegen, weil sie sich als deren aktive Gestalter sehen: „Seitdem ich Zukunftsforscherin bin, macht mir die Zukunft viel weniger Angst“, sagt Aileen Moeck. Ihren Zukunftsmut und Tatendrang will sie mit „Zukunftsbauer“ nun auch an Kinder und Jugendliche weitergeben.