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Ein Leben für das Kino

Gerhard Klein, jüdischer Überlebender des Holocaust, wurde an seinem 20. Todestag mit einer Gedenktafel geehrt – sie wurde am Kino Capitol Dahlem angebracht, das Klein drei Jahrzehnte lang betrieben hat

07.01.2020

Das Kino „Capitol Dahlem“ am 14. November 2019, dem 20. Todestag von Gerhard Klein.

Das Kino „Capitol Dahlem“ am 14. November 2019, dem 20. Todestag von Gerhard Klein.
Bildquelle: Alumni-Büro Freie Universität Berlin

Gerhard Klein steht für ein Stück Berliner Kinogeschichte. Von 1956 bis 1986 war er der Leiter des Filmkunstkinos „Capitol“ an der Dahlemer Thielallee, einem der ersten Programmkinos in der Hauptstadt. Zu einer Zeit, in der die Lichtspielhäuser zumindest in West-Berlin fast ausschließlich Heimatfilme mit Marianne Koch und Rudolf Prack präsentierten, machte er die Zuschauer mit René Clair, Ernst Lubitsch und Billy Wilder bekannt. Der Besuch im Capitol Dahlem war damals für viele, vor allem für Jugendliche, eine faszinierende Begegnung mit dem europäischen Film jener Zeit.

Am 14. November, seinem 20. Todestag, wurde Gerhard Klein zu Ehren in der Thielallee 36 eine Gedenktafel eingeweiht. Die Feierstunde in den Kino-Räumen veranstalteten das Aktive Museum und das Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin gemeinsam.

Im Vorführsaal erinnerte Geschichtsprofessorin Gertrud Pickhan von der Freien Universität vor rund 50 Gästen an den „bewegten und bewegenden Lebenslauf“ des langjährigen Kinoleiters. Schon als Kind war Gerhard Klein ein gefragtes Schauspieltalent gewesen: In der 1930 uraufgeführten Bühnenfassung von Erich Kästners „Emil und die Detektive“ spielte der Zehnjährige den „Professor“, in Max Ophüls erstem Tonfilm „Dann schon lieber Lebertran“ (1931) sogar die Hauptrolle.

Die erste Massenverhaf­tung von Juden in Deutschland

1933 beendeten die Nationalsozialisten die Karriere des Dreizehnjährigen. Die Eltern waren Juden mit polnischer Staatsangehörigkeit. Am 28. Oktober 1938 wurde Gerhard Klein zusammen mit seinem Vater und seinem Bruder im Zuge der „Polenaktion“ verhaftet und gewaltsam an die polnische Grenze gebracht, wo ihnen die polnischen Grenzbeamten die Einreise verweigerten. Mindestens 17.000 polnische Juden wurden damals innerhalb von zwei Tagen aus Deutschland ausgewiesen, alleine 1500 aus Berlin, unter ihnen auch Familie Klein.

Die Gedenktafel für Gerhard Klein im Foyer des „Capitol Dahlem“.

Die Gedenktafel für Gerhard Klein im Foyer des „Capitol Dahlem“.
Bildquelle: Sören Maahs

„Die sogenannte Polenaktion von 1938 war noch bis vor wenigen Jahren kaum erforscht“, sagte Gertrud Pickhan. „Vor allem das Schicksal der damals nach Polen abgeschobenen Berliner Juden war wenig bekannt.“ Um das zu ändern, bot die Geschichtsprofessorin zusammen mit Alina Bothe 2015 ein erstes Seminar an, in dem die Studierenden eigenständig die Biografien betroffener Jüdinnen und Juden, oftmals ganzer Familien, recherchierten. Die Schicksale der Familie Klein und weiterer fünf Berliner Familien zeigte die von Alina Bothe unter Mitwirkung von Studierenden kuratierte Ausstellung „Ausgewiesen! Berlin, 28.10.1938. Die Geschichte der ‚Polenaktion‘“. Gezeigt wurde sie von Juli 2018 bis Februar 2019 im Berliner Centrum Judaicum, wo mehr als 40.000 Besucher die Geschichte der sechs Familien kennenlernen konnten; bis Ende 2019 war die Ausstellung in Warschau zu sehen.

Flucht nach Palästina

Gerhard Klein kam bei einer Familie in der polnischen Grenzstadt Zbąszyń unter, bis dem 19-Jährigen ein halbes Jahr später, im März 1939, die Flucht nach Palästina gelang. Die Spur von Gerhard Kleins Eltern Heinrich und Lina verlor sich Ende 1942. Es wird vermutet, dass sie im Vernichtungslager Treblinka ermordet wurden.

Nach Palästina brachte Gerhard Klein nicht viel mehr mit als seine leeren Hände und die Begeisterung für das Theater. Zunächst lebte er in einem Kibbuz, wo er zum Diamantenschleifer ausgebildet wurde. 1944 gründete er in Tel Aviv das bis heute bestehende avantgardistische Theater „Cameri“. Mit der festen Absicht, nach Tel Aviv zurückzukehren, reiste Gerhard Klein 1952 nach Berlin, um eine Tante zu besuchen, die als einzige ihrer näheren Familie den Holocaust überlebt hatte, berichtet Kleins Tochter Jacqueline Hopp. „Dann hat er meine Mutter, ebenfalls Jüdin, kennengelernt und blieb der Liebe wegen in Berlin.“ Es gelang ihm nicht recht, in der Theaterwelt Fuß zu fassen. Stattdessen kaufte er das Kino Capitol in Dahlem, das er bis 1986 leitete.

Von links: Professorin Gertrud Pickhan und Gerhard Kleins Töchter Madeleine Budde und Jacqueline Hopp im Kinosaal des Capitol.

Von links: Professorin Gertrud Pickhan und Gerhard Kleins Töchter Madeleine Budde und Jacqueline Hopp im Kinosaal des Capitol.
Bildquelle: Sören Maahs

Kindheit im Kino

Jeden Tag begrüßte er sein Publikum persönlich und riss vor jeder Vorstellung auch die Karten selbst ab, erzählt Jacqueline Hopp. Neben Filmvorführungen bot er das „Literarische Podium“ an, das bekannte Schauspielerinnen und Schauspieler zu Lesungen auf die kleine Bühne brachte. Durch seine Nähe zur Freien Universität hat das Villenkino immer von dem studentischen Publikum profitiert und auch sein Programm darauf zugeschnitten. Das Capitol wurde, obwohl etwas abgelegen, auch Berlinale-Theater. Mit seinen samtbezogenen Polstersitzen und dem silbernen Raffvorhang – auch „Wolke“ genannt –, ist vieles vom früheren Flair bis heute erhalten.

„Wenn man Tochter eines Kinobesitzers ist, hat man viele Freunde“, erinnert sich Jacqueline Hopp an ihre Kindheit. Mit ihrer Zwillingsschwester Madeleine Budde, die bei der Gedenkveranstaltung für ihren Vater ebenfalls anwesend war, sah sie „hunderte Filme“, besonders gern die Monsieur-Hulot-Filme von Jacques Tati und immer wieder den „Krieg der Knöpfe“ von Yves Robert. „Meine Schwester und ich waren hier zu Hause. Anfangs wohnten wir sogar in den Räumen über dem Kino.“ Die Schreie der Säuglinge sollen bis in den Vorführsaal zu hören gewesen sein, erzählt sie. Das Capitol prägte ihre Kindheit und weckte eine lebenslange Leidenschaft für den Film: „In unserem Familienbetrieb haben wir gelernt, neugierig zu sein: auf Neues und auf Fremdes. Dafür können wir unserem Vater nicht genug danken.“ Die Gedenktafel ist für die beiden Schwestern eine „würdige Erinnerung“.

Besondere Verantwortung

Seit mehr als 20 Jahren stiften die Nachkommen der Familie Klein den Gershon-Klein-Filmpreis, der jährlich beim Jüdischen Filmfestival Berlin & Brandenburg von einer Jury vergeben wird. „Der Preis erinnert an das Engagement Gerhard Kleins für den Film und die Berliner Kulturlandschaft“, sagt Jacqueline Hopp.

Als Eigentümerin der Kinovilla sei die Freie Universität auch in besonderer Weise verantwortlich, befand Gertrud Pickhan. „Es ist allerhöchste Zeit, dass man auch hier, in diesem Kino, wahrnimmt, welchen Lebensweg sein früherer Betreiber Gerhard Klein zurückgelegt und welche Verluste er zu erleiden hatte.“ Daran erinnert nun die Gedenktafel im Foyer des Kinos.