Ein Zeichen gegen Rassismus, seine Verleugnung und das Vergessen
Gedenken an den Biochemie-Doktoranden Mahmud Azhar: Universitätsangehörige erinnerten an den tödlichen Angriff vor 32 Jahren und riefen zu gemeinsamem Handeln gegen Rassismus und Gewalt auf
29.04.2022
„Das Gedenken an Mahmud Azhar und die damit verbundene Verpflichtung zum Kampf gegen Rassismus darf sich nicht auf Jahrestage beschränken", sagte Universitätspräsident Professor Günter M. Ziegler.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher
Im Foyer des Hahn-Meitner-Baus stehen etwa 30 Menschen im Halbkreis um die Gedenkplakette. Gekommen sind neben Studierenden auch Beschäftigte der Universität, darunter Mitglieder des Präsidiums und des Akademischen Senats.
Sie erinnern an diesem 27. April 2022 an den Biochemie-Doktoranden Mahmud Azhar, der vor 32 Jahren an den Folgen eines rassistischen Überfalls auf dem Campus der Freien Universität starb. Da das Gebäude des damaligen Instituts für Biochemie am Ostpreußendamm 111, wo sich die Tat ereignete, heute nicht mehr zum Campus der Freien Universität gehört, war die Gedenktafel im März 2022 in den Hahn-Meitner-Bau, den heutigen Sitz des Instituts, verlegt und um ein Informationsschild ergänzt worden. Die öffentliche Gedenkveranstaltung zum 30. Todestag war ursprünglich für April 2020 geplant gewesen und musste wegen der Corona-Pandemie zweimal verschoben werden.
„Rassismus gedeiht da, wo er geleugnet wird“, zitierte Universitätspräsident Professor Günter M. Ziegler den senegalesischen Politologen Doudou Diène. „Lassen Sie uns in unserer Erinnerung an den Überfall und den Tod Mahmud Azhars ein deutliches Zeichen gegen Rassismus, dessen Verleugnung und das Vergessen setzen. Das ist unsere Pflicht als Universitätsgemeinschaft gegenüber allen Menschen, die rassistischer Diskriminierung bis heute ausgesetzt sind – ganz gleich wo.“
Dunkle Seiten der Institutsgeschichte
Blick ins Foyer des Hahn-Meitner-Baus. Dort fand die Gedenkveranstaltung statt.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher
Am 7. Januar 1990 war der damals 39-jährige Mahmud Azhar auf seinem Heimweg von einem Mann rassistisch bedroht worden. Als er sich in das Gebäude des Biochemie-Instituts flüchtete, um Hilfe zu rufen, schlug ihm der Angreifer einen Feuerlöscher auf den Kopf. Zwei Monate später erlag der Doktorand seinen Verletzungen. Mahmud Azhar war in Pakistan aufgewachsen und hatte in Berlin an seiner Dissertation gearbeitet, die er im Mai 1990 abschließen wollte.
Universitätspräsident Ziegler erklärte, es sei nicht erst dann Rassismus, wenn ein pakistanischer Doktorand aufgrund seines Aussehens angegriffen werde. Rassismus beginne viel früher, und Betroffene erlebten ihn nicht selten auch in subtiler Weise. Davor schützen könnte die Einrichtung von Anlaufstellen, die Vermittlung antirassistischer Bildung sowie „Selbstreflektion und kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Denken“. Ziegler würdigte zudem das Engagement der Studierendenschaft als „Triebkraft“ des Erinnerns.
Mahmud Azhar ins Gedächtnis zurückbringen
Erinnern an Mahmud Azhar: Universitätspräsident Günter M. Ziegler legt an der Gedenktafel Blumen nieder.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher
Das Erbe des Fachbereichs Biologie, Chemie, Pharmazie umfasse neben großartigen Forschungspersönlichkeiten auch die dunklen Seiten der Institutsgeschichte, sagte Professor Matthias Melzig, Dekan des Fachbereichs. Melzig mahnte, dass die Freiheit der Wissenschaft untrennbar mit der Freiheit der Menschen, die Wissenschaft betreiben, verbunden sei. Die Erinnerung an Mahmud Azhar verlange von den Angehörigen der Universität, Studien- und Forschungsbedingungen zu schaffen, unter denen sich alle Studierenden und Forschenden wohlfühlen und die gleichen Freiheiten in Anspruch nehmen könnten.
Lilli Wagner, die für den Allgemeinen Studierendenausschuss sprach, begrüßte den Entschluss der Universität, Mahmud Azhars Schicksal zurück in das institutionelle Gedächtnis zu bringen: „Dass die Freie Universität ein offizielles Gedenken ausrichtet, ist keine Selbstverständlichkeit. Es geschieht zum ersten Mal seit 1990.“
Rassismus ist kein Phänomen der 90er Jahre
Lilli Wagner studiert Sozialpädagogik und Englisch auf Lehramt. Sie will das Andenken an Mahmud Azhar wiederbeleben und wachhalten.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher
Die Studentin wies darauf hin, dass die gesellschaftliche Verdrängung rechter Gewalt bis heute anhalte. Seit 1990 seien in Deutschland mindestens 218 Menschen durch rechte oder rassistische Gewalttaten ums Leben gekommen. Wie viele andere Gewalttaten sei auch der Überfall auf Mahmud Azhar zunächst nicht als rechtsextremistisch motiviert wahrgenommen worden. Der Täter kam mit einer einjährigen Bewährungsstrafe davon. Das Gericht hatte weder eine Tötungsabsicht noch Rassismus als Tatmotiv erkennen können.
Mahmud Azhar hatte sich an jenem 7. Januar 1990 nicht gegen den Angreifer gewehrt – aus Angst, die Polizei könne ihm die Schuld geben und seine Aufenthaltsgenehmigung beenden, zitierte Lilli Wagner aus dem Gesprächsprotokoll eines Freundes, der Azhar im Krankenhaus besucht hatte.
Am Ende der Veranstaltung legte Universitätspräsident Günter M. Ziegler ein Blumengesteck an der Gedenktafel nieder und bat um einen Moment des stillen Gedenkens.
Weitere Informationen
Audiobeitrag zum Tod von Mahmud Azhar
Was am Abend des 7. Januar 1990 am Ostpreußendamm 111 in Berlin Lichterfelde, dem damaligen Sitz des Instituts für Biochemie der Freien Universität Berlin, geschah, ist in Polizeiakten und Zeitungsberichten festgehalten. Wie aber kam es zu dem rassistisch motivierten Angriff auf den aus Pakistan stammenden Wissenschaftler Mahmud Azhar? Wer war der aus der DDR stammende 25-jährige Täter?
Im Audiobeitrag „Der Tod von Mahmud Azhar“ reflektiert Journalist Philipp Eins gemeinsam mit Jochen Staadt, Projektleiter im Forschungsverbund SED-Staat der Freien Universität, das Geschehene. Das Hörfeature wurde im Jahr 2020 aus Anlass des 30. Todestags Mahmud Azhars produziert.
Weitere Informationen
Die AG Gedenken des AStA erreichen Sie über diese E-Mail-Adresse: gedenken-azhar@astafu.de