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Hoffnung für ein bauliches Juwel

Abgeordnete des Hauptausschusses des Berliner Abgeordnetenhauses besuchten den Botanischen Garten Berlin und informierten sich über den Sanierungsbedarf des weltweit einzigartigen Ensembles denkmalgeschützter Schaugewächshäuser

30.04.2019

Prof. Dr. T. Borsch (2. v. r.), Direktor des BGBM, und die Kanzlerin der Freien Universität Berlin, Dr. A. Bör (3. v. r.) begrüßen Berlins Staatssekretär S. Krach (4. v. r.) und Mitglieder des Hauptausschusses des Berliner Abgeordnetenhauses.

Prof. Dr. T. Borsch (2. v. r.), Direktor des BGBM, und die Kanzlerin der Freien Universität Berlin, Dr. A. Bör (3. v. r.) begrüßen Berlins Staatssekretär S. Krach (4. v. r.) und Mitglieder des Hauptausschusses des Berliner Abgeordnetenhauses.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

„Hier haben die Berliner schon vor 110 Jahren gelernt, wie Bananen und Kakaobohnen wachsen“, sagt Professor Thomas Borsch, „es ist sozusagen unser pädagogischstes Haus. Die Besucherinnen und Besucher erfahren hier etwas über Ökosysteme, über Nachhaltigkeit und Vielfalt, über Nahrungsmittel – aber auch über die Geschichte des Kolonialismus.“

Der Direktor des Botanischen Gartens und Botanischen Museums Berlin der Freien Universität blickt in 30 neugierige Gesichter – am Raunen der Gruppe wird deutlich, dass auch diese Berliner nur allzu gern und sofort sähen, wie hinter den Scheiben des denkmalgeschützten Gewächshauses Kakaobohnen wachsen. Viele von ihnen sind zum ersten Mal hier im Botanischen Garten, doch ihre Aufgabe eint sie: Sie sind Parlamentarier und Mitglieder des Hauptausschusses des Berliner Abgeordnetenhauses. Es ist das Parlamentsgremium, das unter anderem Entscheidungen über große Investitionsprojekte trifft.

An diesem Nachmittag informieren sich die Politikerinnen und Politiker über den Sanierungsbedarf des weltweit einzigartigen Ensembles, das unter anderem aus 15 Schaugewächshäusern und dem Botanischen Museum besteht und über die zweitgrößte botanische Lebendsammlung auf der ganzen Welt verfügt. Begleitet werden sie an diesem Frühlingstag vom Staatssekretär für Wissenschaft und Forschung Steffen Krach – und von viel Vogelgezwitscher.

Verrostete Stahlträger gefährden die Statik der mehr als 100 Jahre alten, denkmalgeschützten Schaugewächshäuser.  Ein maroder Träger des Gewächshauses für tropische Nutzpflanzen.

Verrostete Stahlträger gefährden die Statik der mehr als 100 Jahre alten, denkmalgeschützten Schaugewächshäuser. Ein maroder Träger des Gewächshauses für tropische Nutzpflanzen.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Tropischer Nebel von Hand erzeugt

Wie gefährdet die Konstruktion ist und wie desaströs die Funktionen allein des historischen Gewächshauses sind, auf das die Gruppe gerade blickt, verdeutlicht der Leiter des Gartenbetriebs, Karsten Schomaker: „Die automatische Steuerung der Hochdrucknebel-Anlagen ist schon lange defekt, unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen die hohe Luftfeuchtigkeit für Farne, Orchideen und Nutzpflanzen mit einem Riesenaufwand von Hand erzeugen.“ Der Energiebedarf für eine konstante Temperatur von 22 Grad im Haus sei enorm angesichts einer Verglasung mit einfachen Scheiben.

Der Leiter des Referats Hochbau der Technischen Abteilung der Freien Universität, Markus Porn, lenkt die Blicke der Politikerinnen und Politiker auf starke Korrosionsschäden an den historischen genieteten Profilen der stählernen außenliegenden Tragkonstruktion, die die Standsicherheit mehrerer Schaugewächshäuser gefährden und damit Beschäftigte wie Besucherinnen und Besucherinnen gleichermaßen. Die 30 Augenpaare folgen Markus Porns Gesten zu den markant gewölbten, aber in Teilen beschädigten Acrylglas-Elementen: Jedes von ihnen sei – geometriebedingt – unterschiedlich groß und damit eine Sonder-Anfertigung, die bei Einzel-Aufträgen je zwischen 8.000 bis 10.000 Euro koste. Doch finanziell für die Freie Universität möglich seien immer nur Notmaßnahmen.

Durch die bisherigen Sanierungen des Großen Tropenhauses und des Victoriahauses konnten der Energiebedarf, die Energiekosten und die Kohlendioxid-Emissionen im Betrieb dieser zwei Häuser um mehr als 50 Prozent gesenkt werden.

Durch die bisherigen Sanierungen des Großen Tropenhauses und des Victoriahauses konnten der Energiebedarf, die Energiekosten und die Kohlendioxid-Emissionen im Betrieb dieser zwei Häuser um mehr als 50 Prozent gesenkt werden.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Bauliche Unterhaltung durch die Freie Universität Berlin

Zwar gehören der Botanische Garten und das Botanische Museum, ein Areal mit einer Fläche von 43 Hektar, schon seit 1995 zur Freien Universität. Doch unterhalten und gewartet wurde die Liegenschaft bis Ende 2016 von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen. Seit 2017 ist die Freie Universität für das Areal auch baulich zuständig; doch schon in den ersten Monaten wurde klar: Die 2,6 Millionen Euro, die das Land Berlin ihr dafür pro Jahr zuweist, reichen bei Weitem nicht, wenn der überall sichtbare Verfall gestoppt werden soll: Im Jahr 2018 ergab ein Gutachten im Auftrag der Hochschule, dass mittelfristig 174 Millionen Euro nötig seien, um das Ensemble zu sanieren – vom denkmalgeschützten Gewächshaus bis hin zum einfachen Gartenzaun.

Die Kanzlerin der Freien Universität und damit Hausherrin auch im Botanischen Garten, Andrea Bör, hatte die Gruppe gleich bei der Begrüßung in der Nähe des Mittelmeerhauses auf diese Summe hingewiesen. Sie appelliert an die Politikerinnen und Politiker, den Investitionsstau rasch anzugehen – und zwar nicht nur im Botanischen Garten, sondern auch auf dem restlichen Campus der Freien Universität in Dahlem, in Düppel und in Lankwitz. Einer Studie über den Zustand der Bauten aller Hochschulen in Berlin zufolge fehlen allein an der Freien Universität insgesamt 1,3 Milliarden Euro, wie Andrea Bör betont.

Der Staatssekretär für Bildung und Forschung, Steffen Krach, verweist in seiner kurzen Ansprache auf das breite Spektrum, das der Botanische Garten und das Botanische Museum böten: Das Ensemble sei eine Wissenschaftseinrichtung mit einer der weltweit wertvollsten Pflanzensammlungen – und zugleich eine große Touristenattraktion.“ Geprüft werden müsse nun schnell, wo der Investitionsbedarf am dringlichsten ist.

Gefahr durch abstürzende Fenster

Die Abgeordneten haben Routine mit solchen Ortsterminen, und sie stellen den Fachleuten der Hochschule viele Fragen: Vor ihrem Besuch im Botanischen Garten hatten sie drei andere Förderprojekte in der Stadt in Augenschein genommen – die Rummelsburger Bucht, das Kosmosviertel und die Rudolf-Wissell-Brücke auf dem Stadtring. „Für uns ist es wichtig, Anträge auf Fördermittel nicht nur auf dem Papier zu sehen. Wir wollen vor Ort erfahren, wie groß der Bedarf ist“, sagt einer der Abgeordneten.

Ein großer Bedarf springt buchstäblich beim nächsten Schaugewächshaus ins Auge – in 15 Metern Höhe am Mittelmeerhaus. „Einige der Fenster dort oben im Mittelschiff mussten wir zuschrauben, weil die Gefahr bestand, dass sie beim Öffnen ausbrechen und abstürzen“, sagt der Leiter des Referats Technik in der Technischen Abteilung der Freien Universität, Sebastian Block.

Schon bei Windstärke 8 sei die Statik gefährdet. Nicht auszudenken, Personal oder einer der jährlich mehr als 450.000 Besucherinnen und Besucher des Gartens kämen zu Schaden – oder Hochzeitsgäste, denn in dem Gewächshaus mit einer Holzfassade, die wie eine kleine Kathedrale anmutet, können sich Brautleute seit 2001 vom Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf standesamtlich trauen lassen. „Sehen Sie, wie geschädigt die Rahmen und die Verglasungen der historischen Holzfenster sind?“, fragt Hochbau-Referatsleiter Markus Porn. „Wenn man hier jetzt nicht zupackt und von Grund auf saniert, muss man das Gewächshaus bald schließen, so wie viele andere auf dem Gelände auch“, konstatiert er.

Allein die Sanierung des Mittelmeerhauses ist mit 18 Millionen Euro veranschlagt worden. Im Vorbeigehen fotografieren die Abgeordneten botanische Hingucker wie den leuchtend blauen Wegerichblattigen Natternkopf und die Blaugrüne Kronwicke.

Großes Tropenhaus und Victoriahaus bereits saniert

Doch es gibt auch bauliche Lichtblicke, denn immerhin zwei der 15 Schaugewächshäuser sind bereits denkmalschutzgerecht und zugleich nach den höchsten energetischen Standards saniert worden. In beiden wurden der Energiebedarf und der Ausstoß von Kohlendioxid mehr als halbiert.

Eines der Gebäude ist das Victoriahaus, das im Sommer 2018 in altem Glanz, aber mit heutigen energetischen Standards wiedereröffnet wurde. Das andere – den unangefochtenen Star des Botanischen Gartens – steuert die Besuchsgruppe jetzt an: Es ist das vor mehr als 110 Jahren nach Entwürfen des Königlichen Baurats Alfred Koerner errichtete Große Tropenhaus; ein freitragendes Gebäude mit gigantischen Dimensionen von 27 Metern Höhe, 60 Metern Länge und 29 Metern Breite.Das Gewächshaus, eines der größten der Welt, wurde zwischen 2006 und 2009 grundlegend saniert.

Als die Gruppe es betritt, schlägt ihr subtropisches Klima entgegen. „In ein paar Sekunden bekomme ich Locken, wetten?“, raunt eine Abgeordnete belustigt. Gartenbetriebschef Karsten Schomaker weist nach oben: „Wir haben erreicht, dass 50 Prozent des UV-Lichts das Glas durchdringen kann – obwohl Sicherheitsglas verwendet wurde.“ Beim Schlendern durch die Flora der Tropen Afrikas, Asiens und Australiens findet die Gruppe Zeit für Gespräche über Denkmalschutzauflagen und Sanierungszeitpläne ebenso wie für Selfies mit beschlagener Brille.

Ohne Planungssicherheit geht es nicht

„Eine Perspektive und eine langfristige finanzielle Planungssicherheit ist für eine solche Sanierung unabdingbar“, sagt die Leiterin der Technischen Abteilung Andrea Syring. „Wir müssen im Prinzip schon jetzt wissen, über welchen Finanzrahmen wir in den kommenden 10 bis 15 Jahren verfügen.“ Nötig sei dies für die Planung der komplexen Ablaufketten, für die Vergabe von Aufträgen an Baufirmen und für die Einsätze von Logistikunternehmen.

„Logistisch sind wir für eine Sanierung auch der anderen Schaugewächshäuser zumindest gut vorbereitet“, sagt der Direktor der Einrichtung, Professor Thomas Borsch. So gebe es durch die bisherigen Arbeiten im Großen Tropenhaus und im Victoriahaus eine Halle, in der die Pflanzen während der Sanierung ihrer angestammten Häuser ausgelagert werden können. Thomas Borsch unterstreicht: „Wir müssen diesen Ort der Erholung, der Forschung und als herausragendes Kulturdenkmal bewahren – er ist ein Juwel!“