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25 Jahre Samuel-Fischer-Gastprofessur: Der senegalesische Sozialwissenschaftler, Autor und Musiker Felwine Sarr las aus seinem neuen Roman

Jubiläum mit Buchpremiere im Literarischen Colloquium Berlin am Wannsee

25.05.2023

Samuel-Fischer-Ehrengast Felwine Sarr stellte seinen neuen Roman „Die Orte, an denen meine Träume wohnen“ vor.

Samuel-Fischer-Ehrengast Felwine Sarr stellte seinen neuen Roman „Die Orte, an denen meine Träume wohnen“ vor.
Bildquelle: Tobias Bohm

Das Wetter hätte es besser nicht meinen können mit den mehr als 200 Gästen des Literarischen Colloquiums Berlin, die am Montagabend in den Garten der Gründerzeitvilla am Wannsee gekommen waren, um dort die erste Open-Air-Lesung des Jahres mitzuerleben. Geladen war der international renommierte senegalesische Autor Felwine Sarr, der die deutsche Übersetzung seines Romans „Die Orte, an denen meine Träume wohnen“ vorstellte, dem Publikum in der untergehenden Sonne mit zwei selbst komponierten Gitarrenstücken aber auch Einblicke in seine Fähigkeiten als Musiker darbot. Das Publikum lauschte bei Rhabarberschorle und Fassbrause, auf Stühlen, Sitzsäcken und Picknickdecken, mit Blick auf den in der Abendsonne schimmernden Wannsee, auf dem hin und wieder Segelyachten, Fähren, Boote vorbeiglitten. Viele Gäste trugen Kopfhörer: Das Gespräch fand auf Französisch statt und wurde simultan übersetzt.

Felwine Sarr, Jahrgang 1972, ist Ehrengast der Samuel-Fischer-Gastprofessur für Literatur. Seine Buchpremiere war Teil der Veranstaltungsreihe zum 25-jährigen Jubiläum der Gastprofessur. Die Kooperation der Freien Universität Berlin, des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, des S. Fischer Verlags und Holzbrinck Berlin – Inspire Together ist am Peter Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Freien Universität Berlin angesiedelt. 

Open-Air-Lesung am Großen Wannsee

Open-Air-Lesung am Großen Wannsee
Bildquelle: Tobias Bohm

Universitätspräsident Professor Günter M. Ziegler dankte in seiner Begrüßung allen Projektpartnern für die Zusammenarbeit: „Die Gastprofessur ist für die Studierenden immer wieder eine außergewöhnliche Erfahrung, für die Autorinnen und Autoren aber ebenso. Sie bringt Weltliteratur an die Freie Universität und nach Berlin“, sagte Ziegler. Der interkulturelle Austausch sei in einer an Komplexität zunehmenden Welt wichtiger denn je. „Mein großer Dank geht an das Peter Szondi-Institut und all unsere Partner in diesem inspirierenden Vorhaben.“

Durch den Abend führte die Literaturwissenschaftlerin Raphaëlle Efoui-Delplanque, die an der Friedrich-Schlegel-Graduiertenschule der Freien Universität zur Literatur der afrikanischen Diaspora promoviert. Sie habe sich beim Lesen des Romans sehr mit den Figuren und Orten verbunden gefühlt, sagt sie an den Autor gerichtet. Felwine Sarr erzählt in „Die Orte, an denen meine Träume wohnen“ die Lebensgeschichten zweier Zwillingsbrüder aus dem Senegal, die sich auf eine Reise zu sich selbst begeben. Er habe beim Schreiben versucht, die Pluralität verschiedener Orte miteinander zu verschränken, sagte Sarr. „Einige der Orte kenne ich tatsächlich von meinen Reisen, aber das Schreiben erlaubt mir auch, Orte zu erfinden, und ich lade die Leserinnen und Leser ein, ihren eigenen Weg durch den Text zu finden.“ 

Aus der deutschen Übersetzung des Romans las der britisch-deutsche Schauspieler Langston Uibel, bekannt etwa aus der Netflix-Produktion „How to Sell Drugs Online (Fast)“, „Dogs of Berlin“ und dem bei der 73. Berlinale ausgezeichneten Film „Roter Himmel“. So reisten die Gäste an diesem Abend vom Wannsee auf den Universitätscampus im französischen Orléans bis in das Zuhause einer Familie im polnischen Warschau. Sie ließen sich gemeinsam mit den Brüdern Bouhel und Fodé auf die Idee ein, dass mithilfe einer südafrikanischen Frucht die Flucht aus einem Gefängnis gelingen kann und erfuhren überdies viel über die Arbeitsweise des Autors.

Literaturwissenschaftlerin Raphaëlle Efoui-Delplanque führte durch den Abend.

Literaturwissenschaftlerin Raphaëlle Efoui-Delplanque führte durch den Abend.
Bildquelle: Tobias Bohm

„Beim Schreiben versuche ich, die Unendlichkeit der Welt zu begreifen“, sagte Sarr. „Dabei begreife ich gleichzeitig aber auch die Begrenztheit der Möglichkeiten, etwas auszudrücken.“ So erklärte er auch, warum sich sein Schreiben nicht auf eine Textform beschränke, sondern jedes seiner zwölf Bücher ein immer neues Aushandeln von literarischen Darstellungsformen darstelle. Was sie jedoch eine, sei seine Herangehensweise an die Texte: „Ich möchte nicht ins Schwatzen kommen, mich nicht an meinen eigenen Texten berauschen“, sagte Sarr. „Weniges soll so viel wie möglich sagen können. Es gleicht einer Askese, ich hinterfrage jeden Absatz: Ist er wirklich nötig?“  

Über allem stehe für ihn als Autor die Frage, was er als Einzelner und Einziger ausdrücken kann. „Ich spreche in meinen Texten nicht für die ganze Welt, sondern nur für mich.“ Und so kommt Felwine Sarr am Ende der Veranstaltung zurück zum Thema seines Romans, der Suche nach dem Selbst. Er sagt: „Die Sprache ist schon bewohnt. Meine Aufgabe als Autor ist es, meinen Platz in ihr zu finden.“

Wie der Applaus des Publikums in den sternenklaren Nachthimmel hallte, dürfte an diesem Abend weit über den Garten des Literarischen Colloqiums hinaus zu hören gewesen sein.

Weitere Informationen

Felwine Sarr wurde 1972 in Niodior, Senegal, geboren. Seine Bücher „Afrotopia“ (übersetzt von Max Henninger) und „Zurückgeben. Über die Restitution afrikanischer Kulturgüter“ (zusammen mit Bénédicte Savoy, übersetzt von Daniel Fastner) sind im Verlag Matthes & Seitz Berlin erschienen und sorgten für weltweite Debatten. Er ist Schriftsteller, Musiker und Verleger (u. a. des Goncourt-Preisträgers Mohamed Mbougar Sarr) und unterrichtet als Ökonom an der Duke University in Durham (USA). Zusammen mit Achille Mbembe gründete er die „Ateliers de la Pensée“ mit dem Ziel, einen Ort für intellektuelle Debatten in Afrika zu schaffen. Er hat mehrere Bände mit Kurzprosa und Erzählungen veröffentlicht. Felwine Sarr lebt im Senegal und in den USA.