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„Rechtspopulisten machen keine Klimapolitik, sondern schüren Ängste“

Beim 11. Europadialog diskutierten Expertinnen und Experten zum Thema „Der Klimawandel – Neues Thema der Populisten?“

11.06.2019

Die „Fridays for Future“-Bewegung mobilisiert europaweit hunderttausende Schulkinder und Studierende.

Die „Fridays for Future“-Bewegung mobilisiert europaweit hunderttausende Schulkinder und Studierende.
Bildquelle: Jörg Farys, Fridays for Future / Lizenz

Als sie sich vor einigen Monaten auf das Thema Klimapolitik für den 11. Europadialog festlegten, sagte Tanja Börzel in ihrer Anmoderation der Diskussion, habe niemand damit gerechnet, wie aktuell es werden würde: Umfragen zeigen, dass der Klimawandel die Europawahl wesentlich bestimmt hat. In Deutschland stand das Thema sogar an erster Stelle für die Wählerinnen und Wähler. „Es gibt eine neue kulturelle Konfliktlinie in der politischen Diskussion: Auf der einen Seite das grün-alternativ-liberale Milieu, auf der anderen das traditionell-autoritär-nationalistische“, sagte Börzel, Inhaberin eines Jean-Monnet-Lehrstuhls und Leiterin der Arbeitsstelle Europäische Integration an der Freien Universität Berlin. „Klima- und Migrationspolitik gehören in diese Konfliktlinie, deshalb ist es naheliegend, dass der Klimawandel von rechtspopulistischen Kräften aufgegriffen wird.“

Bequeme Wahrheiten, „Convenient truths“ heißt die Studie, die von der Denkfabrik adelphi im Februar veröffentlicht wurde und als Diskussionsgrundlage diente. Sie nimmt die mitunter bequemen und einfachen Antworten der rechtspopulistischen EU-Parteien zur Klimapolitik in den Blick. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass im EU-Parlament die Hälfte aller Gegenstimmen bei Resolutionen zu Klima und Energie aus dem rechtspopulistischen Parteienspektrum kommen. „Ja, Klima ist das neue Migrationsthema“, sagte Stella Schaller in der Diskussion. Sie betreut den Themenbereich Klimadiplomatie bei adelphi und ist Co-Autorin der Studie. Klimapolitik und Migrationspolitik hätten viele Gemeinsamkeiten: „Das Thema ist grenzüberschreitend, fordert transnationale Zusammenarbeit, es wird durch äußere Umstände herbeigeführt, es gibt ein externes Feindbild, es ist unheimlich komplex und fordert deshalb komplexe und langfristige Lösungen – genauso wie Migration.“ Ähnlich wie die zunehmende Migration fordere die Klimakrise Solidarität, Populisten jedoch würden das Thema emotionalisieren und Ängste schüren.

Klimapolitik biete sich geradezu an für Rechtspopulisten, meinte auch Marc Ringel, Professor für Energiepolitik an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen und Mitglied im Rednerdienst „Team Europe“ der Europäischen Kommission. Denn das Thema berge viele Unsicherheiten: „Der Klimawandel fordert komplexe Modelle, die weit in die Zukunft reichen. Natürlicherweise enthalten diese Modelle Fehler; sobald aber ein Teil widerlegt wird, stellen Rechtspopulisten den gesamten Klimawandel infrage.“ Er plädiere aber nicht dafür, darauf zu warten, bis die Unsicherheiten erkannt würden. „Wir müssen Klimaschutzpolitik systematisch als Chance begreifen. Wir müssen verschiedene Szenarien genauer ausleuchten. Das ist mit Anstrengungen verbunden, aber es geht.“

Es diskutierten: Stella Schaller (Adelphi), Marc Ringel (HfWU Nürtingen), Tanja Börzel (Freie Universität), Carla Reemtsma (Fridays for Future) und Klaus Jacob (Freie Universität).

Es diskutierten: Stella Schaller (Adelphi), Marc Ringel (HfWU Nürtingen), Tanja Börzel (Freie Universität), Carla Reemtsma (Fridays for Future) und Klaus Jacob (Freie Universität).
Bildquelle: Anne-Sophie Schmidt

Auf den umfassenden Charakter einer Klimapolitik wies auch Carla Reemtsma hin, die in Münster Politik und Wirtschaft studiert und als Mitglied der Fridays for Future-Bewegung aktiv ist. „Vernünftige Klimapolitik ist nicht an ein Ressort gebunden. Auch die Wirtschaftspolitik muss sich in einem klimapolitischen Rahmen bewegen.“ Rechtspopulisten würden nicht mit Klimapolitik Angst machen, sondern mit dem Klimawandel. „Die Rechtspopulisten verlagern das Problem auf Nebenschauplätze: Sie behaupten, Greta Thunberg sei krank, die Demonstrierenden der Fridays for Future schwänzten die Schule, dass China neue Kohlekraftwerke baue. Das sind dieselben Mechanismen wie in der Migrationsdebatte.“

Würden die Demonstrierenden der Fridays for Future nicht, wie die Rechtspopulisten, auch Ängste schüren, hakte Tanja Börzel provokant ein. Reemtsma wies das zurück: „Die Proteste zielen ganz klar auf einen wissenschaftlichen Konsens. Wir fordern lediglich: Hört auf den wissenschaftlichen Konsens, haltet euch an eure eigenen Abkommen.“

Klaus Jacob, Professor am Otto-Suhr-Institut, Leiter des Forschungszentrums für Umweltpolitik und der vierte Teilnehmer der Runde, warnte davor, die Erfolge der Liberalen und der Grünen bei der Europawahl vorschnell zu feiern. „Wir sind weit entfernt, das Problem gelöst zu haben. Wir müssen uns nur an die ‚Willkommenskultur‘ 2015 erinnern und wie wirksam in der Folge Institutionen und zivilgesellschaftliche Initiativen diskreditiert wurden.“ Er wies aber auch auf die mobilisierende, selbstvergewissernde Bedeutung hin, die die Rechtspopulisten für die gesamte Gesellschaft hätten: Ihre Aussagen würden Reaktionen herausfordern, in der Folge würden mehr Menschen auf die Straßen gehen.

„Ich hoffe, dass wir nicht das letzte Mal über dieses Thema diskutieren“, sagte Tanja Börzel nach zwei Fragerunden mit dem Publikum. „Bislang gab es keine Rücknahme von klimapolitischen Maßnahmen in der EU, aber Donald Trump hat bereits vorgemacht, dass es möglich ist.“

Weitere Informationen

Die Reihe Europadialog wird kooperativ organisiert vom Dokumentationszentrum Vereinte Nationen – Europäische Union der Freien Universität Berlin, dem Europäischen Informationszentrum Berlin sowie der Europa-Union Berlin e. V.