Mit Komik gegen die Schwere der Zeit – Steffen Mensching ist Berliner Literaturpreisträger und Gastprofessor an der Freien Universität
Der Autor und Theaterintendant wurde am 30. März im Roten Rathaus ausgezeichnet und auf die Gastprofessur für deutschsprachige Poetik an der Freien Universität berufen
31.03.2022
„Das ist eine Sensation!“ sagte Laudator Friedrich Dieckmann: „Ein Berliner erhält den Berliner Literaturpreis“. Trotz vieler bekannter Namen auf der Liste – dazu zählen etwa Olga Martynova, Reinald Götz, Ilja Trojanow und Herta Müller – sei die Auszeichnung noch nie an einen Berliner, und schon gar nicht an einen „Ur-Berliner“ wie den 1958 in Ost-Berlin geborenen Steffen Mensching verliehen worden.
Und so stand die Verleihung des Berliner Literaturpreises der Stiftung Preußische Seehandlung, die nach zwei Jahren erstmals wieder im Roten Rathaus in Präsenz stattfinden konnte, ganz im Zeichen des Berlinischen – und jenes trockenen Humors, den Friedrich Dieckmann in seiner Rede als charakteristisch für die Menschen in der Hauptstadt erklärte.
Schreiben in der Tradition der „Berliner Aufklärung“
Der Schriftsteller, selbst Verfasser zahlreicher Essays und Sachbücher, von Lyrik und Erzählungen, zeichnete den Weg Menschings nach: Von den ersten Gedichten als Student der Humboldt-Universität über Auftritte als „Weißclown“ mit seinem Partner Wenzel in einem berühmt-berüchtigten Bühnenprogramm in den 1980er-Jahren bis hin zu seiner jetzigen Tätigkeit als Intendant des Theaters Rudolstadt und Autor von buchstäblich schwergewichtigen Romanen: Für „Schermanns Augen“, 2018 bei Wallstein erschienen, 820 Seiten, wurde Steffen Mensching im Roten Rathaus von der Jury insbesondere ausgezeichnet. Wegen seines Bestrebens „unter verschiedenen Bedingungen“ immer wieder „demokratische Räume herzustellen“, müsse man Mensching in der Tradition der „Berliner Aufklärung“ sehen, sagte Laudator Dieckmann.
Berufung auf die Gastprofessur für deutschsprachige Poetik
Eine Haltung der „Zuversicht, Leichtigkeit und auch stets ein bisschen Humor“ trotz der „Schwere der eigentlichen Feststellung“ las der Präsident der Freien Universität Berlin, Professor Günter M. Ziegler, in Steffen Menschings Versen: In dem neuesten, mitten im Pandemiejahr 2021 erschienenen Gedichtband heißt es „mit einem Augenzwinkern“: „die jüngste / Vergangenheit hat in diesem Land / zum gegenwärtigen Zeitpunkt / nicht die Spur einer Zukunft.“
Universitätspräsident Ziegler berief den Autor auf die Gastprofessur für deutschsprachige Poetik an der Freien Universität Berlin, wo er im Sommersemester eine Literaturwerkstatt für literarisch interessierte Studierende aus Berlin und Potsdam anbieten wird.
Wenn sich Literatur und Wirklichkeit überlagern
„Herr Professor Ziegler, damit haben Sie dem Herrn Mensching auch eine ganze Menge Arbeit geschenkt“, griff die Regierende Bürgermeisterin von Berlin, Franziska Giffey, die Ernennung in ihrer Preisrede auf. „Denn das ist ja auch eine Aufgabe, so eine Gastprofessur an der Freien Universität.“ Zu diesem Gastprofessor könne man der Freien Universität nur gratulieren, so die Regierende Bürgermeisterin.
In ihrer Ansprache ging Franziska Giffey auch auf die derzeitige politische Situation in der Ukraine und die Folgen für Berlin ein, die sie bei ihrer Arbeit vor Ort täglich erlebe: 10.000 Geflüchtete kämen jeden Tag in Berlin an, Menschen, die alles verloren hätten, die aus einem Alltag herausgerissen wurden, der für uns selbstverständlich sei.
Wie als Antwort auf die von Franziska Giffey geschilderten Szenen an den Berliner Bahnhöfen las Steffen Mensching in seiner Replik eine Szene von berührender Aktualität aus „Schermanns Augen“: Die Passage spielt 1939 in Lemberg, damals zu Polen gehörig: Lwów, dem heutigen ukrainischen Lwiw. Dorthin waren viele Menschen aus dem Osten des Landes vor dem Krieg geflüchtet und hausten in ehemals eleganter Kleidung in Zeltstädten und Parkanlagen, Unterkünfte sind nicht mehr zu haben.
Schweres und Leichtes nebeneinander
Kann man eine Preisverleihung in einer so schweren Zeit überhaupt feiern, hatte Hans Gerhard Hannesen, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Preußische Seehandlung, in seiner Begrüßung gefragt. Schweres und Leichtes lag an diesem Abend im Roten Rathaus ähnlich nah nebeneinander wie im Werk des Ausgezeichneten. Etwa als Franziska Giffey neben der Preisurkunde Steffen Mensching auch einen Porzellanbären mit einem Muster aus Blumen und Früchten überreichte.
Für Leichtigkeit sorgten auch die Chansons, die Menschings ehemaliger Bühnen-Partner, der Musiker Wenzel, mit Akkordeon und Gitarre vortrug, und damit akustisch an jene Zeit in den späten 1980er- und frühen 1990er-Jahren erinnerte, als die beiden als „Karls Enkel“ und „Mensching und Wenzel“ auf den Kleinkunstbühnen auftraten. Steffen Mensching nahm Porzellanbär, Preis und Professur mit Humor. Er freue sich auf den Austausch mit den Studierenden, sagte er. Er sei sicher der, der am meisten dabei lerne.
In der ersten Reihe saß an diesem Abend auch Margot Friedländer, vor 100 Jahren in Berlin geboren, Überlebende des Holocausts. Auch in ihrer Biographie bleiben das Schwierige in Geschichte und Gegenwart präsent. In den Worten Steffen Menschings: „Berlin bleibt ein Ort, an dem Vergangenheit Warnung und Gegenwart Verpflichtung ist.“