Gute Aussichten
Die diesjährige Sommer-Tour führte den Regierenden Bürgermeister Michael Müller an die Freie Universität und die Technische Universität Berlin
18.07.2019
Seine Sommer-Tour startet Michael Müller, Regierender Bürgermeister von Berlin und Senator für Wissenschaft und Forschung, bei bedecktem Himmel und 14 Grad. Er steht, begleitet von einer großen Gruppe von Medienvertreterinnen und -vertretern, vor dem Institut für Meteorologie der Freien Universität in Steglitz. Universitätspräsident Professor Günter M. Ziegler begrüßt ihn. Schuld an den wenig sommerlichen Temperaturen sind Tief Rico und Hoch Xandra: Beide zusammen lenken kühle und feuchte Meeresluft von der Nordsee ins Norddeutsche Tiefland, wie Dennis Schneider, Mitarbeiter des Vereins „Berliner Wetterkarte“ im Wetterturm des Instituts, später erklären wird.
Zunächst aber geht es in den Hörsaal: Eine lange Tradition habe die Wetterbeobachtung in Dahlem, berichtet Meteorologieprofessor Uwe Ulbrich, Dekan des Fachbereichs Geowissenschaften: Seit 1908 werden dort regelmäßige Messungen durchgeführt, das Meteorologische Institut der Freien Universität wurde 1949 gegründet.
Ulbrich erläutert, womit sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Instituts in Forschung und Lehre beschäftigen: Es geht um Wetter, Klima und Klimaänderungen, um Spannbreiten von Vorhersagen und um meteorologische Extremereignisse wie Dürren, Hochwasser und Stürme, die auch Berlin betreffen; um das Verständnis der komplexen Zusammenhänge des Klimasystems – hierfür wird das Klima der Vergangenheit betrachtet und das zukünftige Klima modelliert. Auch die Wirkung der Sonnenvariabilität auf das Erdklima wird untersucht.
Und es geht um die Luftqualität, die nicht nur von den Quellen am Boden abhängt, sondern auch vom Transport und der Entwicklung von Schadstoffen in der Troposphäre, der über Europa etwa zwölf Kilometer dicken Luftschicht, in der sich das Wetter abspielt. Im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Verbundprojekts „Stadtklima im Wandel“, an dem die Freie Universität beteiligt ist und das an der Technischen Universität koordiniert wird, soll ein hochauflösendes Stadtklimamodell für Berlin entwickelt werden: Mit einer Genauigkeit von zehn Metern soll es die Wechselwirkungen zwischen Temperatur, Feuchtigkeit, Luftturbulenzen, UV-Strahlung und Luftchemie im Stadtgebiet simulieren – im Zeitverlauf, an verschiedenen Orten und vor Szenarien des Klimawandels. Damit soll Städten ein Werkzeug an die Hand gegeben werden, mit dem sie besser planen können, auch zur Anpassung an den Klimawandel.
Mit starken Partner und über Fächergrenzen hinweg
Das alles gehe nicht ohne Partner, sagt Ulbrich. Die Berliner Wasserbetriebe etwa sind beteiligt, die Feuerwehr, das Forschungsforum Öffentliche Sicherheit der Freien Universität und die Katastrophenforschungsstelle, beide Einrichtungen im selben Haus wie das Institut für Meteorologie.
Dass Klima- und Umweltforschung längst nur über Fächergrenzen hinweg sinnvoll betrieben werden kann und auch Bereiche wie etwa Medizin und Verkehrsplanung berührt, dass vor allem aber nichts ohne Informatik und Mathematik geht – ohne die Erhebung großer, zuverlässiger Datenmengen für die Modellierung von Systemen –, das sollte sich im weiteren Verlauf des Vormittags immer wieder zeigen.
„Wie wird’s morgen?“, will Michael Müller im benachbarten Wetterturm wissen. Dort im sechsten Stock arbeiten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Diplom-Meteorologin Petra Gebauer beim Verein „Berliner Wetterkarte“ mit der Freien Universität und der MeteoGroup Deutschland GmbH zusammen, analysieren die Wetterlage, betreuen den Polleninformationsdienst und liefern Daten für Ozonwarnungen. Außerdem werden dort die meteorologischen Tiefs und Hochs getauft und an Paten vergeben, Tief „Sepp“ ist heute dran.
Vor allem Studierende decken die seit mittlerweile 111 Jahren betriebene Rund-um-die-Uhr-Augenbeobachtung des Wetters ab, die sogenannte Dahlemer Klima-Reihe. Auch Meteorologiestudent Gregor Pittke trägt durch seinen Einsatz dazu bei, dass eine der längsten Klimareihen der Welt gesichert und so die maschinelle Beobachtung ergänzt wird. Der Student – einer von 200 Bachelor- und 50 Masterstudierenden – hat sich, wie der heutige Meteorologe vom Dienst Dennis Schneider, schon als Schüler für das Wetter interessiert.
Nach einem kurzen Blick von der Aussichtsplattform des Wetterturms Richtung Charlottenburg macht sich der Tross auf den Weg zur Straße des 17. Juni: An der Technischen Universität Berlin begrüßt deren Präsident Professor Christian Thomsen den Regierenden Bürgermeister und seinen Kollegen Günter M. Ziegler.
Dass nichts ohne Mathematik läuft, bestätigt Christof Schütte, Professor für Numerische Mathematik an der Freien Universität und Präsident des Zuse-Instituts Berlin. Als Co-Sprecher des Exzellenzclusters MATH+ stellt er die Arbeit des von Freier Universität, Humboldt-Universität und Technischer Universität getragenen Clusters vor, an dem auch das Weierstraß-Institut für Angewandte Analysis und Stochastik und das Zuse-Institut Berlin beteiligt sind. MATH+ baue auf den etablierten Strukturen des 2002 eingerichteten Forschungszentrums MATHEON und der Graduiertenschule BMS auf: Institutionen- und fächerübergreifendes Forschen und Lehren seit mehr als 15 Jahren sowie die Konzentration herausragender Mathematiker an einem Ort seien der Grund, weshalb der Cluster heute erfolgreich mit US-amerikanischen Universitäten wie Stanford und Berkeley um Studienbewerber konkurrieren könne.
Mathematik, um Verkehrssysteme effizienter zu gestalten, ...
Kai Nagel, Professor für Verkehrssystemplanung und Verkehrstelematik, und Michael Joswig, Einstein-Professor für Diskrete Mathematik, beide von der Technischen Universität Berlin, berichten aus der Mobilitätsforschung. Sie fragen: Wie bewegen sich die Menschen, die in den rund 41 Millionen deutschen Haushalten leben, von einem Ort zum anderen? Wie lassen sich komplexe Verkehrssysteme effizienter gestalten, die U- oder S-Bahn-Taktung etwa oder Abläufe in Notrufzentralen?
... massenhaft vorhandene Gesundheitsdaten besser zu nutzen...
Tim Conrad, Professor für Medizinische Bioinformatik an der Freien Universität, beschäftigt sich im Rahmen von MATH+ mit der Analyse medizinischer Daten. Das Ziel: neue Verfahren zu entwickeln, um die mittlerweile massenhaft vorhandenen Gesundheitsdaten sinnvoll nutzen zu können. Es sei allerdings noch viel Forschung notwendig, sagt Conrad, um beispielsweise auch Informationen aus dem Mikrobiom – die Gesellschaft der Mikroorganismen im menschlichen Körper –, dem Proteom – die Gesamtheit der Proteine eines Lebewesens – oder dem Genom einbeziehen zu können. Diese Methoden sollen einmal dabei helfen, viel früher als heute möglich auf entstehende Krankheiten zu reagieren.
... und nicht gewolltes Kippen von Systemen zu verhindern.
Luzie Helfmann wiederum fragt sich im Rahmen ihrer Doktorarbeit am Exzellenzcluster: „Wann kippt ein System?“. Momente, in denen etwas von einem stabilen Zustand in einen anderen übergeht, seien in sozialen Systemen beispielsweise durch Gesetze verursachte Meinungs- oder Verhaltensänderungen bestimmter Gruppen. Im Bereich des Klimawandels trägt häufig der Mensch zum Kippen bei: So untersucht die Doktorandin, welchen Einfluss menschliches Handeln auf Kippelemente des Klimasystems, etwa den schmelzenden grönländischen Eisschild, hat. Mithilfe mathematischer Modelle sollen die Übergangspfade von einem Zustand zum anderen besser verständlich werden – auch, um gegebenenfalls zielführende Maßnahmen vorschlagen zu können, mit denen unerwünschte Kippprozesse vermieden werden können.
Auf stabile Verhältnisse für ihre im Jahr 2017 beschlossene Zusammenarbeit hoffen die Berliner Universitäten und die Charité, die sich im Rahmen des Exzellenzstrategiewettbewerbs gemeinsam beworben haben. Ob das erfolgreich ist, wird am 19. Juli verkündet. Die Entscheidung, in Berlin gemeinsam anzutreten, hält Günter M. Ziegler, der Sprecher des Universitätsverbunds, für eine konsequente Entscheidung, die auf eine große Stärke baue: viel mehr als in anderen Städten gebe es in Berlin „eine bewährte Kultur der Kooperation“. Der Verbund, bestätigt Berlins Bürgermeister Michael Müller, sei „der richtige Weg, der einzige, um die großen Probleme anzugehen“.
Finanzielle Förderung
Ganz unabhängig von der Exzellenzentscheidung kann sich die Berliner Wissenschaft über jährlich sechs Millionen Euro in den kommenden sieben Jahren freuen. Das hatte der Berliner Senat dem Universitäten-Verbund bereits zugesagt. Und auch die Einstein Stiftung vermeldet gute Nachrichten: Die private Damp Stiftung unterstützt mit insgesamt 30 Millionen Euro das Programm Einstein-Profil-Professur zur Förderung von internationalen Spitzenberufungen; auf diese private Spende legt der Senat noch einmal die Hälfte drauf.
Am Freitag lädt der Universitäten-Verbund zum gemeinsamen Public Viewing der Exzellenzentscheidung in die Urania ein – danach wird gefeiert. Die Entscheidung für seine Playlist stehe jedenfalls fest, verrät Ziegler. Er wird gemeinsam mit dem Charité-Vorstandvorsitzenden Professor Karl Max Einhäupl und der Vizepräsidentin der Technischen Universität Professorin Angela Ittel als DJ auftreten: „First we take Manhattan, then we take Berlin“ von Leonard Cohen und die Pet Shop Boys mit „Two divided by zero“ stünden ganz oben auf der Liste.