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„Da ist Musik drin“

Auf der Immatrikulationsfeier des Fachbereichs Biologie, Chemie, Pharmazie nahm der FU-Alumnus und Chemie-Nobelpreisträger Benjamin List die Ehrendoktorwürde der Freien Universität entgegen

02.11.2023

Viel Inspiration, kein Druck! Auf der Immatrikulationfeier trafen Studierende auf den FU-Alumnus und Chemie-Nobelpreisträger Benjamin List.

Viel Inspiration, kein Druck! Auf der Immatrikulationfeier trafen Studierende auf den FU-Alumnus und Chemie-Nobelpreisträger Benjamin List.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Er schüttelt viele Hände, eilt von einem Gespräch zum nächsten, steht für Selfies zur Verfügung. Benjamin List ist die heimliche Hauptperson im Hörsaal, der sich schnell füllt – schließlich ist nicht jeden Tag ein Nobelpreisträger auf dem Campus zu Gast. Und wenn es für Naturwissenschaftler*innen so etwas wie Glamour gibt, dann ist dieser mit einer goldenen Medaille aus Stockholm verbunden.

Vor 35 Jahren Ersti am Fachbereich Chemie

Im Rahmen der Immatrikulationsfeier des Fachbereichs Biologie, Chemie, Pharmazie nimmt der Chemiker heute die Ehrendoktorwürde der Freien Universität entgegen. Im Publikum sind alle Altersgruppen vertreten, vom Ersti bis zum Emeritus. Neben dem langen Pult, auf dem sonst Experimente gezeigt werden, wartet das „Tuesday Trio“ – Gitarre, Bass, Trompete – auf seinen Auftritt. Die Stimmung ist festlich, auch für Benjamin List ist es ein besonderer Anlass, der ihn daran erinnert, dass er vor rund 35 Jahren selbst als Ersti hier war, damals noch am Fachbereich Chemie.

Inzwischen ist der 55-Jährige Direktor der Abteilung für homogene Katalyse am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mülheim an der Ruhr. Weltweite Anerkennung brachte ihm die Entdeckung der asymmetrischen Organokatalyse – ein Verfahren, mit dem sich Moleküle konstruieren lassen. Organokatalysatoren werden heutzutage etwa in der Herstellung von Medikamenten oder Solarzellen eingesetzt. Ihr Vorteil: Sie kommen ohne Metallverbindungen aus, die oft teuer, gesundheits‐ und umweltschädlich sind. Für seine Forschung zu dieser neuen Klasse von Katalysatoren wurde List 2021 zusammen mit dem Briten David W. C. MacMillan mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet.

Aber Aufmerksamkeit gebühre heute nicht nur dem prominenten Alumnus, betont Beate Paulus, die Dekanin des Fachbereichs Biologie, Chemie, Pharmazie, zur Einführung. Denn zum „Doppel-Feature“ gehöre neben der Verleihung der Ehrendoktorwürde natürlich die Begrüßung aller im Jahr 2023 immatrikulierten Studierenden des Fachbereichs. Diese heißt auch Günter M. Ziegler, Präsident der Freien Universität Berlin, in seiner Ansprache willkommen und wünscht ihnen Freude am Lernen, um mit dem erworbenen Wissen die Welt zu verändern, wie es auch Benjamin List gelungen sei.

Herzliche Begrüßung für neu immatrikulierte Studierende

Studiendekan Daniel Schubert, Professor für Epigenetik der Pflanzen am Institut für Biologie, versichert, dass dazu nicht unbedingt ein Nobelpreis nötig sei. „Wir sind stolz darauf, dass Sie bei uns die Grundlagen für Ihre Zukunft legen wollen. Sollten Sie einmal Zweifel an Ihrer Studienwahl haben, nehmen Sie die Angebote für Beratung, Mentoring und Unterstützung in Anspruch – oder kommen Sie einfach zu mir.“

Die Biologiestudentin Zoe Kirchner begrüßt stellvertretend für alle Fachschaftsinitiativen die neuen Studierenden. „Wir sind euer Ohr und euer Sprachrohr in hochschulpolitischen Angelegenheiten“, erklärt sie, „und wir organisieren das studentische Leben am Fachbereich: Cafés, außercurriculare Veranstaltungen, Partys und die Vergabe der Preise für gute Lehre.“

Prof. Dr. Mathias Christmann hielt die Laudatio für Benjamin List.

Prof. Dr. Mathias Christmann hielt die Laudatio für Benjamin List.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Als Laudator für die Ehrendoktorwürde lenkt Chemieprofessor Mathias Christmann die Aufmerksamkeit wieder auf den Ehrengast und skizziert dessen beruflichen Werdegang: Diplomstudium der Chemie an die Freie Universität von 1988 bis 1993, dann Beginn seiner Doktorarbeit in der Arbeitsgruppe von Johann Mulzer, mit dem er schließlich zurück in die Heimat an die Universität Frankfurt am Main wechselte und dort 1997 seine Promotion abschloss. Danach unternahm Benjamin List einen Schritt, den der Laudator Studierenden und Promovierenden wärmstens empfiehlt: „Den Wechsel in ein anderes Forschungsumfeld, ein anderes Land, raus aus der Komfortzone.“

Damals gängige Meinung: Katalysatoren müssen Metalle enthalten

Wie schon vor 100 Jahren gingen damals fast alle Chemiker*innen davon aus, dass Katalysatoren Metalle enthalten müssen, um wie eine Maschine beliebig oft andere Moleküle bearbeiten und verändern zu können. Am Scripps Research Institute in La Jolla bei San Diego in Kalifornien hatte jedoch Richard Lerner, ein Immunologe und Virologe, auch Antikörper mit katalytischen Eigenschaften ausgestattet, damit sie wie Enzyme chemische Reaktionen in Gang setzen. Benjamin List ging als Postdoc an sein Institut und konnte zeigen, dass solche organischen Katalysatoren mit wenig technischem Aufwand auch große Mengen bewältigen können.

Aber Enzyme sind äußerst komplexe chemische Verbindungen und bestehen oft aus über 300 Aminosäuren. List fragte sich, ob eine einfache Aminosäure ähnlich gute katalytische Eigenschaften wie ein komplexes Enzym besitze und erinnerte sich an ein Detail aus einer Vorlesung im Studium: In den 1970er Jahren hatten Forscher die kleinste natürliche Aminosäure Prolin erfolgreich katalytisch eingesetzt. Die Reaktion wurde unter anderem in Berlin bei der Schering AG durchgeführt und trägt den Namen ihrer fünf Entdecker: Hajos-Parrish-Eder-Sauer-Wiechert-Reaktion. „Ich freue mich, dass zumindest zwei Personen – die Herren Eder und Sauer – davon heute hier sind“, sagt Mathias Christmann.

Während Benjamin List dann selbst Prolin in einen Glaskolben gab, war er unsicher: Nur eine verrückte Idee? Als es funktionierte, wusste er gleich: „Das ist Musik drin“, wie er später selbst in seinem Festvortrag berichten wird. Nicht allen Kolleg*innen war das sofort klar. Doch drei Monate später publizierte David McMillan eine ähnliche Entdeckung, bald meisterten Forschungsgruppen weltweit schwierige Reaktionen mithilfe der Organokatalyse und in der Industrie wurde etwa das HIV-Medikament Darunavir damit hergestellt.

Großes Potenzial erkannt

Die Organokatalyse sei für alle Forscher*innen greifbar gewesen, sagt Mathias Christmann. Doch erst Benjamin List habe ihr Potenzial erkannt. Einmal entdeckt, konnte die Reaktion in jedem Labor mit Standard-Chemikalien reproduziert werden kann.

2003 folgte Benjamin List einem Ruf an das Max-Planck-Institut in Mühlheim an der Ruhr. Der Anruf aus Stockholm erreichte ihn am 6. Oktober 2021 in Amsterdam. Als er die gute Nachricht an seinen Kollegen David MacMillan weitergab, dachte dieser zunächst, dass seine Studierenden ihnen einen Streich spielen wollten. Die Nobelpreis-Medaille nahm Benjamin List dann aufgrund der Corona-Pandemie nicht in im Stockholmer Konzerthaus, sondern im Harnack-Haus in Berlin-Dahlem entgegen. Zur echten Zeremonie konnte er erst ein Jahr später reisen.

Er freue sich, dass „Ben“ heute zu seinen akademischen Wurzeln zurückkehre, schloss Christmann. „Wir hoffen, dass sein Beispiel viele inspiriert.“ Neben der Urkunde und einem Rucksack mit FU-Logo, der sonst den Erstis vorbehalten ist, erhält Benjamin List ein besonderes Geschenk: eine leuchtend gelb glasierte Kachel, die ihm gleich bekannt vorkommt: Sie stammt aus einem der Treppenhäuser des Gebäudes der Organischen Chemie in der Takustraße 3, das derzeit grundsaniert wird. Während seines Studiums ist er vermutlich viele hundert Male an ihr vorbeigelaufen. „Ich wollte hier promovieren und hätte es fast geschafft, wenn mein Doktorvater nicht mittendrin umgezogen wäre.“ Jetzt habe es doch noch geklappt: „Doktor der Chemie an der Freien Universität – schöne Sache!“

Die Zeit in Dahlem habe er geliebt, sagt er in seinem Festvortrag mit dem Titel „Die Organokatalyse – von Dahlem nach Stockholm und zurück“. Das Wetter sei dort immer besser gewesen als in seiner Wohngegend rund um den Nordbahnhof. Zudem habe er eine hervorragende Ausbildung bekommen: „Johann Mulzer war absolut legendär an der Tafel!“ Von dessen Begeisterung für die Totalsynthese, die Königsdisziplin der Chemie, habe er sich anstecken lassen.

Die Grenzen der Totalsynthese

Als Thema für seine Diplom- und Doktorarbeit schlug ihm der Professor die Synthese von Vitamin B12 vor. In seinem „grenzenlosen, unbegründeten Optimismus“ stimmte er sofort zu, obwohl ein Zusammenschluss der besten Forschungsgruppen der Welt für die bisher einzige gelungene Synthese des hochkomplexen Moleküls zehn Jahre gebraucht hatte. Zum Glück bremste ihn sein Doktorvater und schlug ihm vor, sich nur einen Teil des Moleküls vorzunehmen. „Nach drei mühevollen Jahren hatte ich Erfolg“, berichtet er. Dabei seien ihm auch die Grenzen der Methode bewusst geworden: 17 Synthesestufen – ein hoher Aufwand, um am Ende eine winzige Menge des Moleküls zu erzeugen.

Anschließend beschreibt er selbst noch einmal seine folgenreiche Entdeckung am Scripps Research Institute und kommt danach auf seine weitere Arbeit, seine fortwährende Suche nach universell einsetzbaren Katalysatoren, zu sprechen. Es wird sehr chemisch, doch das Publikum hört gerne zu, denn hinter seinen Formeln stecken Geschichten – von neuen Ideen, Rückschlägen und Durchbrüchen: „Wunderschöne Transformationen“, bisher für unmögliche gehaltene Reaktionen, die etwa mit seinem Konzept der „umzäunten“ Katalysatoren plötzlich möglich werden und großen Einfluss auf Forschung und Anwendung haben.

Der Traumreaktion auf der Spur

Der Nobelpreis sei für ihn eigentlich zu früh gekommen, resümiert Benjamin List, denn er habe ja noch 15 Berufsjahre vor sich. Eine besonders harte Nuss möchte er noch knacken: Bei der Photosynthese wandeln Pflanzenenzyme mithilfe von Sonnenlicht das Kohlendioxid aus der Luft und Wasser in Zucker und Sauerstoff um – 6 H2O + 6 CO2 + Licht = 6 O2 + C6H12O6 lautet die Formel – und liefern uns Menschen damit das Wichtigste, was wir zum Leben brauchen. Lässt man nun das Wasser auf beiden Seiten weg, wird CO2 auf dem direkten Weg zu C und O2 – Kohlenstoff und Sauerstoff – gespalten. „Das wäre meine absolute Traumreaktion!“, schwärmt der Chemiker. Ein Erfolg wäre äußerst reizvoll: Aus Kohlendioxid würde wieder Kohle, und der Klimawandel ließe sich aufhalten.

An diese kühne Vision glaubten außer ihm nicht viele, denn die Reaktion ginge „thermodynamisch bergauf“ – das heißt, dass Energie zugeführt werden muss, damit die Reaktion stattfinden kann. Die Skepsis störe ihn aber heute nicht mehr, denn: „Ganz unmöglich ist es nicht. Wir haben es theoretisch ausgerechnet, UV-Licht mit 300 Nanometer Wellenlänge, kostenlos von der Sonne bereitgestellt, müssten es eigentlich machen. Wir brauchen nur die richtigen Katalysatoren.“

Wie sehr der Nobelpreisträger sein Publikum an diesem Abend mitgerissen hat, fasst Christoph Schulz von der Fachschaftsinitiative Chemie zusammen: „Es war eine wahnsinnig spannende Vorlesung. Dafür hätten wir bestimmt einen Preis für gute Lehre vergeben!“

Weitere Informationen

  • Wie kam Benjamin List eigentlich zur Freien Universität? Diese und viele andere Fragen beantwortet der Nobelpreisträger in einem Interview mit seiner ehemaligen Kommilitonin und Wissenschaftsjournalistin Catarina Pietschmann.