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Vielfalt gestalten

Vizepräsidentin Professorin Verena Blechinger-Talcott und Gabriele Rosenstreich über das Diversity-Konzept der Freien Universität Berlin

25.02.2021

Das Diversity-Konzept der Freien Universität dokumentiert die Strategie und legt Ziele und Maßnahmen für den Zeitraum 2021 bis 2023 zum Thema Diversity fest.

Das Diversity-Konzept der Freien Universität dokumentiert die Strategie und legt Ziele und Maßnahmen für den Zeitraum 2021 bis 2023 zum Thema Diversity fest.
Bildquelle: CeDiS

Das Präsidium der Freien Universität Berlin hat am 16. Februar ein Diversity-Konzept für die Freie Universität beschlossen. Es dokumentiert die Strategie und legt Ziele und Maßnahmen für den Zeitraum 2021 bis 2023 zum Thema Diversity fest. Zudem beteiligt sich die Universität am Diversity-Audit „Vielfalt gestalten“ des Stifterverbandes. Die Auftaktveranstaltung zum Verfahren findet am 26. Februar 2021 von 12.00 bis 12.45 Uhr online statt. Studierende und Beschäftigte sind eingeladen, an der Überblicksveranstaltung teilzunehmen. Interessierte melden sich bitte bis zum 26. Februar 9.00 Uhr unter der E-Mail-Adresse diversity@fu-berlin.de an.

Ein campus.leben-Interview mit der für das Thema Diversity zuständigen Vizepräsidentin der Freien Universität Berlin, Professorin Verena Blechinger-Talcott, und Gabriele Rosenstreich vom Arbeitsbereich Gender- und Diversity-Controlling, die das Auditierungsverfahren federführend begleitet.

Verena Blechinger-Talcott, Vizepräsidentin der Freien Universität

Verena Blechinger-Talcott, Vizepräsidentin der Freien Universität
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Frau Professorin Blechinger-Talcott, Frau Rosenstreich, was bedeutet Diversity?

Verena Blechinger-Talcott: Der englische Begriff Diversity lässt sich im Deutschen zunächst wortwörtlich mit „Vielfalt“ übersetzen. Die inzwischen gängige Verwendung des Begriffs „Diversity“ weist aber auf ein Konzept hin. Wer was unter „Diversity“ versteht, kann allerdings in der Praxis sehr unterschiedlich sein. An der Freien Universität haben wir unser Verständnis kürzlich in einem Diversity-Konzept formuliert.

Gabriele Rosenstreich: Die Kernidee von Diversity ist es anzuerkennen, dass es mehrdimensionale Unterschiede zwischen Menschen entlang sozialer Kategorien gibt. Es geht nicht um Charaktereigenschaften oder Lebensweisen, sondern um soziale Gruppen, die zum Bespiel hinsichtlich Geschlecht, sexueller Orientierung, Alter, Religion, Behinderung und sozialem Status konstruiert werden. Außerdem – und das ist wichtig – bedeutet Diversity, dass diese Unterschiede als etwas Positives verstanden werden.

Es wird gleichzeitig anerkannt, dass die Unterschiedlichkeit mit vielen ineinandergreifenden Ungleichheitsverhältnissen und Machtstrukturen verknüpft ist. Und diese schaffen Barrieren, die dazu führen, dass manche Gruppen von Menschen nicht den gleichen Zugang zu gesellschaftlicher Teilhabe haben wie andere Gruppen. Das Diversity-Konzept der Freien Universität sieht vor, daran zu arbeiten, dass Barrieren und Diskriminierung für mehr Chancengleichheit abgebaut werden. Somit ist Antidiskriminierung ein Teil von Diversity-Arbeit.

Gabriele Rosenstreich

Gabriele Rosenstreich
Bildquelle: Alice Salomon Hochschule

Wo liegen die Wurzeln für Diversity-Arbeit, und was brachte den Impuls für die Verbreitung?

Gabriele Rosenstreich: Die Ideen und Ziele, die mit Diversity verbunden sind, gab es lange, bevor das Konzept Verbreitung fand. Die Wurzeln der Diversity-Arbeit liegen gewissermaßen in der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung der 1950er und 1960er Jahre, die gegen strukturellen Rassismus protestiert hat und die auch in Deutschland großen Einfluss hatte. Durch die damals neuen emanzipatorischen sozialen Bewegungen wurden Rassismus, Sexismus, Homophobie und andere Diskriminierung in der breiten Öffentlichkeit angeprangert. Auch Institutionen haben reagiert, auch wenn es immer noch viel zu tun gibt.

Die Häufung rassistischer Angriffe und Morde in den 1990er Jahren in Deutschland und anderen Ländern der Europäischen Union führte zu Bewegung im deutschen Diskurs, und der Begriff Diversity wird seitdem zunehmend in Verbindung mit Konzepten wie Interkulturalität, Antidiskriminierung, Gleichstellung und Chancengleichheit gebracht.

Weite Verbreitung fand das Konzept aber erst Anfang der 2000er Jahre, als die Antidiskriminierungsrichtlinien der Europäischen Union entwickelt und 2006 auch in Deutschland im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz umgesetzt wurden. Ich selbst habe beispielsweise schon 2003 und 2004 als Trainerin Fortbildungen zu Diversity und Antidiskrimimierung in der Berliner Verwaltung im Rahmen des EU-Projekts „Berlin – Stadt der Vielfalt” angeboten. Parallel dazu fand der Begriff in Deutschland Eingang durch US-amerikanische Unternehmen und Management-Ansätze, die vor allem neue Gruppen von Beschäftigten und Kunden erreichen und binden sowie Innovation fördern wollten.

Diversity als Konzept kommt also aus zwei Richtungen, die in einem Spannungsverhältnis stehen können – einerseits aus Bestrebungen nach sozialer Gerechtigkeit und anderseits aus dem Versuch, Vorteile durch gesteigerte Kreativität und Produktivität zu ziehen.

Wo liegt Deutschland beim Thema Diversity-Arbeit im internationalen Vergleich? Welchen Stellenwert hat sie hierzulande?

Verena Blechinger-Talcott: Verglichen mit anderen Ländern ist die Auseinandersetzung mit dem Diversity-Konzept in Deutschland wie gesagt noch relativ neu, aber die Bedeutung der Diversity-Arbeit nimmt stetig zu, seit einigen Jahren insbesondere im akademischen Kontext. So haben wir an der Freien Universität 2013 ein Mission Statement Diversity veröffentlicht. Das „Diversity Audit“ des Stifterverbandes, an dem wir nun teilnehmen, wurde zwischen 2010 und 2012 entwickelt. Inzwischen haben es 50 Hochschulen abgeschlossen; weitere zehn sind dabei, darunter die Freie Universität. Auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft ist gerade dabei, forschungsorientierte Diversity-Standards zu erarbeiten.

Wir können viel von anderen Ländern lernen. So habe ich beispielsweise Anfang der 2000er Jahre an zwei Universitäten in den USA gearbeitet und dort die Selbstverständlichkeit kennengelernt, mit der Fragen der gerechten Beteiligung und des Abbaus von Benachteiligung in den Verfahren und Strukturen der Hochschulen berücksichtigt werden. Beide Universitäten, Harvard und Hamilton College, bieten regelhaft Fortbildungsveranstaltungen für Lehrende zum Thema Diversity in der Lehre an, und es gibt zahlreiche Mentoring- und Unterstützungsprogramme für Studierende aus sozialen Gruppen, die bisher an der Universität unterrepräsentiert waren. Auch etwa in Großbritannien, Kanada, Irland und Australien werden ähnliche Diskurse geführt.

Aber auch in Deutschland ist die Entwicklung rasant: So wurde beispielsweise durch die Black-Lives-Matter-Bewegung einiges an Reflexion angestoßen, und auch das neue Landesantidiskriminierungsgesetz in Berlin nimmt uns in die Pflicht, unsere Arbeitsstrukturen im Bereich Diversity weiter zu stärken.

Welche Kategorien von Diversity sind für die Freie Universität wichtig?

Verena Blechinger-Talcott: Alle Dimensionen von Diversity sind wichtig, und es hängt vom Kontext ab, welche besonders relevant sind. Wir arbeiten mit einem horizontalen Ansatz, das heißt, wir greifen alle Dimensionen von Diversity in übergreifenden Zielen und Maßnahmen auf. Wir haben, orientiert am Landesantidiskriminerungsgesetz Berlin und unserem eigenen Mission Statement Diversity, zehn Diversity-Dimensionen hergeleitet, die wir in unserer Strategie als zentral betrachten: Geschlecht (einschließlich geschlechtlicher Identität), sexuelle Orientierung, Lebensalter, Migrationsgeschichte und Rassismus, Nationalität, Sprache, Religion oder Weltanschauung, sozialer Status, Behinderung, chronische Erkrankung oder gesundheitliche Beeinträchtigung sowie sozial-familiäre Lage.

Durch einen horizontalen, zielgruppenübergreifenden Ansatz soll der Gefahr entgegengewirkt werden, stereotype Zuschreibungen zu verfestigen. Gleichwohl sieht die Universität die Notwendigkeit, für bestimmte Gruppen gezielte Maßnahmen zu entwickeln, da sie mit spezifischen Barrieren konfrontiert sind. Ein Fokus auf bestimmte Zielgruppen macht ihre Benachteiligung sichtbar und eröffnet Möglichkeiten, diese zu thematisieren und an ihrer Aufhebung zu arbeiten.

Ergänzend zu den horizontalen Zielen haben wir für die kommenden zwei Jahre einige spezifische Ziele festgelegt: Sie betreffen die Diversity-Dimensionen Behinderung, chronische Erkrankung und psychische Beeinträchtigungen, Migrationsgeschichte und Rassismus, sozialer Status und geschlechtliche Identität.

Was ist der Kern der Diversity-Strategie der Freien Universität?

Verena Blechinger-Talcott: Ihr zentraler Ansatz ist es, Diversity anzuerkennen und zu fördern und dabei gleichzeitig bestehende Ausgrenzungsmechanismen abzubauen. Diversity und Antidiskriminierung werden als zwei Seiten einer Medaille begriffen. Wir wollen für eine barriere- und diskriminierungsarme Lehr-, Lern- und Arbeitsumgebung sorgen, wertschätzende Zusammenarbeit stärken und strukturelle Chancengleichheit ermöglichen.

Unser Ziel ist es, die bereits jetzt vorhandene Vielzahl diversitätsorientierter Angebote und Maßnahmen an der Freien Universität systematisch und strategisch zu bündeln. Ein Schwerpunkt in den kommenden Jahren liegt deshalb darauf, robuste Arbeitsstrukturen und Anlaufstellen im Feld Diversity und Antidiskriminierung zu schaffen. Zudem müssen wir auch genauer in unsere Universität hineinschauen und eine systematische, auf Daten gestützte Bestandsaufnahme und Bedarfsanalyse vornehmen. Unser kürzlich verabschiedetes Diversity-Konzept dient uns in den kommenden zwei Jahren als Ausgangspunkt.

Was erwarten Sie von dem Organisationsentwicklungsprozess im Rahmen des Diversity Audit „Vielfalt gestalten“ des Stifterbandes, an dem die Freie Universität in den nächsten beiden Jahren teilnimmt?

Verena Blechinger-Talcott: Das Diversity Audit hat zum Ziel, die Chancengerechtigkeit innerhalb von Hochschulen zu erhöhen sowie diskriminierenden Mechanismen und Tendenzen durch wertschätzenden Umgang mit Diversity entgegenzuwirken. Das Audit ist ein Instrument der Organisationsentwicklung, das uns darin unterstützt, unsere eigenen Ziele und Maßnahmen zu erarbeiten und erfolgreich umzusetzen. An der Freien Universität wurde bereits zu Beginn des Auditierungsprozesses eine erste Bestandsaufnahme erstellt und unser Diversity-Konzept erarbeitet. Im weiteren Verlauf des Verfahrens soll das Konzept verfeinert und umgesetzt werden.

Wie wird dieser Prozess an der Freien Universität organisiert?

Gabriele Rosenstreich: Die schon bestehende Diversity-Governance-Struktur an der Freien Universität wird für den Auditierungsprozess eingesetzt. Das Verfahren wird durch eine externe Person begleitet; es findet auch ein Austausch mit anderen Hochschulen statt, dessen Ergebnisse und Impulse wiederum in unseren internen Prozess zurückfließen. Wenn es uns gelingt, am Ende des zweijährigen Verfahrens die festgelegten Ziele und Maßnahmen erfolgreich umgesetzt zu haben, erhalten wir eine Zertifizierung. Mithilfe der externen Expertise und des sehr partizipativen Auditprozesses, hoffen wir, ein Gerüst zu schaffen, auf das wir in unserer Diversity-Arbeit über viele Jahre aufbauen können.

Das Diversity-Leitungsteam der Freien Universität besteht aus elf Mitgliedern, die den Prozess strategisch unterstützen, zum Beispiel bei der Entwicklung von Zielen. Die 25 Mitglieder des Diversity-Plenums beraten bei der Ausgestaltung der Maßnahmen, etwa bei der Einrichtung von Arbeitsgruppen und der Definition von Erfolgskriterien.

Die übergreifende Leitung des Prozesses liegt bei Verena Blechinger-Talcott und mir, aber es werden viele Personen aller Statusgruppen mitarbeiten, sowohl im Rahmen der Governance-Struktur als auch bei der Umsetzung der Maßnahmen.

Der Audit-Prozess beginnt offiziell mit einer Veranstaltung am 26. Februar. Wie können sich Hochschulangehörige in den Prozess einbringen?

Gabriele Rosenstreich: Nach der Informationsveranstaltung für alle Mitglieder der Freien Universität an diesem Freitag nimmt das Plenum seine Arbeit auf. Es können sich aber auch andere Hochschulmitglieder einbringen, in Arbeitsgruppen und vielen anderen Formen. Dazu werden wir Einladungen über unsere neue Mailingliste Diversity@FU verschicken. Auch werden Arbeitsstellen und Gremien gegebenenfalls gebeten, Personen für bestimmte Aufgaben zu benennen. Darüber hinaus gibt es natürlich die Möglichkeit, an Veranstaltungen und Fortbildungen teilzunehmen oder sich bei Befragungen einzubringen, etc. Es sind 51 Maßnahmen geplant, die alle sehr unterschiedlich sind, dementsprechend sind die Formen der Mitarbeit auch sehr unterschiedlich.

Wie wird Diversity an der Freien Universität bereits jetzt bewusstgemacht?

Verena Blechinger-Talcott: Es gibt schon eine Reihe von Maßnahmen im Arbeitsfeld Diversity. Zum Beispiel haben wir mit der Toolbox Gender und Diversity in der Lehre eine wunderbare Ressource für Lehrende.

Vieles ist aber noch zu wenig sichtbar. Wir wollen über das Bekanntmachen hinaus die Sensibilität fördern und den Diskurs an der Universität stärken, als Grundlage für unsere weitere Arbeit. Kommunikation ist deshalb ein Schwerpunkt. Wir arbeiten derzeit an einem umfassenden Diversity-Webportal, das den Zugang etwa zu Beratungsangeboten und Ressourcen erleichtern wird. So haben zum Beispiel trans*, inter* und nichtbinäre Personen jetzt schon die Möglichkeit, ihre Namen auf digitalen Lehrplattformen selbst zu bestimmen, aber viele wissen das nicht. Ein Angebot muss bekannt sein, sonst kann es nicht in Anspruch genommen werden und dabei helfen, Diskriminierung abzubauen. Um Lücken in unseren Strukturen zu füllen, wollen wir in den kommenden Jahren bedarfsgerechte Diversity- und Antidiskriminierungsstrukturen ausbauen und stärken.

Ohne das Ergebnis des Audits vorwegnehmen zu wollen: Wenn Sie es in wenigen Kernaussagen zusammenfassen müssten, was könnte das Ergebnis für die Universitätsgemeinschaft sein?

Verena Blechinger-Talcott: Wir arbeiten daran, dass die Wertschätzung für Vielfalt an unserer Universität noch selbstverständlicher und sichtbarer wird und alle Mitglieder der Freien Universität Unterstützung finden, wenn sie sie brauchen. Wir möchten eine Atmosphäre an der Universität schaffen, die alle Beschäftigten, Lehrenden und Studierenden in die Lage versetzt, sich zu entfalten und in einer diskriminierungsfreien Umgebung zu arbeiten. Zudem gehört eine kritische Reflexion über die Vielfalt der Mitglieder und ihre spezifischen Bedürfnisse zum Selbstverständnis unserer Universität. Alle Universitätsangehörigen sollen sich mit ihren Wünschen und Erfahrungen einbringen und Diversity in die eigene Arbeit oder das Studium stärker einbeziehen können.

Die Fragen stellten Stephan Töpper und Carsten Wette

Weitere Informationen

Die Auftaktveranstaltung zum Verfahren findet am 26. Februar 2021 von 12.00 bis 12.45 Uhr online statt. Studierende und Beschäftigte sind eingeladen, an der Überblicksveranstaltung teilzunehmen. Interessierte melden sich bitte bis zum 26. Februar 9.00 Uhr unter der E-Mail-Adresse diversity@fu-berlin.de an.