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„Internationalisierung – jetzt erst recht!“

Britta Piel und Herbert Grieshop im Interview zu den Kürzungen von DAAD-Mitteln – und wie der Ausbau der Internationalisierung dennoch gelingen kann

21.07.2022

Gelebte Internationalität: Bei der Staff training week im Juni kamen kamen Universitätsmitarbeitende aus 35 Ländern zu einer Weiterbildung an der Freien Universität zusammen.

Gelebte Internationalität: Bei der Staff training week im Juni kamen kamen Universitätsmitarbeitende aus 35 Ländern zu einer Weiterbildung an der Freien Universität zusammen.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

In der Wissenschaftswelt herrscht Unruhe. Nachdem bekannt geworden war, dass das Bundesministerium für Bildung und Forschung Gelder streicht und die Förderung laufender Forschungsprojekte stoppt, kündigte jetzt der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) an, von Budget-Kürzungen durch das Auswärtige Amt betroffen zu sein: „Das Angebot an Stipendien und in der Mobilitätsförderung in Projekten deutscher Hochschulen muss daher kurzfristig und umfassend reduziert werden; allein rund 6.000 Stipendien könnten wegfallen“, heißt es auf der DAAD-Webseite.

Was bedeutet das für die Freie Universität Berlin, deren Vielfalt an internationalen Kooperationen zu ihrem Markenzeichen gehören? „Internationalisierung – jetzt erst recht!“, müsse die Antwort auf die Streichungen sein, sagt Herbert Grieshop. Ein Interview mit dem Leiter der Abteilung Internationales und Britta Piel, Leiterin des „Center for International Cooperation“ der Freien Universität.

Frau Piel, Herr Grieshop, inwiefern ist die Freie Universität von den angekündigten DAAD-Kürzungen betroffen?

Dr. Herbert Grieshop leitet die Abteilung Internationales der Freien Universität Berlin.

Dr. Herbert Grieshop leitet die Abteilung Internationales der Freien Universität Berlin.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Herbert Grieshop: Das INTEGRA-Programm, mit dem wir in den vergangenen Jahren Programme und Sprachkurse für geflüchtete Studierende aufgelegt haben, wird nicht fortgesetzt. Das ist ein Schlag für uns. Seit 2015 konnten wir durch INTEGRA 60 bis 70 geflüchtete Studierende pro Jahr fördern. Wir hatten uns fest auf die Fortsetzung eingestellt, um Geflüchtete aus der Ukraine unterstützen zu können.

Neben weiteren Programmen sind es vor allem individuelle Förderungen, die betroffen sind: zum Beispiel Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler der Freien Universität Berlin, die beim DAAD Gelder für Kongress- und Vortragsreisen beantragt haben. Diese Mittel sind mit sofortiger Wirkung eingestellt worden.

Wer mit einem DAAD-Stipendium an die Freie Universität kommen oder von hier aus ins Ausland gehen will, wird einem deutlich reduzierten Angebot von Stipendien gegenüberstehen. Außerdem sind die aus den Mitteln des Auswärtigen Amtes finanzierten und bereits laufenden DAAD-Projekte schon für dieses Jahr um 10 Prozent gekürzt worden.

Kann der Ausfall aufgefangen werden?

Herbert Grieshop: Was die wegfallenden INTEGRA-Mittel angeht, hoffen wir es: Wir haben beim Berliner Senat Alternativmittel beantragt. Bei laufenden DAAD-Projekten können wir, falls notwendig, fehlende Mittel vorübergehend aus dem aktuellen Haushalt ausgleichen. Hier kommt uns jetzt entgegen, dass wir während der Pandemie Mittel nicht ausgeben konnten. Wie die langfristigen Perspektiven sind, lässt sich allerdings nur schwer abschätzen.

Kürzungen bei Stipendien, die der DAAD finanziert, kann die Universität natürlich nicht grundsätzlich auffangen. Aber wir können kurzfristig unterstützen und mit einer einmaligen Aktion: Wir werden in den nächsten Tagen per Rundmail auf die Forschenden der Freien Universität zukommen und ihnen einen „Internationalisierungsbooster“ anbieten – aus Mitteln, die während der Pandemie eingespart wurden. Mit diesem Booster können neue Projekte initiiert oder bestehende weiterentwickelt werden.

Was bedeutet Internationalität – ein Begriff, mit dem die Freie Universität seit ihrer Gründung eng verbunden ist und auf den sie mit ihrer Internationalisierungsstrategie aufbaut – in diesen besonderen Zeiten?

Herbert Grieshop: Es sind ja in vielerlei Hinsicht besondere Zeiten. Wir haben Krieg in Europa. Da bedeutet Internationalität Solidarität; Solidarität mit den Geflüchteten aus der Ukraine, mit Studierenden, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, mit den Institutionen dort. Wir haben seit Kriegsbeginn mehr als 40 Stipendien an geflüchtete Forschende aus der Ukraine vergeben, sie leben inzwischen entweder in Berlin oder mussten innerhalb der Ukraine ihre Heimat verlassen.

In Pandemie- oder Post-Pandemiezeiten wiederum bedeutet Internationalität weltweite Zusammenarbeit in der Forschung. Gerade bei der Erforschung von Corona-Impfstoffen waren die Universitäten weit vorn und zentral beteiligt.

Dr. Britta Piel leitet das Center for International Cooperation der Freien Universität Berlin.

Dr. Britta Piel leitet das Center for International Cooperation der Freien Universität Berlin.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Britta Piel: „Besondere Zeiten“ meint immer auch den Klimawandel. Wir haben aus der Pandemie für den Klimawandel gelernt. Globale Krisen lassen sich nicht lokal lösen, dafür ist internationale Zusammenarbeit notwendig.

Wir haben in den vergangenen zweieinhalb Jahren gelernt, wie wir Internationalität erhalten und gleichzeitig dem Klimawandel begegnen können: Indem wir durch virtuelle Formate neue Wege gehen, das heißt, weniger reisen und trotzdem Austausch und Kontakte pflegen. Mit unseren Verbindungsbüros in Ägypten, Brasilien, China, Indien und Osteuropa haben wir zudem kleine Außenstellen in der Welt, die für die Freie Universität vor Ort handeln können.

Worauf legt die Freie Universität im Bereich Internationales im Moment den Fokus?

Britta Piel: Ein Projekt, das uns alle begeistert und weiter begeistern wird, ist Una Europa. Mit diesem Universitäten-Netzwerk haben wir die Chance ergriffen, uns mit mittlerweile zehn gleichgesinnten europäischen Partnerunis zusammen zu tun, um gemeinsam stärker in Forschung und Lehre zusammenzuarbeiten; um den Austausch von Studierenden zu unterstützen; um virtuell zu kooperieren. Ganz wichtig: Es sind elf Partneruniversitäten in erreichbarer Nähe, und wir stehen für europäische Ideen wie grenzüberschreitende Kooperation und Wissenschaftsfreiheit.

Herbert Grieshop: Was uns auch beschäftigt und weiter beschäftigen wird, ist die Unterstützung für Geflüchtete – insgesamt wird das Thema globale Verantwortung sicher ein Fokus unserer Arbeit in den nächsten Jahren sein.

Aber auch die klassischen Aufgaben des International Office stehen im Fokus: Wir möchten den Austausch von Studierenden wieder auf das Vorpandemie-Level heben; es gibt ja immer noch Länder, die „geschlossen“ sind, China zum Beispiel. Wir setzen uns dafür ein, dass Studierende wieder ein Auslandssemester oder -jahr auch in solchen Ländern verbringen können.

Ein weiteres Thema ist die Kooperation mit dem Globalen Süden. Im Rahmen der Berlin University Alliance ist das Berlin Center for Global Engagement damit befasst. Und auch an der Freien Universität passiert viel, aber es fehlt an Sichtbarkeit.

Wir möchten den Fokus auf Afrika richten: Über Erasmus+ weltweit haben wir gerade 200 000 Euro für den Austausch mit dem Kontinent eingeworben. Noch haben wir nur wenige Studierende aus Afrika, was auch an der Fächerstruktur der Freien Universität liegt: Wir haben beispielsweise keine Tropenmedizin oder keine Agrarwissenschaften mit Schwerpunkt subtropische Regionen.

Britta Piel: Nicht zuletzt haben wir in unserer Internationalisierungsstrategie festgelegt, dass wir strukturelle Hindernisse abbauen wollen, die einer stärkeren Internationalisierung der Freien Universität im Wege stehen.

Haben Sie ein Beispiel?

Britta Piel: Campus Management. Die Software zur Prüfungs- und Studierendenverwaltung ist nur auf Deutsch programmiert. Es gibt aber an der Freien Universität viele Studierende in englischsprachigen Studiengängen, für die keine Deutschkenntnisse verlangt werden. Diese Studierenden kommen mit dem System nicht zurecht. Das führt zu Frust – und verlangt hohen individuellen Beratungsaufwand bei den Beschäftigten der Freien Universität in den verschiedenen Serviceeinrichtungen. All das bindet Energien und blockiert uns beim Fortschritt der Internationalisierung.

Welche Hindernisse sehen Sie noch?

Britta Piel: An der Freien Universität kooperieren viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Lehre mit internationalen Partnern, indem sie beispielsweise gemeinsame digitale Lehrveranstaltungen anbieten. Da ist viel Wissen und große Kompetenz, aber noch arbeitet meistens jede und jeder für sich allein. Uns schwebt ein Leitfaden vor: Wie geht man Schritt für Schritt vor, wenn man solche internationalen Lehrkooperationen an der Freien Universität aufbauen möchte, wie können wir das strukturell angehen. Das ist in jedem Fall ein Projekt, das wir noch in diesem Jahr angehen werden.

Wie kann das umgesetzt werden?

Britta Piel: Wir haben in einem gemeinsamen Antrag mit insgesamt neun Berliner Hochschulen eine Stelle für „Collaborative Online International Learning eingeworben: Eine Person wird gute Beispiele sammeln und systematisieren, Pilotprojekte von Lehrenden unterstützen und innerhalb des Projekts einheitliche Lösungen für strukturelle Hindernisse, zum Beispiel Fragen der Anrechnung, mit den anderen Partnern finden.

An der Freien Universität kommen 38 Prozent der Promovierenden und 20 Prozent der Studierenden aus dem Ausland. Die Uni unterhält zahlreiche Kooperationen und Austauschprogramme mit Partneruniversitäten in der ganzen Welt; Beschäftigte haben die Möglichkeit, über Una Europa und das Erasmus-Staff-Exchange-Programm ins Ausland zu gehen – ist die Freie Universität damit bundesweit eine Ausnahme? Internationales, Internationalisierung wird schließlich an vielen Universitäten großgeschrieben.

Herbert Grieshop: Internationalität ist für alle Universitäten wichtig und dort auch für alle Statusgruppen. Aber an der Freien Universität Berlin gehört Internationalität in besonderer Weise zum Selbstverständnis, alle Mitglieder haben das ganz stark verinnerlicht.

Britta Piel: Internationalität ist bei uns gelebter Alltag. Ich musste hier noch niemandem erklären, warum Internationalität wichtig ist.

Was tut die Abteilung Internationales konkret, um angesichts der Kürzungen durch den DAAD Internationalisierung weiter stark zu machen?

Herbert Grieshop: Unser Motto ist: Internationalisierung – jetzt erst recht! Das ist unsere Antwort auch auf die Kürzungen. Einiges werden wir vorrübergehend auffangen können: den Booster habe ich schon genannt, eine Übersicht über das Spektrum unserer Fördermaßnahmen findet sich hier.

Die Fragen stellte Christine Boldt

Weitere Informationen

Die Freie Universität Berlin versteht sich als internationale Netzwerkuniversität: als eine Bildungsinstitution, die ausdrücklich nicht nur regional und national, sondern auch global Verantwortung übernimmt und dabei ihre Gründungsprinzipien „Veritas, Iustitia, Libertas“ vertritt: durch Vernetzung und Bildung von Menschen aus aller Welt, den Einsatz für eine weltweit nachhaltige und sozial gerechte Entwicklung, die wissenschaftliche Beschäftigung mit zentralen Herausforderungen der Gegenwart und die Einbeziehung globaler Perspektiven in Forschung und Lehre. Internationale Zusammenarbeit wird an der Freien Universität Berlin als kosmopolitische Institution täglich praktiziert.

Um alle Universitätsangehörigen darin zu unterstützen, diese Internationalität in Wissenschaft, Lehre und Lernen sowie im Arbeitsalltag zu leben und von ihr zu profitieren, gibt es verschiedenste Angebote:

Über die Freie Universität Berlin
Mit rund 1400 internationalen Promovierenden, jährlich rund 600 internationalen Gastforschenden und der höchsten Anzahl an Stipendiat*innen der Alexander von Humboldt-Stiftung unter bundesdeutschen Universitäten zählt die Freie Universität zu den international bekanntesten und beliebtesten deutschen Forschungsuniversitäten. Menschen aus rund 130 Staaten studieren und arbeiten an der Freien Universität. Etwa 20 Prozent der Studierenden und 38 Prozent der Promovierenden kommen aus dem Ausland. Knotenpunkte der internationalen Zusammenarbeit sind die Verbindungsbüros der Freien Universität im Ausland: in Ägypten, Indien, China, Brasilien und Osteuropa.
Auf internationaler Ebene hält die Freie Universität Kooperationen und Partnerschaften mit mehr als 500 Hochschulen auf allen Kontinenten. Über internationale Universitätsnetzwerke wie Una Europa oder U7+ werden kontinuierlich Möglichkeiten der Vernetzung und Zusammenarbeit ausgebaut und neue Möglichkeiten für die Angehörigen der Freien Universität Berlin geschaffen.
Studierenden der Freien Universität stehen an mehr als 300 Partnerhochschulen in 33 Ländern Europas und an etwa 100 weiteren Universitäten weltweit Plätze für ein Auslandsstudium zur Verfügung. Derzeit stehen für Studierende der Freien Universität 2500 Studienplätze an ausländischen Partnereinrichtungen zur Verfügung.

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