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„Der Mensch ist von Natur aus ein politisches Wesen“

Am 9. September vor 100 Jahren wurde die Philosophin Margherita von Brentano geboren, die von 1956 bis 1987 an der Freien Universität lehrte und sich Zeit ihres Lebens politisch engagierte

09.09.2022

Streitbar und streitlustig: Margherita von Brentano

Streitbar und streitlustig: Margherita von Brentano
Bildquelle: Mathias (PIU) Lieck

Margherita von Brentano, geboren 1922, verbrachte ihr erstes Lebensjahrzehnt in Rom, wo ihr Vater, Clemens von Brentano, Botschafter des Deutschen Reiches war. So wuchs sie als Kind in dem durch den Ersten Weltkrieg erschütterten Kontinent Europa auf, in einer fragilen politischen Lage, in der ihr Vater 1931 nach Berlin zurückbeordert wurde. Am Ende ihres Lebens war die Mauer in Berlin gefallen, der Kalte Krieg endete, und sie brachte sich als erfahrene Wissenschaftlerin in die Diskussion um die Zukunft der Humboldt-Universität ein und engagierte sich für ein Holocaust-Mahnmal in Berlin.

Ein bewegtes Leben in einem bewegten Jahrhundert, in dem sie sich bis zu ihrem Tod 1995 immer wieder einmischte: als Verfasserin von Radio-Features zum Problem des Antisemitismus oder zum Scheitern der Weimarer Republik, als Assistentin von Wilhelm Weischedel am Philosophischen Seminar, als Vizepräsidentin und später als Professorin. Sie kritisierte die Situation von Frauen an den Universitäten: Anfang der 1960er Jahre war nur rund ein Prozent der Professuren mit Frauen besetzt. Deutschland sei in erschütternder Weise weltweit Schlusslicht „unterboten nur noch von Guatemala, Ecuador und Österreich“, erklärte sie den Zuhörenden bei einem Vortrag bei den Universitätstagen 1963. Heute ist die Freie Universität Berlin mit knapp 37 Prozent eine der Universitäten mit dem höchsten Anteil von Professorinnen in Deutschland – Pionierinnen wie sie haben hierfür den Weg geebnet.

Studierenden versuchte sie, die Liebe zum Selbstdenken zu vermitteln, und Forschende rief sie auf, Wissenschaftspolitik nicht den Politikern zu überlassen. Von 1956 bis 1987 lehrte sie an der Freien Universität. Trotz der großen Liebe zu klassischen Texten, die sie für ihre Studierenden zum Leben erwecken konnte – wie sich Susan Neiman, heute Direktorin des Einstein Zentrums Potsdam erinnert –, war die Philosophie dabei für sie immer auch eine praktische, lebensnahe Wissenschaft.

Die Philosophin ist Namensgeberin des Margherita von Brentano-Zentrums für Geschlechterforschung der Freien Universität Berlin, das als eine interdisziplinäre und international ausgerichtete Zentraleinrichtung Forschungsprojekte fördert, sich im Bereich Open Science durch Repositorien engagiert und durch Handreichungen mehr Diversität in der Lehre bewirken will. Das Zentrum vergibt zudem einen Preis für Geschlechterforschung, mit dem – ganz im Sinne der Namensgeberin –, engagierte Forschung prämiiert wird. So ging die Auszeichnung verbunden mit einem Preisgeld in Höhe von 15.000 Euro im vergangenen Jahr an ein Projekt, das weltweit Femizide kartografiert und damit zu deren Sichtbarkeit beiträgt. 2019 wurde die Initiative „Medical Students Pro Choice“ ausgezeichnet, die sich für eine verbesserte medizinische Ausbildung zu Abtreibungen einsetzt.

Weitere Informationen

Den ungewöhnlichen Lebensweg der Margherita von Brentano zeichnet ein Porträt in der Sonderausgabe des Forschungsmagazins fundiert nach. Margherita von Brentano im O-Ton hören kann man in diesem Interview aus dem Jahr 1975, das Deutschlandfunk-Kultur in der Sendung „Sein und Streit“ noch einmal ausgestrahlt hat.