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„Mit Engagement, Flexibilität und Kreativität“

Universitätspräsident Professor Günter M. Ziegler im campus.leben-Interview über die Freie Universität im minimalen Präsenzbetrieb und die Chancen, die aus schwierigen Situationen erwachsen können

20.03.2020

Besondere Maßnahmen in Ausnahmezeiten: Die Freie Universität Berlin stellt von diesem Freitag an auf minimalen Präsenzbetrieb um.

Besondere Maßnahmen in Ausnahmezeiten: Die Freie Universität Berlin stellt von diesem Freitag an auf minimalen Präsenzbetrieb um.
Bildquelle: Dirk Laubner

Die gesamtgesellschaftlichen Anstrengungen, die derzeit unternommen werden, um die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus einzudämmen, stellen auch die Freie Universität Berlin vor neue und große Herausforderungen. Gemeinsam mit den anderen Berliner Hochschulen unterstützt sie die von der Bundesregierung und vom Berliner Senat festgelegten Maßnahmen: Soziale Kontakte sollen auf ein Minimum reduziert werden, indem keine Präsenzveranstaltungen stattfinden, Bibliotheken geschlossen bleiben und der Forschungsbetrieb eingeschränkt wird.

Ziel ist es, Studierende, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Verwaltungsangestellte und Gäste bestmöglich vor einer Ansteckung zu schützen und dazu beizutragen, eine weitere Verbreitung des Virus in Berlin zu verhindern. Auf einer Webseite, die fortlaufend aktualisiert wird, informiert die Freie Universität über Schutzmaßnahmen und darüber, wie der Präsenzbetrieb auf einen digitalen Lehr-, Forschungs- und Verwaltungsbetrieb umgestellt wird. Campus.leben sprach mit Universitätspräsident Günter M. Ziegler über die Situation, in der sich die Freie Universität angesichts der Coronavirus-Pandemie befindet.

Herr Professor Ziegler, ein Universitätspräsident trägt mit dem gesamten Präsidium große Verantwortung für eine Vielzahl von Menschen: für Studierende, die ihre Ausbildung zügig abschließen möchten, für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die ihre Forschungsarbeit nur schwer unterbrechen können, für Beschäftigte in der Verwaltung, im Service und in der Infrastruktur, die in vielen Bereichen den Betrieb kontinuierlich aufrecht erhalten müssen. Welches sind die größten Herausforderungen angesichts der aktuellen Situation?

Wichtig ist, dass wir jetzt die richtigen Prioritäten setzen – und in einer sehr dynamischen Situation gemeinsam verantwortungsvoll handeln. Die erste Priorität ist, eine weitere Ausbreitung des Coronavirus bestmöglich zu verhindern. Die zweite ist, die Kernaufgaben der Universität – Forschung und Lehre – auch unter veränderten Bedingungen sicherzustellen. Niemand kann zufrieden sein mit einem gut gemeinten, aber überhasteten Schritt, der aber nicht zielführend ist, denn die Pandemie-Maßnahmen müssen schnell greifen.


Auch Universitätspräsident Professor Dr. Günter M. Ziegler arbeitet im Home Office.

Auch Universitätspräsident Professor Dr. Günter M. Ziegler arbeitet im Home Office.
Bildquelle: Maik Machals

Es ist auch offensichtlich, dass sich die Ziele, die Sie gerade genannt haben, teilweise widersprechen, und da stehen dann auch Interessen einzelner Personen und der Gemeinschaft einander diametral gegenüber.

Zum Beispiel: Viele Studierende wollen ihr Studium fortsetzen oder auch schon in Kürze abschließen, sie müssen dafür Prüfungen ablegen, sie wollen ihre Bachelorarbeit schreiben, sie brauchen dafür Bücher aus der Bibliothek.

Die Beschäftigten möchten sich einsetzen, um die Universität am Laufen zu halten und für das Sommersemester vorzubereiten – und gleichzeitig trägt jeder und jede Einzelne große Verantwortung für sich selbst und die Gemeinschaft, für Kolleginnen und Kollegen und für Familie und Freunde, damit möglichst alle gesund bleiben.

Aber trotzdem sehe ich an unserer Universität keine Konflikte, ganz im Gegenteil: Wohin ich auch blicke – ich sehe Einzelne und Gruppen, die mit Bedacht handeln, Partikularinteressen zurückstellen und Verantwortung übernehmen, um den Beitrag der Freien Universität zu dem zentralen Ziel zu maximieren und mithelfen, die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen. Das ist großartig.

Die von der Freien Universität in Abstimmung mit dem Berliner Senat und den anderen Berliner Hochschulen eingeleiteten Schutzmaßnahmen betreffen Studierende, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Beschäftigte. Der Präsenzlehrbetrieb ist ausgesetzt. Nun wurde angeordnet, dass der Forschungsbetrieb eingeschränkt wird.Wie sieht die Situation für die an der Freien Universität in Bibliotheken, Wissenschaft, Laboren und Serviceeinrichtungen beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus? Wie lässt sich der Verwaltungsbetrieb möglichst reibungslos aufrechterhalten?

Wir werden das in Einklang bringen dadurch, dass wir die Universität in einen minimalen Präsenzbetrieb überführen. Das heißt, dass wir die Freie Universität als Ort der Wissenschaft, des Lernens und Lehrens am Laufen halten, aktiv und konzentriert das Sommersemester vorbereiten, aber eben so, dass wir uns dabei weitgehend nur noch virtuell begegnen, soziale Kontakte minimieren, indem nur noch diejenigen Universitätsmitglieder auf dem Campus sind, für die eine Anwesenheit unbedingt nötig ist.

Reibungslos wird das nicht gehen – aber mit Engagement, Flexibilität und Kreativität schon. Engagement etwa durch Arbeit von zu Hause aus, Flexibilität bei der Gestaltung der Arbeitsumgebungen, Kreativität beim Auf- und Ausbau digitaler Lösungen.

Keine Einrichtung ist auf eine Situation dieses historischen Ausmaßes umfassend und auf alle damit verbunden Fragen vorbereitet; auch wir, an der Freien Universität, nicht. Andererseits bin ich, und ist das gesamte Präsidium, beeindruckt davon, wie in diesen Zeiten alle Angehörigen der Universität an einem Strang ziehen – die Verwaltungsleitungen und die Hausmeister, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und die studentischen Beschäftigten. Und das wissenschaftsstützende Personal stützt auf eine unglaubliche und ganz neue Weise unsere Wissenschaft. Dafür möchte ich allen Mitgliedern der Freien Universität erneut meinen großen Dank aussprechen!

Eine Sitzung der Taskforce – die Gruppe berät sich derzeit täglich.

Eine Sitzung der Taskforce – die Gruppe berät sich derzeit täglich.
Bildquelle: Maik Machals

In welcher Form stehen die Leitungen der Fachbereiche und die Universitätsleitung in Kontakt? Gibt es an den einzelnen Einrichtungen dezentrale Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner?

Schnell und unbürokratisch hat das Präsidium eine Taskforce eingesetzt, die täglich tagt – immer wieder auch bis tief in die Nacht. Geleitet wird die Gruppe von dem für die Zusammenarbeit mit der Charité – Universitätsmedizin Berlin zuständigen Vizepräsidenten, dem Arzt und Neurowissenschaftler Hauke Heekeren. Er leitet die Taskforce in enger Abstimmung mit mir, gemeinsam mit der Kanzlerin, Andrea Bör, und mit Emanuel Koulouris, dem Leiter der Stabsstelle Gremien.

Mit der Taskforce arbeiten vier Arbeitsgruppen, die sich um Themen von Digitalisierung bis Studium und Prüfungen kümmern. In diesen Arbeitsgruppen kooperieren zu vier spezifischen Themen Abteilungsleitungen, Leitungen der Zentraleinrichtungen und Zentralinstitute sowie Verwaltungsleitungen der Fachbereiche eng.

Sie identifizieren wichtige Herausforderungen, entwickeln Lösungen und stehen in regelmäßigem Austausch mit den anderen Bereichen, auch wenn es Präsenzsitzungen oder -diskussionen vorerst nicht mehr geben kann. Die Verwaltungsleitungen müssen gemeinsam mit den Dekanaten beispielsweise auch definieren, was ein minimaler Präsenzbetrieb denn für ihre Verantwortungsbereiche genau bedeuten soll – das ist in der Veterinärmedizin beispielsweise etwas anderes als in der Universitätsbibliothek oder in einem geisteswissenschaftlichen Fachbereich.

Es ist sehr gut und hilfreich, dass die Freie Universität schon immer auf eine starke Autonomie und Eigenständigkeit der dezentralen Bereiche gesetzt hat, mit der starke und an die jeweiligen Bedürfnisse ausgerichtete Organisations- und Verantwortungsstrukturen verbunden sind. Diese Strukturen helfen uns gerade enorm, im Zusammenspiel der zentralen und dezentralen Einheiten auch kurzfristig an den Bedürfnissen der Bereiche orientierte Lösungen zu entwickeln. Das bedeutet – und das ist gerade in Zeiten wie diesen erfreulich festzustellen: Alle ziehen an einem Strang, und zwar in dieselbe Richtung, zugunsten der Freien Universität.

Der Beginn des Sommersemesters ist für ganz Berlin verschoben auf den 20. April. Können Sie schon abschätzen, ob es dabei bleiben wird?

Das Semester wird am 20. April starten, wir werden bereit sein. Aber eines steht auch jetzt schon fest: Es wird anders ablaufen als sonst. Es wird keine vollen Vorlesungssäle und keine intensiven Gruppenarbeiten in kleinen Seminarräumen geben, sondern Online-Veranstaltungen, virtuelle Seminare, Fragen per Chat, Diskussionen über Telefon- und Videokonferenzen und vieles mehr. Auch eine Twitter-Vorlesung ist schon in Vorbereitung.

Aber auch offline soll viel los sein, da wird das Arbeiten mit Büchern und Skripten noch mehr in den Fokus rücken. Wir werden kreativ sein müssen – aber darin sind wir an der Freien Universität gut, wie schon unsere Gründungsgeschichte zeigt. Es ist auch eine Chance, aus der ungewöhnlichen und ungeprobten Situation neue Impulse für die Hochschule zu gewinnen.

Und wenn wir der ganzen Herausforderung auch hier an unserer Universität etwas Positives abgewinnen wollen, dann vielleicht dies: Wir werden uns noch intensiver mit der Fragestellung auseinandersetzen müssen, was Lehren und was Lernen eigentlich heißt, was (in schwierigen Zeiten) eine Universität ausmacht und was ganz speziell diese Universität ausmacht.

Was empfehlen Sie den Studierenden, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Freien Universität für die kommende Zeit?

Lesen, schreiben, telefonieren, Videokonferenzen. Telefonieren: So bleiben wir in Kontakt, aber eben virtuell. Schreiben: Ich erhoffe mir, dass bis 2021 viele großartige Bücher und innovative Lehr- und Lernkonzepte sowie Veranstaltungen aus der Freien Universität entstehen – oder eben aus den Home Offices der Mitglieder der Freien Universität!

Und trotz der ernsten Lage sollten wir uns in dieser Situation auch Inspiration und Aufmunterung gönnen. Dafür habe ich unter anderen Kurt Tucholsky, Robert Gernhardt und Max Goldt im Regal. Und wie wäre es, wenn wir das gelungene Projekt „Eine Uni, ein Buch: Die Freie Universität liest Knigge. Über den Umgang mit Menschen“ verlängerten? Die Coronakrise zwingt uns ja alle dazu, über den Umgang mit Menschen nachzudenken und ihn teilweise neu auszugestalten.

Bleiben Sie gesund!

Die Fragen stellte Christine Boldt