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Weißt du, wie viel’ Falter fliegen?

Um dem Verlust an Artenvielfalt entgegenzuwirken, entstehen an der Freien Universität artenreiche Wildwiesen. Die Initiative „Blühender Campus“ lädt zum Mitforschen ein.

30.07.2020

Sophie Lokatis setzt sich für schmetterlingsfreundliche Grünpflege auf den Wiesen der Freien Universität ein.

Sophie Lokatis setzt sich für schmetterlingsfreundliche Grünpflege auf den Wiesen der Freien Universität ein.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Campus Dahlem im Sommerregen: Wer viele Blüten anbietet und auf häufiges Mähen und Pestizide verzichtet, leistet einen guten Beitrag zum Schmetterlingsschutz.

Campus Dahlem im Sommerregen: Wer viele Blüten anbietet und auf häufiges Mähen und Pestizide verzichtet, leistet einen guten Beitrag zum Schmetterlingsschutz.
Bildquelle: Sophie Lokatis

Kescher, Notizblock, Becherlupe, Bestimmungsbuch, Fotoapparat – das ist die Ausrüstung eines Schmetterlingszählers. „Schmetterlinge sind mit etwas Übung leicht zu bestimmen und leichter zu zählen als andere Insekten“, sagt Alexander Caspari. Deswegen sei das Tagfalter-Monitoring ein geeignetes Citizen-Science-Projekt, also ein Forschungsprojekt, an dem sich interessierte Laien beteiligen können. Der Geografiestudent an der Freien Universität Berlin engagiert sich ehrenamtlich und zählt auf dem Campus Dahlem die tagaktiven Schmetterlingsarten. Davon gibt es in ganz Deutschland rund 180 und etwa 100 im Stadtgebiet von Berlin. 

Schon seit seinem elften Lebensjahr steht Alexander Caspari im Dienst der Wissenschaft: „Mein Vater hat mich mitgenommen, wenn er Pflanzen und Tiere kartiert hat.“ Als Transekt bezeichnet man in der Forschung einen Pfad, auf dem nach ganz bestimmten Regeln gezählt wird. Wo Hobbyforscherinnen und -forscher einen solchen Transekt einrichten, bleibt ihnen selbst überlassen. Alexander Casparis Pfad beginnt auf der naturbelassenen Wiese hinter dem Hahn-Meitner-Bau in der Dahlemer Thielalle, führt vorbei an der Veggie-Mensa und geht bis zum Henry-Ford-Bau. 

Ehrenamtliche sind an 500 Standorten bundesweit aktiv

Zwischen April und Oktober zählen Freiwillige unter der Leitung des Lepidopterologen Alexander Caspari etwa einmal pro Woche alle Falter, ihre Eier, Raupen und Puppen links und rechts entlang dieses 500 Meter langen Pfades. Gezählt wird an warmen, niederschlagslosen Tagen bei wenig Wind, sonst fliegen die Falter nicht. Die Daten werden an das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung weitergeleitet, wo sie mit den deutschlandweiten Daten zusammengeführt und ausgewertet werden. Die Erfassungsmethode wurde dabei so konzipiert, dass eine kombinierte Auswertung mit den Monitoring-Daten anderer Länder möglich ist. Seit 2005 läuft das Projekt bundesweit, derzeit sind Ehrenamtliche an etwa 500 Standorten aktiv.

Alexander Caspari auf Schmetterlingssuche vor dem Hahn-Meitner-Bau der Freien Universität.

Alexander Caspari auf Schmetterlingssuche vor dem Hahn-Meitner-Bau der Freien Universität.
Bildquelle: Sophie Lokatis

Der Hauhechel-Bläuling konnte sich auf dem Blühwiesen der Freien Universität ansiedeln. Er ist ein Grünlandbewohner, der gern über blütenreiche, nicht überdüngte Wiesen flattert. Auf dauerhaft gemähten Wiesen kann er nicht überleben.

Der Hauhechel-Bläuling konnte sich auf dem Blühwiesen der Freien Universität ansiedeln. Er ist ein Grünlandbewohner, der gern über blütenreiche, nicht überdüngte Wiesen flattert. Auf dauerhaft gemähten Wiesen kann er nicht überleben.
Bildquelle: Sophie Lokatis

Schmetterlinge zählen im Dienst der Wissenschaft 

Hauptziel des Tagfalter-Monitorings ist es, langfristige Bestandstrends aufzuzeigen. „Schmetterlinge reagieren empfindlich auf Veränderungen in ihrer Umwelt. Deswegen eignen sie sich gut als Indikatoren für den Zustand der Artenvielfalt“, erläutert Alexander Caspari.

Je länger die freiwilligen Beobachterinnen und Beobachter ihren Transekt begehen, desto aussagekräftiger werden die gesammelten Daten. „Große Bestandsschwankungen sind ganz natürlich. Zuverlässige Aussagen über die Entwicklung von Populationen lassen sich deswegen erst nach zehn Jahren treffen.“

Gelegentlich mischen sich unter die alteingesessenen auch neue Arten. Der Karstweißling, eigentlich eine wärmeliebende südliche Art, ist in den vergangenen Jahren auf vielen Transekten nördlich der Alpen gesichtet worden. Alexander Caspari hat ihn als Erster in Berlin nachgewiesen. „Diese Beobachtung machen wir bei allen möglichen Tier- und Pflanzenarten: Wird es in Mitteleuropa wärmer, rücken südliche Arten nach und verschieben ihr Verbreitungsgebiet nach Norden.“ Ob sich der Karstweißling dauerhaft in der Bundeshauptstadt etabliert, wird in einigen Jahren erkennbar sein. 

Gemeinsam für Biodiversität eintreten

Während dank Citizen-Science-Projekten wie dem Tagfalter-Monitoring die Datenmengen wachsen, schrumpfen die realen Bestände. „Die Forschung beobachtet seit Jahrzehnten, dass die Häufigkeit der meisten Schmetterlingsarten abnimmt“, sagt Sophie Lokatis. Die Doktorandin forscht und lehrt an der Freien Universität im Bereich Stadtökologie und Biodiversität. Das von Alexander Caspari organisierte Monitoring der Tagfalter auf dem Campus Dahlem ist im Rahmen eines ihrer Seminare entstanden. 

Der blühende Campus zwischen Veggie-Mensa und Henry-Ford-Bau.

Der blühende Campus zwischen Veggie-Mensa und Henry-Ford-Bau.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Stilles Insektensterben

Die Aussichten für die Falter liefern auch Anhaltspunkte dafür, wie andere Insekten reagieren werden, wenn die Erwärmung und die Intensität der Landnutzung anhalten wie bisher. „Dabei könnten wir mit geringem Aufwand stadtweit zusätzliche Lebensräume für Insekten schaffen. Wir müssten nur das häufige Mähen unterlassen“, sagt Sophie Lokatis.

Denn auf einem gemähten Rasen finden Schmetterlinge keine Nahrungspflanzen, auf der sie ihre Eier ablegen können – und um den Nachwuchs ist es geschehen. „Geht zum Beispiel die Brennnessel verloren, verschwindet auch das Tagpfauenauge.“

Um die Artenvielfalt zu fördern, hat die Doktorandin vor einem Jahr die Initiative „Blühender Campus“ ins Leben gerufen. Mehrere Grünflächen auf dem Hochschulgelände werden seitdem nur noch ein- bis zweimal im Jahr gemäht – statt wie bisher neunmal. Die Biologiestudentin Anja Proske, die das Projekt mit einer Masterarbeit begleitet, konnte zeigen, dass sich auf diesen Blühwiesen die Zahl der Insektenarten mehr als versiebenfacht hat.

In diesem Jahr wurden die Wildwiesen nicht zuletzt deshalb um große Areale rund um die Gebäude der Van’t-Hoff-Straße erweitert. 

Mehr Artenvielfalt auf dem Campus

Mit ihrem Engagement beim „Blühenden Campus“ möchte Sophie Lokatis auch einen Beitrag zu naturkundlicher Bildung leisten. „Studien belegen, dass sich vor unserer Haustür ein Massensterben abspielt.“

Um gegenzusteuern, hält die Stadtökologin es für wichtig, den sinnlichen Austausch mit der unmittelbaren Umwelt zu fördern. „Wir möchten die Menschen ermutigen, ihre direkte Mitwelt als Lebensraum für wilde Tiere und Pflanzen zu entdecken. Kennen sie die Baumarten in ihrer Wohngegend? Und die Vögel im Park? Wann haben sie zuletzt eine Raupe in der Hand gehalten?“ Wildnis und Natur seien schließlich auch in Städten zu finden, nicht nur in Naturschutzgebieten. 

Gerade Millionenstädte wie Berlin erweisen sich um ein Vielfaches artenreicher als weite Agrarflächen oder Fichtenforste, sagt Sophie Lokatis. „Das ist auf den ersten Blick zu sehen, auch wenn man es nicht wahrhaben möchte.“

Weizenfelder sollen nun mal keine Wildblumen und Tagfalter produzieren, sondern Getreide. Innerstädtische Flächen dagegen sind frei von solchen Produktionszwängen: Eine Wiese im Stadtpark muss nichts erzeugen. Deshalb finden sich dort eher Schmetterlinge, Wildbienen, Kleingetier und bunte Blumen in großer Vielfalt. „Vorausgesetzt, es wird selten gemäht und nicht gedüngt“, sagt Sophie Lokatis. 

Mit der App „iNaturlist“ kann man Tiere und Pflanzen bestimmen und sie für die Forschung kartieren.

Mit der App „iNaturlist“ kann man Tiere und Pflanzen bestimmen und sie für die Forschung kartieren.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Die Doktorandin setzt sich dafür ein, mehr Grün und Wildnis in die städtischen Strukturen zu integrieren. „Unsere Initiative zeigt, dass auch in kurzer Zeit große Erfolge erzielt werden können. Gemeinsam mit den anderen Nachhaltigkeitsakteuren wollen wir an der Freien Universität beispielhaft zeigen, wie die Transformation unserer Gesellschaft, die für eine Anpassung an Klimawandel und Biodiversitätskrise notwendig ist, im urbanen Raum aussehen kann.“ Sophie Lokatis sucht deshalb den Kontakt zum Senat, zu Bezirksverwaltungen und Naturschutzorganisationen. 

Mitmachen ist gefragt

Mitmachen ist beim „Blühenden Campus“ gefragt. Jeder und jede Interessierte kann sich an den offenen Schmetterlingszählungen beteiligen.

Hobbyforscherinnen und -forscher, die nach weiteren Tier- und Pflanzenarten auf dem Gelände der Freien Universität Ausschau halten möchten, können über die kostenfreie Smartphone-App „iNaturalist“ ihre Naturbeobachtungen mit den Forscherinnen und Forschern von der Freien Universität teilen. Die Anwendung bietet zudem Hilfestellung bei der Bestimmung von Pflanzen und Tieren. Einmal im Monat findet außerdem eine öffentliche Führung über die naturbelassenen Wiesen des Campus Dahlem statt.

Grüne Lern- und Begegnungsstätte neben dem Kino Capitol

Seit Juni gibt es ein weiteres Areal für das Projekt „Blühender Campus“: das Grundstück neben dem Kino Capitol Dahlem, gegenüber der Mensa in der Otto-von-Simson-Straße.

Um Studierenden und Interessierten einen Ort zu bieten, an dem sie „ihre Hände in einen Komposthaufen und ihre Füße in einen Teich stecken können“, soll dort ein grüner Lernort entstehen, sagt Karola Braun-Wanke, Koordinatorin der Nachhaltigkeitsinitiative „Sustain it!“ der Freien Universität. Geplant seien beispielsweise Hochbeete, Schmetterlings- und Kräuterspiralen, ein Teich, Ausstellungen und Kunst im Garten.

Für die Gestaltung und Kultivierung der Fläche werden noch helfende Hände benötigt. „Da wir noch ganz am Anfang stehen, sind weitere Ideen für die Nutzung des Gartens sehr willkommen.”

Weitere Informationen

Aktivitäten rund um die Hochschulinitiative „Blühender Campus“:

Tagfalter-Monitoring
Interessierte können sich an den Schmetterlingszählungen beteiligen. Die Begehung ist wetterabhängig und findet allgemein wöchentlich statt, Termine gerne nach Absprache. Anmeldung per E-Mail unter: bluehender-campus@nachhaltigkeit.fu-berlin.de

Geführter Wiesenrundgang
Einmal im Monat findet eine öffentliche Führung über die naturbelassenen Wiesen des Campus Dahlem statt. Nächster Termin: 5. September um 13 Uhr, Treffpunkt ist die Wildbienennisthilfe an der vegetarischen Mensa in der Van’t-Hoff-Straße 6. Mehr Informationen finden Sie hier. Anmeldung per E-Mail unter: bluehender-campus@nachhaltigkeit.fu-berlin.de

Naturbeobachtung mit dem Smartphone
Hobbyforscherinnen und -forscher, die nach weiteren Tier- und Pflanzenarten auf dem Campus Ausschau halten möchten, können über die kostenfreie Smartphone-App „iNaturalist“ ihre Naturbeobachtungen mit den Forscherinnen und Forschern der Freien Universität teilen. Die Anwendung bietet zudem Hilfestellung bei der Bestimmung von Pflanzen und Tieren. 

Grüne Lern- und Begegnungsstätte
Gärtnerinnen, Gärtner und alle anderen Interessierten können mithelfen, die Rasenfläche neben dem Kino Capitol, (Thielallee Ecke Otto-von-Simson-Straße) in einen grünen Lern- und Begegnungsort umzugestalten. Die Fläche soll zum Gärtnern und Entspannen, aber auch für Workshops und Seminare genutzt werden können. Helfende Hände sind willkommen. Jeden Freitag um 16 Uhr findet ein für alle offenes Treffen im Garten statt. Kontakt: sustain-it@fu-berlin.de