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„Mit einfachen Mitteln viel ausrichten“

Freie Universität ruft zu Spenden für „Médecins Sans Frontières – Ärzte ohne Grenzen“ auf

05.09.2023

Blick über das von hohen Deichen geschützte Geflüchtetencamp in Bentiu im Südsudan. Hier leben etwa 120.000 Menschen.

Blick über das von hohen Deichen geschützte Geflüchtetencamp in Bentiu im Südsudan. Hier leben etwa 120.000 Menschen.
Bildquelle: Christina Simons

In ihrem Jubiläumsjahr lädt die Freie Universität dazu ein, sich an der Sonder-Spendenaktion „75 Jahre freies Denken: Ein Grund zu feiern, ein Grund zu spenden“ zugunsten von „Médecins Sans Frontières – Ärzte ohne Grenzen“ zu beteiligen. Sophia Rost war als Anästhesistin bis März dieses Jahres für die internationale Hilfsorganisation im Südsudan tätig. Im Gespräch erläutert die 36-Jährige, wie die Lage an ihrem Einsatzort war, wie Ärzte ohne Grenzen dort hilft und was die Arbeit der Organisation ausmacht.

Frau Rost, Sie waren kürzlich für Ärzte ohne Grenzen im Südsudan tätig. Wie ist dort die Lage?

Ich war in Bentiu im Einsatz. Das ist im Norden des erst 2011 vom Sudan unabhängig gewordenen Südsudan. In Bentiu besteht seit zehn Jahren ein Binnenflüchtlingslager, in dem 120.000 Menschen leben. Die Menschen sind bis 2018 vor Gewalt im Bürgerkrieg nach der Unabhängigkeit geflohen. Seitdem hat sich die Lage deutlich beruhigt, und es gibt anders als im Sudan keine größeren Kämpfe.

Nyanhial und Baby Chuong. Fast alle Kinder im Lager sind mangelernährt.

Nyanhial und Baby Chuong. Fast alle Kinder im Lager sind mangelernährt.
Bildquelle: Sean Sutton

Inzwischen fliehen die Menschen aus einem anderen Grund: Seit vier Jahren ist die Klimakrise in der Region angekommen, es kommt zu starken Überschwemmungen. Eigentlich sind die Menschen an Überschwemmungen in der Regenzeit gewöhnt, aber das Wasser fließt nicht mehr wie früher in der Trockenzeit ab, die Deiche reichen an vielen Orten überhaupt nicht mehr aus. Das Geflüchtetencamp in Bentiu ist umgeben von hohen Deichen, und man lebt eineinhalb Meter unter der Wasserlinie.

Was war Ihre Arbeit im Flüchtlingslager?

Ich habe im dortigen Krankenhaus gearbeitet – das ist kein Gebäude, aber ein fest installierter Ort aus Containern und Zelten. Dort war ich in einem Team von 25 bis 35 internationalen Mitarbeitenden und mehr als 500 aus dem Land, die dort gemeinsam arbeiten. Als Anästhesistin war ich an Operationen beteiligt, dort werden vor allem sehr dringende Eingriffe vorgenommen.

Ein großes Problem im Lager ist Malaria, auch Tuberkulose und HIV, und es gibt sehr viele mangelernährte Kinder. Ein Großteil der Menschen in Behandlung sind Kinder – sieben von zehn Stationen waren Kinderstationen. Das war nicht immer einfach, aber auch gut zu sehen, wenn die Kinder wieder auf die Beine kamen und welchen Willen und welche Energie sie hatten. Es war immer wuselig mit den vielen herumlaufenden Kleinen – eine der schönen Seiten dort.

Anästhesistin Sophia Rost war für Ärzte ohne Grenzen im Geflüchtetencamp in Bentiu tätig.

Anästhesistin Sophia Rost war für Ärzte ohne Grenzen im Geflüchtetencamp in Bentiu tätig.
Bildquelle: privat

Wie waren Ihre ersten Eindrücke, als Sie ankamen?

Ich muss sagen, ich war positiv überrascht. Zwar sind die Stationen einfach – eine Station ist ein Container mit Zeltüberdachung –, und in den Zimmern sind nicht vier oder fünf, sondern 14 Erkrankte untergebracht mit noch mindestens einem Familienangehörigen. Aber es gibt genügend Desinfektionsmittel, und die Operationen werden auf einem einfachen, dennoch guten Niveau ausgeführt. Und das ist wichtig. Nur weil die Mittel einfacher sind, sollte man keine schlechtere Medizin machen. Für die Mitarbeitenden gibt es Rückzugsorte im Camp, das ist hilfreich, wenn man wie in der Anästhesie über drei Monate rund um die Uhr im Einsatz oder in Rufbereitschaft ist.

Was fanden Sie bei der Arbeit besonders schwierig?

Die Kommunikation vor Ort war manchmal eine echte Herausforderung. Die Berufssprache ist Englisch, aber das sprechen die behandelten Menschen nicht oder nur teilweise. Auch in Deutschland kann ich mich nicht immer verständigen, aber dann habe ich ein Übersetzungsprogramm und eine Dolmetscherin oder einen Dolmetscher. Dort war ich ganz auf das Dolmetschen angewiesen, und ich konnte nie sicher sein, was tatsächlich ankommt. Die dortige Sprache ist Nuer – die kann man in Deutschland nicht lernen, weder als Lernprogramm noch im Unterricht.

Warum haben Sie entschieden, sich für Ärzte ohne Grenzen zu engagieren?

Während der Corona-Pandemie habe ich als Anästhesistin viel in der Intensivmedizin gearbeitet. Es war eine sehr anstrengende Zeit, hat mich aber dazu gebracht, über andere Arten des Arbeitens nachzudenken: womöglich dort, wo die Menschen medizinische Hilfe sehr dringend brauchen und man mit einfachen Mitteln viel ausrichten kann. Ich lerne gern andere Länder und Kulturen kennen und finde es schön, wenn ich dies in sinnvoller Weise mit meiner Arbeit verbinden kann.

Die Freie Universität ruft in ihrem Jubiläumsjahr zu Spenden für Ärzte ohne Grenzen auf. Was finden Sie wichtig, über die Hilfsorganisation zu wissen?

Ich habe mich sehr gefreut, von der Spendenaktion der Freien Universität zu erfahren und finde, sie passt hinsichtlich der Internationalität sehr gut zur Universität. Ärzte ohne Grenzen ist sehr international aufgestellt, wegen der 70 Länder, in denen die Organisation tätig ist, vor allem aber wegen ihrer Mitarbeitenden aus mehr als 160 Ländern.

Etwas ganz Besonderes ist, dass so viele Menschen vor Ort angestellt werden. Ärzte ohne Grenzen möchte nicht allein durch Hilfe helfen, sondern auch durch Anstellung und Weiterqualifizierung. Im Krankenhaus in Bentiu waren die mehr als 500 südsudanesischen Angestellten in der Pflege tätig, aber auch in Technik, Logistik, Verpflegung, Projektkoordination und Finanzen. Hier fanden sich auch viele Angestellte aus anderen afrikanischen Ländern, zum Beispiel Sierra Leone, Nigeria und Äthiopien.

Spenden kommen dort an, wo es nötig ist: Das Geld geht zum allergrößten Teil in die Projekte und die Ausgaben vor Ort für Mittel und Gehälter für einheimische Angestellte.

Die Fragen stellte Kerrin Zielke

Weitere Informationen

75 Jahre freies Denken: Ein Grund zu feiern, ein Grund zu spenden.

Die Freie Universität Berlin hat sich den demokratischen Werten, sowie der Freiheit und Unabhängigkeit verpflichtet. Mit ihrer besonderen Gründungsgeschichte ist sie sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung stets bewusst, und sie hat eine lange Tradition, internationale humanitäre Anliegen zu unterstützen. Viele Mitglieder der Universität engagieren sich über ihre Arbeit hinaus auch persönlich für gemeinnützige Organisationen im In- und Ausland. Das Jubiläumsjahr 2023 soll daher nicht nur ein Grund zum Feiern sein, sondern auch dazu dienen, den Blick auf aktuelle Krisenherde in der Welt zu lenken und an die Tradition des Helfens und des Engagements anzuknüpfen.

Weitere Informationen zur Spenden-Aktion

Ärzte ohne Grenzen leistet in Konfliktgebieten, nach Naturkatastrophen und während Epidemien medizinische Hilfe für Millionen Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft, politischen Überzeugung oder ethnischen Zugehörigkeit. Rund 65.000 Mitarbeitende sind für Ärzte ohne Grenzen in mehr als 70 Ländern ständig im Einsatz: Fachleute aus Medizin, Psychologie und Logistik und andere. Die Organisation hat im Jahr 1999 den Friedensnobelpreis erhalten.

https://www.aerzte-ohne-grenzen.de/