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Zeitenwende für die deutsch-amerikanischen Beziehungen: Amy Gutmann an der Freien Universität Berlin

Die neue US-Botschafterin in Deutschland hat in Dahlem ihre erste offizielle Rede gehalten

07.04.2022

Bei ihrer Rede an der Freien Universität Berlin formulierte die Botschafterin die drei Ziele ihrer Amtszeit: die transatlantischen Beziehungen stärken, die Demokratie verteidigen und Innovationen inklusiv gestalten.

Bei ihrer Rede an der Freien Universität Berlin formulierte die Botschafterin die drei Ziele ihrer Amtszeit: die transatlantischen Beziehungen stärken, die Demokratie verteidigen und Innovationen inklusiv gestalten.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Vor genau einem Jahr erhielt Amy Gutmann einen Anruf von Joe Biden. Der US-Präsident fragte sie, ob sie Botschafterin in Deutschland werden wolle. Biden sei auch auf Gutmanns Familiengeschichte zu sprechen gekommen: Ihr jüdischer Vater stammte aus dem fränkischen Feuchtwangen, 1934 musste er mit seiner Familie aus Nazi-Deutschland fliehen. Zunächst nach Indien, nach dem Ende des Krieges siedelte er nach New York über, wo Amy Gutmann 1949 geboren wurde.

Amy Gutmann erwarb als erste ihrer Familie einen Universitätsabschluss und machte sich einen Namen als Politikwissenschaftlerin. Als Präsidentin der Universität von Pennsylvania hat sie sich dafür eingesetzt, die Spitzenuni für Studierende aus einkommensschwachen Familien zu öffnen.

„Ich habe nie zu träumen gewagt, Botschafterin in dem Land zu werden, aus dem mein Vater einst fliehen musste“, sagte sie am Dienstag an der Freien Universität Berlin, ihrem ersten großen öffentlichen Auftritt im neuen Amt. Der Mut und die Weitsicht ihres Vaters hätten das Leben ihrer Familie gerettet. „Mein Vater hat mich gelehrt, wie wichtig es ist, sich gegen alle Formen von Hass und Diskriminierung zu wehren“, erklärte die 72-jährige Diplomatin und erste Frau überhaupt an der Spitze der deutschen US-Botschaft.

Dr. Amy Gutmann: Die neu ernannte US-Botschafterin und ehemalige Präsidentin der University of Pennsylvania hielt an der Freien Universität Berlin eine Rede. Anschließend beantwortete sie in einem Gespräch ...

Dr. Amy Gutmann: Die neu ernannte US-Botschafterin und ehemalige Präsidentin der University of Pennsylvania hielt an der Freien Universität Berlin eine Rede. Anschließend beantwortete sie in einem Gespräch ...
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Wiederherstellung guter transatlantischer Beziehungen

Einhundert Gäste – darunter einige Studierende des John-F.-Kennedy-Instituts für Nordamerikastudien, vor allem aber geladene Vertreterinnen und Vertreter von Medien und deutsch-amerikanischen Einrichtungen – hatten sich am Dienstag in einem Hörsaal im Henry-Ford-Bau der Freien Universität versammelt, um Amy Gutmann zu hören.

Ein symbolträchtiger Ort in mehrfacher Hinsicht, denn ohne die Unterstützung der Amerikaner wäre die Gründung der Universität im Jahr 1948 undenkbar gewesen. In seiner Begrüßungsansprache erinnerte Universitätspräsident Günter M. Ziegler daran und an die historische Rede, die John F. Kennedy im Juni 1963 auf dem Campus in Dahlem gehalten hat – nur wenige Stunden nach seinem Satz „Ich bin ein Berliner“ vor dem Schöneberger Rathaus: „The Free University must be interested in turning out Citizens of the World“, hatte Kennedy damals auf dem Vorplatz des Henry-Ford-Baus als Auftrag an die junge Universität formuliert.

Dass sich die Botschafterin an diesem Aprilvormittag mit der Wahl des Ortes für ihre Rede knapp 60 Jahre nach Kennedys Besuch in dessen Tradition sieht, darf angenommen werden. Der Ort – die Freie Universität Berlin – ist außerdem ein Beispiel dafür, wie fruchtbar konsequente Unterstützung und die Investition in demokratische Strukturen sein können. Was für die nur drei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mithilfe der Amerikaner gegründete Freie Universität gilt, kann ein Konzept auch für die Gegenwart sein.

... auch Fragen aus dem Publikum. Rechts: Botschafterin Dr. Amy Gutmann, links Moderatorin Michaela Küfner von der Deutschen Welle.

... auch Fragen aus dem Publikum. Rechts: Botschafterin Dr. Amy Gutmann, links Moderatorin Michaela Küfner von der Deutschen Welle.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

So kam Amy Gutmann auf den Krieg in der Ukraine zu sprechen. Die Botschafterin ließ keinen Zweifel an ihrer Überzeugung, dass der Angriffskrieg Russlands die Welt dauerhaft verändern werde. Mehrfach griff sie in ihrer englischsprachigen Rede zum deutschen Begriff der „Zeitenwende“. „Wir stehen an einem Wendepunkt der Geschichte, der eine kreative und energische Verteidigung unserer ureigensten Werte erfordert“, sagte sie. Zu diesen Werten gehöre auch „der freie und lebendige Austausch von Ideen, der an den Universitäten stattfinden muss“.

Geschlossenheit der Bündnispartner

Für ihre Amtszeit formulierte Amy Gutmann drei Ziele: die transatlantischen Beziehungen stärken, die Demokratie verteidigen und Innovationen inklusiv gestalten, damit möglichst viele Menschen zur Bewältigung globaler Probleme beitragen können.

„Gemeinsam mit unseren Verbündeten werden wir Herrn Putin immer höhere Kosten für seinen brutalen, selbstgewählten Krieg auferlegen“, sagte die US-Botschafterin. Die Entscheidung der Bundesregierung, 100 Milliarden Euro in die Bundeswehr zu investieren, nannte sie „mutig und historisch“. Denn es gehe nicht nur um die Modernisierung der Streitkräfte, es gehe um die Verteidigung der Demokratie.

Im Publikum saßen geladene Gäste der US-Botschaft, vor allem von US-amerikanischen Einrichtungen. Auch Studierende des John-F.-Kennedy-Instituts waren dabei.

Im Publikum saßen geladene Gäste der US-Botschaft, vor allem von US-amerikanischen Einrichtungen. Auch Studierende des John-F.-Kennedy-Instituts waren dabei.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Für die deutsche Zurückhaltung gegenüber einem sofortigen Embargo für russisches Öl und Gas zeigte Amy Gutmann Verständnis: „Wir müssen sicherstellen, dass unsere Maßnahmen der Ukraine mehr helfen, als sie uns schaden“, sagte sie in der Fragerunde zu Moderatorin Michaela Küfner von der Deutschen Welle. Sie habe aber den Eindruck, Deutschland tue alles, um sich möglichst rasch von Gas aus Russland unabhängig zu machen.

In jeder Herausforderung, so die Botschafterin, liege immer auch eine Chance – das sei aus ihrer Sicht kein naiv-amerikanischer Glaubenssatz, sondern die Wahrheit.

Die nächste Generation an den Tisch bringen

Amy Gutmann fand viele lobende Worte für die deutsch-amerikanische Partnerschaft. Und nur zusammen könne man auch gegen Chinas „unfaire Handelspraktiken und Menschenrechtsverletzungen“ vorgehen. China habe die Wahl, ein wettbewerbsfähiger Partner zu sein oder „ein Gegner unserer Werte und Ideale“.

Ihre eigene Rolle sieht Gutmann nicht nur als Abgesandte Amerikas in der Weltpolitik. Sie möchte vor allem mit jungen Menschen ins Gespräch kommen. Sie sei beeindruckt von der Kreativität und dem Engagement junger Menschen in Deutschland und den USA, ganz gleich, ob es um „grüne Volkswirtschaft geht, die Menschenrechte oder humanitäre Hilfe“. Nicht erst seit ihrer Zeit als Universitätspräsidentin liebe sie den Gedankenaustausch mit jenen, „die unsere Zukunft gestalten werden“.

In der Diskussionsrunde ermutigte Amy Gutmann eine Studentin des John-F.-Kennedy-Instituts der Freien Universität ausdrücklich, sich mit eigenen Vorschlägen an die Botschaft zu wenden: „Sie brauchen sich nur zu melden – wir vernetzen Sie dann.“