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„Verpflichtungen der Wahrheit, der Gerechtigkeit und der Freiheit“

Vor 60 Jahren besuchte US-Präsident John F. Kennedy Berlin und die Freie Universität – Erinnerungen zweier Zeitzeugen

26.06.2023

Die Rede ist politischer und fordernd: Weltbürger soll die Freie Universität hervorbringen, die ihre Kraft in den Dienst der Freiheit stellen.

In Dahlem hält Kennedy seine zweite Rede an diesem Tag: Weltbürger soll die Freie Universität hervorbringen, die ihre Kraft in den Dienst der Freiheit stellen.
Bildquelle: Ingrid Lorenz

„Ich bin ein Berliner.“ Es ist ein Jahrhundertsatz, den der damalige US-amerikanische Präsident am 23. Juni 1963 vom Balkon des Schöneberger Rathauses spricht. Ein Bekenntnis zum Schutz der Stadt und ein Versprechen zur Freiheit. Hundertausende von Berlinerinnen und Berlinern jubeln auf der Straße. Kennedy steht minutenlang im tosenden Applaus. 

Wenig später macht sich die amerikanische Delegation in Begleitung des Regierenden Bürgermeisters Willy Brandt und des Bundeskanzlers Konrad Adenauer auf den Weg nach Dahlem. Der Akademische Senat der Freien Universität hatte den US-Präsidenten eingeladen, um ihm die Ehrenbürgerwürde der Universität zu verleihen. Vor dem Henry-Ford-Bau, umringt von rund 20.000 Menschen, hält Kennedy an diesem Tag seine zweite Rede. „Vorne waren Holztribünen aufgebaut, auf denen die akademischen Würdenträger in ihren Talaren saßen“, erinnert sich Hans-Jürgen Puhle. „Weiter hinter versammelten sich Massen an Studierenden, über die ganze Wiese, bis hinten zur Alten Mensa und der Juristischen Fakultät.“

Puhle, der später als Professor für Politikwissenschaft in Frankfurt am Main lehrte, ist damals Student an der Freien Universität. Als Sprecher der Studierenden im Akademischen Senat ist er an diesem Tag ganz vorne mit dabei. „Der Besuch war ein politisches und soziales Ereignis“, sagt er. „Uns begeisterte vor allem auch, wie jung und dynamisch Kennedy neben unserem Bundeskanzler wirkte, der wie versteinert auf seinem Stuhl saß.“ 

Vor 60 Jahren auf der Wiese vor dem Henry-Ford-Bau gejubelt

Der amerikanische Präsident spricht in Dahlem über die herausragende Bedeutung der Universitäten — insbesondere der Studierenden — für die Zukunft der Freien Welt. Die Freie Universität soll Weltbürgerinnen und -bürger hervorbringen, die ihre durch universitäre Bildung erworbenen Fähigkeiten in den Dienst einer freien Gesellschaft stellen. „Das hat uns als Studierende damals schon beeindruckt“, sagt Puhle. 

Auch Ernst Elitz erinnert sich, dass Kennedy damals den Ton der Studierenden trifft. Der spätere Intendant des Deutschlandradios studiert damals Germanistik an der Freien Universität — und ist schon damals journalistisch tätig. Er begleitet das Ereignis als Chefredakteur der damaligen Studierendenzeitschrift „FU Spiegel“. „Große Teile der Studierenden kamen damals, so wie ich, aus dem Osten“, sagt er. „Viele waren gerade erst geflohen und hatten die Enge der DDR am eigenen Leib erfahren — sie waren voller Euphorie für die Werte, die Kennedy vertrat.“

Tausende Studenten wollen den US-Präsidenten sprechen hören – die Rede vom Rathaus Schöneberg wurde zuvor übertragen

Tausende Studierende wollen den US-Präsidenten sprechen hören – darunter Zeitzeugen Ernst Elitz und Hans-Jürgen Puhle.
Bildquelle: Reinhard Friedrich/Universitätsarchiv Freie Universität Berlin

Der Besuch und die Verleihung der Ehrenbürgerwürde sei für die Freie Universität auch eine Möglichkeit gewesen, sich bei den amerikanischen Verbündeten zu bedanken. „Die Gründung der Freien Universität wäre ohne Unterstützung aus den USA nicht möglich gewesen“, sagt Elitz. „Insbesondere auch der Ford Foundation, die den Besuch auch anregt hatte.“ 

Zum 15-jährigen Jubiläum der Freien Universität im Dezember 1963, plant Ernst Elitz eine Sonderausgabe des FU-Spiegels. Bereits Monate zuvor konnte der Allgemeine Studierendenausschuss (Asta) über Vermittlung der Ford Foundation den amerikanischen Präsidenten für ein Vorwort gewinnen. Doch zum Druck kommt es nicht mehr — am 22. November 1963 wird John F. Kennedy in Dallas erschossen. 

Kurz nachdem sie im Radio von dem Attentat erfahren hatten, erhalten Elitz und Puhle beide einen Anruf vom damaligen Vorsitzende des Asta. „Wir waren zutiefst betroffen“, erzählt Puhle. „So entstand spontan die Idee eines Trauermarsches.“ Elitz, der als angehender Journalist bereits über die entsprechenden Kontakte verfügt, informiert die Radiostationen. Am Ende marschieren Hunderte von Menschen von Dahlem bis ans Schöneberger Rathaus.

Verpflichtungen, die erfüllt werden müssen

Wenig später setzt sich Puhle zusammen mit Ernst Fraenkel für eine Umbenennung des gerade erst gegründeten Zentralinstituts für Nordamerikastudien ein, um an den amerikanischen Präsidenten zu erinnern. Bis heute trägt das renommierte Haus den Namen Kennedys. 

Als die Sonderausgabe des FU-Spiegels im Dezember 1963 erscheint, druckt Elitz statt des Vorworts eine Widmung der Studentenschaft an John Fitzgerald Kennedy, „Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika und Ehrenbürger der Freien Universität Berlin.“ 

Die Seite schließt mit einem Zitat aus dessen Dahlemer Rede: „Das Leben ist niemals leicht. Es gibt Arbeit, die getan werden muss, und Verpflichtungen, die erfüllt werden müssen — Verpflichtungen der Wahrheit, der Gerechtigkeit und der Freiheit.“ Wahrheit, Gerechtigkeit und Freiheit, es sind die Werte und Begriffe, die im Siegel der Freien Universität enthalten sind.