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Kohlweißling allein zu Haus

Wie Tiere, Pilze und Pflanzen an der Freien Universität während des minimalen Präsenzbetriebes versorgt werden

09.04.2020

Kohlweißlinge werden am Institut für Biologie gezüchtet, um zu erforschen, wie sich Pflanzen gegen den Fraß ihrer Raupen verteidigen. Sie werden auch im Notbetrieb regelmäßig versorgt.

Kohlweißlinge werden am Institut für Biologie gezüchtet, um zu erforschen, wie sich Pflanzen gegen den Fraß ihrer Raupen verteidigen. Sie werden auch im Notbetrieb regelmäßig versorgt.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Um die Ausbreitung des Coronavirus‘ einzudämmen, läuft die Freie Universität Berlin seit dem 23. März im minimalen Präsenzbetrieb: Wissenschaftliche und nicht-wissenschaftliche Beschäftigte arbeiten im Homeoffice, Laborexperimente ruhen. Doch Pilze, Insekten und Pflanzen haben ihr Zuhause in Laboren und Gewächshäusern auf dem Campus und müssen dort weiterhin versorgt werden. Campusleben hat mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an den Fachbereichen Biologie, Chemie, Pharmazie sowie Veterinärmedizin gesprochen stellvertretend für viele weitere engagierte Beschäftigte, die dort den Notbetrieb aufrechterhalten.

„Wir müssen uns um Meerrettichblattkäfer, Ulmenblattkäfer, Kohlweißlinge und Kiefernbuschhornblattwespen kümmern“, sagt Johanna Schott. Die Doktorandin der Biologie arbeitet in der Arbeitsgruppe für Angewandte Zoologie / Ökologie der Tiere von Professorin Monika Hilker. Dort wird unter anderem erforscht, wie sich Pflanzen gegen Insektenschädlinge verteidigen. „Auch die dazugehörigen Futterpflanzen, verschiedene Kohlsorten, Brunnenkresse und kleine Ulmenbäumchen, brauchen Pflege. Und für die Wespen ernten wir hin und wieder frische Kiefernzweige.“

Alle packen dabei mit an – sogar die Sekretärin habe sich in die Betreuung der Tier- und Pflanzenzuchten einarbeiten lassen, um im Notfall einspringen zu können, sagt Johanna Schott. Drei Teams mit jeweils drei Personen sind an unterschiedlichen Wochentagen dran, außerdem gibt es für jedes Team mehrere Ersatzleute. Um sich während des Notbetrieb auszutauschen, nutzt die Gruppe E-Mails, Telefon, Messenger-Apps und Videokonferenzen.

„Im Frühjahr bekommen wir normalerweise zusätzliche Ulmenblattkäfer aus Frankreich geliefert. Anschließend beginnt die Hauptsaison für Experimente“, sagt Johanna Schott. Das werde in diesem Jahr wahrscheinlich schwierig. Abgesehen von der Versorgung der Bestände mussten alle Laborarbeiten unterbrochen werden, auch Proben von bereits durchgeführten Experimenten konnten nicht weiterbearbeitet werden. „Das ist ein Problem für Promovierende, die auf die Ergebnisse angewiesen sind, um ihre Doktorarbeit fertigzustellen“, sagt die Doktorandin: „Im Moment konzentrieren wir uns auf die Schreibarbeiten, die auch von zu Hause aus möglich sind.“

Auf theoretische Themen umsatteln

„Das Ganze ist eine einzige Herausforderung“, sagt auch der Biologe Matthias Rillig. „Wir sind zum überwiegenden Teil ein experimentell arbeitendes Labor, da geht es um lebende Organismen.“ Der Ökologieprofessor erforscht unter anderem, wie Böden auf eine immer größere Anzahl von menschengemachten Einflüssen reagieren und betreut die Arbeiten vieler Studierender und Promovierender, die aktuell von der Schließung der Labore betroffen sind. „Wir suchen nach individuellen Lösungen, was allerdings viel Zeit und Energie kostet.“

Einige hätten auf theoretische Themen umsatteln oder ihren Schwerpunkt auf Datenanalyse legen können, sagt Rillig. Ernste Schwierigkeiten jedoch gebe es bei Projekten, die auf die Beprobung im Feld angewiesen seien. Dort werde sich der Projektfortschritt in manchen Fällen um eine ganze Pflanzenwachstumsperiode verzögern.

Auch im Labor von Matthias Rillig ist lebendes Inventar zu versorgen: Pflanzen, Pilzkulturen und Bodentiere wie Springschwänze, Nematoden – also Fadenwürmer – und Milben. Das sei jedoch schnell erledigt. „Wir haben uns schon früh auf die Krise eingestellt und vieles heruntergefahren, um Verluste zu vermeiden“, berichtet der Wissenschaftler. So konnten einige Experimente, etwa Langzeitstudien zur Evolution von Pilzen, buchstäblich eingefroren werden.

Bienenstöcke in Dahlem, Düppel und Spandau

Für die Bienenvölker der Freien Universität kam diese Lösung nicht in Frage, denn für deren Betreuerinnen und Betreuer beginnt gerade eine heiße Phase. Benedikt Polaczek, promovierter Imkermeister am Institut für Veterinär-Biochemie der Freien Universität, ist unter anderem für die fünf Bienenstöcke verantwortlich, die in einem Garten des Instituts für Biologie stehen. Dort summt und brummt es mächtig: Die Bienen brüten seit Januar und erreichen gerade die maximale Brutmenge. Bald wollen sie „schwärmen“: Die alte Königin zieht mit einem Teil des Volkes aus, um Platz für eine junge Nachfolgerin zu schaffen. „Spätestens von Ostern an muss ich mindestens einmal pro Woche bei jedem Stock vorbeischauen, um dem Schwärmen vorzubeugen“, sagt Benedikt Polaczek. Bei ersten Anzeichen für „Schwarmstimmung“ setze er die alte Königin zusammen mit rund 10.000 Bienen in einen neuen Kasten.

Die Bienen brüten seit Januar und erreichen gerade die maximale Brutmenge.

Die Bienen brüten seit Januar und erreichen gerade die maximale Brutmenge.
Bildquelle: Anja Matys

Die Auszubildenden zur Tierwirtin und zum Tierwirt mit Fachrichtung Bienenhaltung, die Benedikt Polaczek sonst betreut, wurden aufgrund der Covid-19-Pandemie vorläufig vom Dienst freigestellt. So muss er nicht nur Bienenstöcke in Dahlem, sondern auch in Düppel und Spandau regelmäßig selbst inspizieren. „Gerade neulich habe ich bemerkt, dass eine junge Königin ihre Eier in die falschen Zellen legt“, berichtet er. Dadurch habe das Überleben des ganzen Volkes auf dem Spiel gestanden. Doch er konnte noch rechtzeitig eingreifen und eine neue Königin einsetzen.

Die nächsten Wochen werden stressig, denn bald gibt es den ersten frischen Honig zu schleudern und nebenbei bereitet Benedikt Polaczek eine digitale Version seiner Vorlesung über Bienenhaltung vor. Doch der Imkermeister ist zuversichtlich, dass er es schafft. Lebewesen müssten schließlich versorgt werden – auch wenn die Forschung gerade ruht.

Die Tiere merken nicht, dass es eine Covid-19-Pandemie gibt

Am Fachbereich Veterinärmedizin der Freien Universität herrscht in einigen Bereichen fast normaler Betrieb, denn die zum Fachbereich gehörenden Tierkliniken – die Klinik für Kleintiere, die Pferdeklinik, die Klauentierklinik, die Geflügelklinik und die Fortpflanzungsklinik – gelten als „systemrelevant“, sind daher weiterhin geöffnet und versorgen ihre Patienten.

Vor allem in der Kleintierklinik herrscht teils reger Publikumsverkehr – mit strengen Vorsichtsmaßnahmen zum Schutz aller Beteiligten –, weil etwa Hunde- und Katzenbesitzer mit ernsthaft kranken Tieren in die Sprechstunde kommen. Zudem werden Tiere mit schweren Erkrankungen auch stationär aufgenommen und gepflegt.

„In allen diesen Abteilungen haben unsere Beschäftigten zwei oder mehr Teams gebildet, die abwechselnd Dienst haben“, sagt Professor Uwe Rösler, Prodekan für Forschung und geschäftsführender Direktor des Instituts für Tier- und Umwelthygiene. Der Fachbereich wolle den Betrieb in den Kliniken so lange wie möglich aufrechterhalten. Falls ein Team wegen Covid-19-Quarantäne ausfalle, könne das andere Team einspringen. Das hieße aber leider auch: „Alle, die gerade da sind, müssen sehr viel mehr arbeiten als sonst.“

Auch die Kolleginnen und Kollegen in den Laboren für die klinische Diagnostik sowie für die Diagnostik in der Lebensmittelsicherheit und in der Tierpathologie arbeiten mit dieser Teamlösung permanent weiter.

Doch nicht nur tierische Patienten müssen versorgt werden. Für die tierärztliche Ausbildung leben auf dem Campus auch Rinder, Pferde, Schafe, Ziegen, Schweine, Hunde, Puten, Hühner und Alpakas. „Die Tiere merken gar nicht, dass es eine Covid-19-Pandemie gibt“, sagt Uwe Rösler. „Sie haben ein Anrecht darauf, genauso gut wie immer betreut zu werden.“ Laut Tierschutzgesetz müsse jeder Tierhalter seine Schützlinge mindestens einmal pro Tag versorgen und sich davon überzeugen, dass es ihnen gut gehe und sie gesund seien. „Wir füttern und kontrollieren aber zweimal am Tag, manchmal häufiger.“ Neue Tiere kämen in diesem Bereich jedoch derzeit nicht hinzu, sagt der Forschungsdekan. Man wolle die angespannte Situation für die Beschäftigten nicht noch verschärfen, denn – nicht anders als auf einem Bauernhof – rufe die Pflicht natürlich auch an den Osterfeiertagen.

Weitere Informationen

Aufgrund der Covid-19-Pandemie können die Imkerkurse, die das Institut für Veterinär-Biochemie regelmäßig zusammen mit dem Imkerverein Berlin-Zehlendorf und Umgebung e.V. veranstaltet, im Sommersemester 2020 leider nicht stattfinden.
Auch im Botanischen Garten, der zur Freien Universität Berlin gehört, ist in Corona-Zeiten alles auf Notbetrieb umgestellt. Dennoch muss dort weiter gepflegt und gegärtnert werden. Wie – das beschreibt die Biologin Gesche Hohlstein, im Botanischen Garten zuständig für Presse und Öffentlichkeitsarbeit, hier.

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