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„Bahnbrechende Biologin“ und „unbestechlicher Charakter“

Die Berliner Pflanzengenetikerin Elisabeth Schiemann ist Namenspatin des großen Hörsaals im Gebäude der Pflanzenphysiologie am Institut für Biologie der Freien Universität

08.05.2019

Von 1914 bis 1943 arbeitete E. Schiemann am Institut für Vererbungsforschung (seit 1922 in Dahlem, heute Angewandte Genetik) und am Botanischen Garten und Botanischen Museum. 1940 wurde ihr von den Nationalsozialisten die Lehrerlaubnis entzogen.

Von 1914 bis 1943 arbeitete E. Schiemann am Institut für Vererbungsforschung (seit 1922 in Dahlem, heute Angewandte Genetik) und am Botanischen Garten und Botanischen Museum. 1940 wurde ihr von den Nationalsozialisten die Lehrerlaubnis entzogen.
Bildquelle: Marion Kuka

Wenn Studierende der Biologie den großen Hörsaal im Gebäude der Pflanzenphysiologie in der Königin-Luise-Straße 12-16 betreten, werden sie künftig an eine Frau erinnert, die als eine der ersten Frauen in Deutschland ein reguläres Universitätsstudium absolvierte: Elisabeth Schiemann. Nach ihr wurde der Hörsaal im Rahmen der jährlichen Haberlandt-Vorlesung des Instituts für Biologie feierlich benannt.

Namensgeber der Vorlesung, die zum Auftakt jedes Sommersemesters stattfindet, ist zwar der österreichische Botaniker Gottlieb Haberlandt, der von 1910 bis 1923 in Berlin lehrte und mit seinen Arbeiten über Pflanzenanatomie und -physiologie Aufsehen erregte. In diesem Jahr stand jedoch die Pflanzengenetikerin Elisabeth Schiemann im Mittelpunkt. Mit einem Vortrag über die „bahnbrechende Biologin“ mit dem „unbestechlichen Charakter“, die von 1881 bis 1972 überwiegend in Berlin lebte, würdigte der Biologiehistoriker Professor Ekkehard Höxtermann Schiemanns Leben und Werk.

Friede-Renate Weigel (2.v.l.), die Großnichte von Elisabeth Schiemann, Daniel Wewer (1.v.r.) und Thomas Schmülling (2.v.r.), die Initiatoren der Vorlesung, Reiner Nürnberg (1.v.l.) und Ekkehard Höxtermann (3.v.l), Mitherausgeber des Forschungsbandes

Friede-Renate Weigel (2.v.l.), die Großnichte von Elisabeth Schiemann, Daniel Wewer (1.v.r.) und Thomas Schmülling (2.v.r.), die Initiatoren der Vorlesung, Reiner Nürnberg (1.v.l.) und Ekkehard Höxtermann (3.v.l), Mitherausgeber des Forschungsbandes
Bildquelle: Marion Kuka

Dass sich die Biologin, die am Institut für Vererbungsforschung – heute die Angewandte Genetik des Instituts für Biologie der Freien Universität – und später am Botanischen Garten und Botanischen Museum (BGBM) lehrte und forschte, Anfang des 20. Jahrhunderts gegen Vorurteile und Widerstände in einer von Männern dominierten Berufswelt durchsetzte, blieb nicht ihr einziges Verdienst. Schiemann-Experte Ekkehard Höxtermann nannte weitere Gründe dafür, sie in Erinnerung zu behalten:

Elisabeth Schiemann gehörte der ersten Genetikergeneration in Deutschland an und war eine der führenden Wissenschaftlerinnen in der Kulturpflanzenforschung. Sie erforschte wesentliche Mechanismen der Evolution und Pflanzenzüchtung. Ihr Hauptwerk „Die Entstehung der Kulturpflanzen“ war eine Pionierleistung mit großem und nachhaltigem Einflss. Sie gilt als Mitbegründerin der Paläo-Ethnobotanik, die die Zusammenhänge zwischen Vegetation und Besiedlung sowie die Ausbreitung von Pflanzen durch den Menschen untersucht. Als strikte Gegnerin des Nationalsozialismus, Antisemitismus und Rassismus bekundete sie ihre Haltung mit offenen Worten und stillen Taten. Die Gedenkstätte Yad Vashem ehrte sie dafür mit dem Titel „Gerechte unter den Völkern“. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs spielte sie eine wichtige Rolle bei der Erneuerung der Wissenschaften in Deutschland und der Erhaltung wissenschaftlicher Kontakte während des Ost-West-Konflikts.

Trotz ihrer Leistungen ist Schiemanns Name aber in der Öffentlichkeit kaum bekannt – im Gegensatz zu dem ihrer engen Freundin Lise Meitner. Als Namenspatin des Hörsaals wird Elisabeth Schiemann ganz gewiss künftige Generationen von Biologinnen und Biologen inspirieren.

Weitere Informationen

Dr. Reiner Nürnberg, der Sohn einer ehemaligen engen Mitarbeiterin Elisabeth Schiemanns, gab den Anstoß, das Leben und Werk von Elisabeth Schiemann in einem zusammenfassenden Forschungsband zu dokumentieren und zu würdigen. Der Sammelband „Elisabeth Schiemann 1881-1972, Vom Aufbruch der Genetik und der Frauen in den Umbrüchen des 20. Jahrhunderts“ (Rangsdorf 2014) enthält Beiträge aus der Biologie, Geschichte, Widerstands- und Frauenforschung sowie Zeitzeugenberichte.

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