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„Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die der Leute, welche die Welt nie angeschaut haben“

Angela Merkel hielt am 26. Juni 2019 eine Rede im Henry-Ford-Bau der Freien Universität Berlin – die Bundeskanzlerin eröffnete die Jahrestagung der Alexander von Humboldt-Stiftung

04.07.2019

(v. l. n. r.): Enno Aufderheide, Generalsekretär der Humboldt-Stiftung, AvH-Präsident Hans-Christian Pape, Bundeskanzlerin Angela Merkel und Günter M. Ziegler, Präsident der Freien Universität Berlin

(v. l. n. r.): Enno Aufderheide, Generalsekretär der Humboldt-Stiftung, AvH-Präsident Hans-Christian Pape, Bundeskanzlerin Angela Merkel und Günter M. Ziegler, Präsident der Freien Universität Berlin
Bildquelle: Humboldt-Stiftung / Jens Jeske

Eine Hüpfburg und ein Schminkzelt auf dem Platz vor dem Henry-Ford-Bau, Tischtennisplatten, Softbälle und Tore auf dem Rasen – die Aufbauten ließen kaum erahnen, welch besonderen Gast die Freie Universität am 26. Juni erwartete – Einlasskontrollen und ein Pulk an Sicherheitspersonal schon eher: Keine Geringere als Bundeskanzlerin Angela Merkel besuchte die Universität, um rund 800 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus etwa 80 Ländern sowie deren Familien in Berlin zu begrüßen: Die sogenannten Humboldtianerinnen und Humboldtianer gehören dem über den ganzen Globus gespannten Forschungsnetzwerk der Alexander von Humboldt-Stiftung (AvH) an, zu deren Jahrestagung sie angereist waren.

Universitätspräsident Prof. Dr. Günter M. Ziegler (r.) begrüßte Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und den AvH-Präsidenten Prof. Dr. Hans-Christian Pape an der Freien Universität.

Universitätspräsident Prof. Dr. Günter M. Ziegler (r.) begrüßte Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und den AvH-Präsidenten Prof. Dr. Hans-Christian Pape an der Freien Universität.
Bildquelle: Jennifer Gaschler

Professor Günter M. Ziegler, Präsident der Freien Universität Berlin und damit Gastgeber des Auftakts der Jahrestagung, hieß die Kanzlerin mit herzlichen Worten im Max-Kade-Auditorium willkommen. In seiner Begrüßungsrede betonte er die große Bedeutung weltweiter Netzwerke; so wäre die Gründung der Freien Universität nach dem Zweiten Weltkrieg ohne internationale Unterstützung nicht möglich gewesen. Er erinnerte auch daran, dass vor 56 Jahren – auf den Tag genau, am 26. Juni 1963, und kaum dreißig Meter entfernt – US-Präsident John F. Kennedy vor dem Henry-Ford-Bau gestanden habe. In seiner weltberühmten Rede gab er der Freien Universität auf den Weg, „citizens of the world“ auszubilden, ganz im Sinne der Humboldtianerinnen und Humboldtianer. Vom Universitätspräsidenten als die „internationale Netzwerk-Kanzlerin“ angekündigt, betrat schließlich unter großem Beifall Angela Merkel die Rednerbühne des vollbesetzten Audimax.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hielt die Festrede bei der Jahrestagung der Humboldt-Stiftung.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hielt die Festrede bei der Jahrestagung der Humboldt-Stiftung.
Bildquelle: Humboldt-Stiftung / Jens Jeske

Zu Beginn ihrer Festrede verriet die Bundeskanzlerin einen ihrer Leitsätze, den sie – als promovierte Physikerin – bereits verinnerlicht gehabt habe, bevor sie in die Politik gewechselt sei. Sie unterstrich, „dass der Weg zu neuen Erkenntnissen über das stete Infragestellen bisherigen Wissens oder vermeintlicher Wahrheiten führt“. Dabei gedachte sie des großen deutschen Naturforschers Alexander von Humboldt (1769–1859), dem Namensgeber der AvH-Stiftung, dessen Geburtstag sich 2019 zum 250. Mal jährt. Angela Merkel würdigte ihn als aufgeschlossenen Freigeist, als „Weltenversteher und Weltenerklärer“, dem das Denken in disziplinären und nationalen Grenzen geradezu widersinnig erschienen sei. Er sei ein Vorbild auch für die moderne Wissenschaft.

Aus eigener Erfahrung wisse sie, dass die Politik in vielen Fragen auf die Beratung und den Sachverstand interdisziplinärer Wissenschaft angewiesen sei. Dabei könne es aber auch zu Spannungen kommen: Während Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach der bestmöglichen Lösung eines Problems suchten, müsse die Politik mehrheitsfähige Entscheidungen treffen. Auch in Hinblick auf den Klimawandel müssten intelligente Maßnahmen zur Reduktion der Emissionen von Kohlendoxid mit wirtschafts- und sozialpolitischen Anforderungen zusammengedacht werden. Schmunzelnd fügte Angela Merkel hinzu, dass sie die Dringlichkeit des Themas an der „wesentlichen Bewegung“ im Saal erkenne – das Publikum fächerte sich bei Außentemperaturen von mehr als 38 Grad mit Händen oder Programmheften Luft zu. „Insofern: Bleiben Sie in Bewegung!“, rief sie dem amüsiert lachenden Publikum zu.

Die Kanzlerin bekräftigte mit Nachdruck, wie wichtig es sei, Wissen über Grenzen hinweg auszutauschen und miteinander sowie voneinander zu lernen. Sie zitierte dabei einen Satz, der Alexander von Humboldt zugeschrieben wird: „Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die der Leute, welche die Welt nie angeschaut haben.“ Angela Merkel zeigte sich besorgt, dass in der Politik in internationalen Beziehungen seit geraumer Zeit der multilaterale Ansatz immer wieder in Frage gestellt werde. Deutschland müsse über die Grenzen des Kontinents hinausblicken, Austausch mit Studierenden und Forschenden aus aller Welt suchen sowie Forscherinnen und Forscher unterstützen, in deren Heimat die Wissenschaftsfreiheit beschnitten werde. Am Ende ihrer Rede stellte Angela Merkel heraus: „Wir brauchen jedes Talent, nicht zuletzt auch, um den größtmöglichen Beitrag zur Bewältigung der großen Herausforderungen unserer Zeit leisten zu können. Das sind Herausforderungen, die kein Land allein meistern kann.“

„The scientist who became a world leader“ – so sei Angela Merkel bei ihrem letzten viel beachteten Besuch einer Hochschule vorgestellt worden, erklärte der Präsident der Humboldt-Stiftung Professor Hans-Christian Pape in seiner Ansprache: Einen Monat zuvor hatte die Kanzlerin bei der Graduierten-Abschlussfeier der Harvard University in Massachusetts die Studierenden dazu aufgerufen, Mauern der Ignoranz und Engstirnigkeit einzureißen und hatte für grenzübergreifende Kooperationen plädiert. Der AvH-Präsident untermauerte in seiner Rede die Bedeutung der Wissenschaft, um die großen Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft zu meistern: vom Klimawandel, gesellschaftlichen Konflikten, über Gesundheitsfragen bis hin zur Künstlichen Intelligenz. Man müsse weder Politikerin oder Politiker noch „world leader“ sein, um die Welt zu verbessern, versicherte Hans-Christian Pape. Forscherinnen und Forscher trügen dazu bei, dass fundierte Argumente die Suche nach Lösungen leiteten. Sie sollten dem Fortschritt dienen, betonte er, ethische Grenzen respektieren und vor allem international zusammenarbeiten.

Draußen, auf der Hüpfburg, beim Tischtennis, Fußball und an der Schminkstation praktizierten die Kinder der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, der Humboldtianer, spielerisch das, wovon drinnen die Rede war: internationale Verständigung.

Weitere Informationen

Die Alexander von Humboldt-Stiftung (AvH) hat sich dem internationalen wissenschaftlichen Austausch verschrieben. Dem Netzwerk gehören der AvH zufolge zurzeit mehr als 29 000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aller Fachgebiete in mehr als 140 Ländern an. Die Jahrestagung der Stiftung dient der Begegnung von Humboldtianerinnen und Humboldtianern, die einen Forschungsaufenthalt in Deutschland absolvieren. Die meisten von ihnen arbeiten und forschen an der Freien Universität Berlin: Zwischen Anfang 2018 und der Jahrestagung förderte die AvH an der Freien Universität die Aufenthalte von 123 mit einem AvH-Stipendium oder einem AvH-Preis ausgezeichneten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Ehemaligen.