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In historischer Verantwortung gemeinsam Zukunft gestalten

Im Dezember wurde in einem digitalen Festakt die Vernetzung der Jüdischen Studien in der Wissenschaftsregion Berlin-Brandenburg mit der Hebrew University of Jerusalem besiegelt

06.01.2021

Sina Rauschenbach, Professorin für Religionswissenschaft an der Universität Potsdam und derzeitige Sprecherin des ZJS, unterzeichnete die Kooperationsurkunde.

Sina Rauschenbach, Professorin für Religionswissenschaft an der Universität Potsdam und derzeitige Sprecherin des ZJS, unterzeichnete die Kooperationsurkunde.
Bildquelle: Screenshot / Jennifer Gaschler

„Die Geschichte der Zusammenarbeit zwischen der Hebrew University of Jerusalem und der Freien Universität Berlin geht bis ins Jahr 1957 zurück“, erinnerte Professorin Verena Blechinger-Talcott, als Vizepräsidentin der Freien Universität zuständig für den Bereich Internationales. Sie moderierte die feierliche Unterzeichnung auf YouTube.

1957 hatten Studierende der Freien Universität gemeinsam mit dem Rektor einen Brief nach Israel gesendet, um den Weg für akademische Kooperation und Austauschprogramme zu ebnen.

Seit 2011 sind die deutsche und die israelische Hochschule durch eine Strategische Partnerschaft verbunden. In diesem Rahmen ist auch der neue Kooperationsvertrag entstanden, der kurz vor Weihnachten unterzeichnet worden ist und von dem die gesamte Wissenschaftsregion Berlin-Brandenburg profitieren soll. Noch stärker als bisher sollen sich so die Jerusalemer Hebrew University, das Selma Stern Zentrum (ZJS) für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg und die weiteren beteiligten Einrichtungen vernetzen.

Starke Expertise in der Region

Das 2012 gegründete ZJS mit angeschlossener Postdoc-Akademie „bündelt interuniversitäre, interdisziplinäre Aktivitäten in den Jüdischen Studien“, erläuterte Verena Blechinger-Talcott. An dem Verbund sind neben der Freien Universität die Humboldt-Universität, die Technische Universität, die Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) und die Universität Potsdam beteiligt; außerdem das das Abraham Geiger Kolleg sowie das Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien. Die Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar ist kooptiertes Mitglied. Durch den Verbund bildet das ZJS als wissenschaftliches Netzwerk das gesamte Spektrum jüdischer Studien der Wissenschaftsregion Berlin-Brandenburg ab.

In einem Kurzfilm stellte sich das ZJS dem Publikum vor den Bildschirmen vor.

In einem Kurzfilm stellte sich das ZJS dem Publikum vor den Bildschirmen vor.
Bildquelle: Screenshot / Jennifer Gaschler

Namensgeberin des ZJS ist die 1890 geborene und 1981 verstorbene Selma Stern, eine der wichtigsten Historikerinnen ihrer Generation. Die 1918 gegründete Hebräische Universität Jerusalem ist Israels führende Universität und wird in Rankings zu den 100 besten Universitäten weltweit gezählt. In unterschiedlichen Departments der Faculty of Humanities aber auch der Faculty of Law oder der Faculty of Social Sciences werden Themenfelder der Jüdischen Studien bearbeitet, die Anknüpfungspunkte für die umfassende Zusammenarbeit der Kooperation darstellen.

Wissenschaftliche Kontakte vor diplomatischen Beziehungen

Der Botschafter des Staates Israel in Deutschland, S. E. Jeremy Issacharoff, schaltete sich mit einem Grußwort zu. Strategische Partnerschaften habe er in seiner Zeit als Diplomat vor allem im politischen Kontext erlebt, umso mehr freue er sich, dass mit diesem Akt die akademische Zusammenarbeit gewürdigt werde. Der Kooperationsvertrag sei ein weiterer wichtiger Schritt für die guten Beziehungen zwischen beiden Ländern, die 1965 diplomatische Beziehungen miteinander aufgenommen haben.

Dass der Vertrag unterzeichnet werde, freue ihn auch persönlich, da sein Sohn an der Hebrew University studiere. Historische Studien, die das Bewusstsein für Geschichtserfahrung stärkten, Forschung zum Leben in der Diaspora und zum Holocaust seien Themen, bei deren Bearbeitung es wichtig sei, zusammenzuarbeiten. Und jede Begegnung von Studierenden sei ohnehin eine „Win-Win-Situation“, sagte Jeremy Issacharoff.

Als Nächste sprach I. E. Dr. Susanne Wasum-Rainer aus Tel Aviv, Botschafterin der Bundesrepublik Deutschland in Israel. Auch sie wies darauf hin, dass die wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Israel länger bestehe als die diplomatische. Auf diese Weise hätten Brücken gebaut werden können „über den Abgrund der Geschichte“: „Heute blicken wir gemeinsam auf Begegnungen und Kooperationen auf allen Ebenen: zwischen Regierungen, Ministerien, Universitäten, Forschungsinstituten, zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern.“ Der neue Kooperationsvertrag sei ein weiterer Meilenstein in dieser Zusammenarbeit.

Danach reichte Professorin Verena Blechinger-Talcott das virtuelle Mikrofon an Professorin Julia von Blumenthal weiter, Kuratoriumsvorsitzende des ZJS und Präsidentin der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder). Die Hauptstadtregion habe eine große Vielfalt an Universitäten und Forschungsinstitutionen, die zu unterschiedlichen Bereichen der Jüdischen Studien arbeiten, sagte diese: „Das ZJS vereint dabei vielfältige theoretische Zugriffe, Methoden, Perspektiven und wissenschaftliche Disziplinen von Theologie über Philologie bis hin zu Projekten in den Digital Humanities oder der Rechtswissenschaft.“

Durch Jahrestagungen, Konferenzen, Sommerschulen, Workshops und Vorlesungsreihen werde diese Vielfalt für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und die Öffentlichkeit erfahrbar. Der Kooperationsvertrag mache das Zentrum nun zu einem Knotenpunkt für internationale Forschungsexpertise und -talente.

„Raum des internationalen Netzwerkens, der Inspiration, der Freundschaften und des Austausches“

Sina Rauschenbach, an der Universität Potsdam Professorin für Religionswissenschaft mit dem Schwerpunkt Jüdisches Denken, ist derzeit Sprecherin des ZJS; sie blickte auf die acht Jahre seit der Gründung zurück: „Unser Zentrum ist nicht nur ein Ort der Forschung zur jüdischen Geschichte und Kultur, sondern auch ein wunderbarer Raum des internationalen Netzwerkens, der Inspiration, der Freundschaften und des Austausches.“

Stolz seien die Beteiligten nun, mit der Hebrew University einen wichtigen akademischen Partner in den Jüdischen Studien gefunden zu haben. Man hoffe, die enge wissenschaftliche Zusammenarbeit werde „Inspirationsquelle“ sein und der „Motor für Gedankenreisen – und bald auch wieder von tatsächlichen Besuchen“.

Digital konnten die Zuschauerinnen und Zuschauer der Online-Festveranstaltung in einem Kurzfilm durch die Wissenschaftsregion Berlin-Brandenburg reisen, bevor Sina Rauschenbach die Urkunde unterzeichnete.

Beim digitalen Festakt trafen sich der Vizepräsident der Hebrew University, Oron Shagrir (r.), und die Vizepräsidentin der Freien Universität, Verena Blechinger-Talcott. Er lud seine Kollegin nach Jerusalem ein.

Beim digitalen Festakt trafen sich der Vizepräsident der Hebrew University, Oron Shagrir (r.), und die Vizepräsidentin der Freien Universität, Verena Blechinger-Talcott. Er lud seine Kollegin nach Jerusalem ein.
Bildquelle: Screenshot / Jennifer Gaschler

Schirm und kreative Plattform

Die abschließenden Worte sprach der Vizepräsident für Internationales der Hebrew University, Professor Oron Shagrir. „Enthusiastische Unterstützung“ bringe die Universität in die akademische Partnerschaft ein. Sie teile gerne ihre breite Expertise in den Jüdischen Studien. Diese umfasse viele Bereiche wie etwa Bibel- und Talmudstudien, Philosophie, Ausbildung und Geschichte, Hebräisch und hebräische Literatur. Gespeist werden diese aus umfassenden Archiven und Bibliotheken.

Er wünschte, die neue Kooperation möge „ein Schirm sein für wissenschaftliche Beziehungen und eine kreative Plattform für Zusammenarbeit in den Jüdischen Studien und darüber hinaus“ mit gemeinsamen Forschungsprojekten und Konferenzen. Ziel sei es, eine internationale Gemeinschaft herausragender Expertinnen und Experten aufzubauen und den Austausch zu fördern – gedanklich und baldmöglichst auch wieder physisch – zwischen Lehrenden, Promovierenden und Studierenden.

Mehrere hundert Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aller Disziplinen aus Berlin-Brandenburg sind bereits an gemeinsamen Lehr- und Forschungsprojekten mit der Hebrew University beteiligt. Viele weitere werden folgen, nun, da der Vertrag besteht. Da waren sich die Festrednerinnen und -redner einig.