Mit Plüschlöwe und Sonnenbrille: Bodo Wartke zu Gast an der Freien Universität
Studierende tauschten sich mit dem Kabarettisten über die Aktualität des Ödipus-Stoffes, Neuinterpretationen und das Wechselspiel von Komik und Tragik aus
28.02.2024
„Wie man deutlich hier erkennt: / Der Story fehlt das Happy End. / Das ist zwar ein bisschen schade, / doch leider werkimmanent.“ Mit diesen Worten bringt der Kabarettist Bodo Wartke Sophokles’ Schicksalstragödie vom antiken Herrscher, der unwissend seinen Vater mordet, die Mutter ehelicht und mit ihr vier Kinder zeugt, auf den Punkt.
Wer auch nur kurz das antike Drama gestreift hat, in der Schule oder im Studium, weiß: Der Ödipus-Stoff ist nichts zum Lachen. Bodo Wartke wiederum ist ein Entertainer mit besonderer Begabung für das Humoristische. Videos, in denen er Zungenbrecher rappt, entwickelten sich zum viralen Phänomen: „Niemand deckt das Dach kecker als der dicke Dachdecker.“ Wie passt das zusammen?
Überraschungsgast im Seminar
Der Kabarettist Bodo Wartke besuchte im Januar als Überraschungsgast Studierende im Seminar „Der Ödipus-Stoff von der Antike bis in die Moderne“ auf dem Campus der Freien Universität. „Ich möchte die Tragödie so lustig gestalten, wie es eben geht“, sagte Wartke zu den Studierenden, die in Hufeisenform in einem Seminarraum der Silberlaube saßen.
Dass sich ausgerechnet im Entsetzlichen auf einmal das Komische zeigen und in mal albernem, mal befreiendem Gelächter niederschlagen kann, gehört bei Wartke zur Methode: „Die Komik ermöglicht, dass die Leute bereit sind, sich auf die Tragik einzulassen. Sie ist eine Tür zum Verständnis eines Stücks, das immerhin 2500 Jahre alt ist“, findet Wartke. „Witz und Wissensvermittlung stehen einander nicht im Weg. Sie begünstigen sich eher.“
Zur Sitzung eingeladen hatte den Unterhaltungskünstler Seminarleiterin Julia Jennifer Beine. „Mir ist wichtig, Lehre auch Out-of-the-Box zu denken“, sagte die Altphilologin und Komparatistin, die in diesem Wintersemester die Professur für Digital Humanities am Institut für Griechische und Lateinische Philologie vertritt. „Es freut mich sehr, dass meine Studierenden so Einblicke in die Entstehung der Theaterproduktion erhalten und in die Arbeit an und mit dem Text.“
Die Seminarsitzung gestalteten die Studierenden aktiv mit: Vor dem Start der Diskussion sammelte die Dozentin die Eindrücke ihrer Studierenden mittels einer Abwandlung des Free-Flow-Writing und griff diese im Laufe des Nachmittags auf. In regem Austausch diskutierte das Seminar mit Bodo Wartke Szenen aus seinem „König Ödipus“ in der Theaterfilmfassung – da wurde für Detailfragen spontan auch einmal der Regisseur angerufen.
Von Sophokles bis Freud
Schon in der Antike wurde der Stoff mehrmals bearbeitet: Die Ödipus-Dramen von Aischylos und Euripides gingen verloren, sodass aus der Antike nur noch Texte von Sophokles erhalten blieben. „König Ödipus“, Sophokles’ Tragödie der menschlichen Verblendung und Selbsterkenntnis, ist ein Evergreen, immer wieder forderte die blutige Geschichte in ihrer unausweichlichen Wucht Dichter- und Denker*innen zu Neubearbeitungen heraus. Durch sein Konzept des Ödipus-Komplexes trug der Psychoanalytiker Sigmund Freud dazu bei, das sophokleische Drama zusätzlich zu popularisieren, wovon die Fülle der literarischen Ödipus-Rezeptionen im 20. Jahrhundert Zeugnis ablegt: So stehen auf dem Seminarplan Bearbeitungen in verschiedenen Gattungen und Sprachen, von Sophokles über Jean Cocteau bis hin zu Natalie Haynes – und natürlich Bodo Wartkes Neudichtung „König Ödipus“ von 2009.
Lange schon bestückt der Kabarettist mit seiner durchgehend gereimten One-Man-Show rund um den unglückseligen „Motherfucker“ die Bühnen. Dazu braucht Bodo Wartke nicht viel mehr als ein Klavier, eine Sonnenbrille und ein Baseballcap. Wartkes Orakel von Delphi ist leicht genervt von all den blöden Fragen, die ihm dauernd gestellt werden, die Sphinx entpuppt sich als plüschige Löwen-Handpuppe und ein dramaturgisch wichtiger Streit zwischen Ödipus und Kreon wird als Rap-Battle aufgelöst. Trotz aller Referenzen auf die Hoch-, Pop- und Jugendkultur tastet Wartke den tragischen Kern des Stoffs nicht an. „Meine größte Sorge war, dass mein Publikum, das mich eben als komödiantischen Klavierkabarettisten kennt, auf den Wechsel zwischen Komik und Tragik nicht einsteigen kann. Aber das Gegenteil ist der Fall, und diese emotionale Bandbreite ist es vor allen Dingen, was den Menschen am Programm so gut gefällt.“ Doch an den falschen Stellen zu lustig zu sein – „das wäre Verrat an der Geschichte.“
Pädagogisch wirksam trotz Studienabbruch
In der Oberstufe habe Wartke Sophokles’ „König Ödipus“ nicht nur gelangweilt, sondern auch herausgefordert. „Ich dachte: ‚Die Geschichte an sich ist klasse, nur müsste man sie verständlicher erzählen.‘“ Und so schrieb er noch zu Schulzeiten einzelne Szenen neu, die er während seiner kabarettistischen Laufbahn nach und nach erweiterte und ergänzte.
Nach der Schule hat Wartke in Berlin erst zwei Semester Physik auf Diplom studiert, abgebrochen und mit Musik auf Lehramt weitergemacht, aber auch das nach zehn Semestern aufgegeben. Letztlich sei er zwar kein Lehrer geworden, aber in gewisser Weise doch: „Weil ich in meinem Programm Inhalte vermittle, die auch in der Schule thematisiert werden.“ Er genieße die Freiheit, die ihm als Kabarettist zur Verfügung stehe. „Und die Deutschlehrerinnen und -lehrer vermitteln den Ödipus mit meinem Stück!“
In 15 Jahren habe er den Solo-Ödipus etwa 150 Mal gegeben, schätzt der Unterhaltungskünstler. Sophokles dagegen, berichtete Julia Jennifer Beine, habe das Stück für eine einzige Aufführung geschrieben. Bodo Wartkes „König Ödipus“ dichtet sich zwar nah an Sophokles heran, erzählt aber erst einmal, was davor geschah. So greift er den Mythos um Laios auf, Ödipus’ Vater und König von Theben, der durch sein Fehlverhalten einen Fluch über die Familie bringt: Sein eigener Sohn werde ihn töten. Bei Wartke sehen wir Laios hierauf die Aussetzung seines neugeborenen Sohnes anordnen und die unerwartete Rettung des Kindes, das vom Königspaar von Korinth als ihr eigenes großgezogen wird. Wir sehen Ödipus groß werden, unwissentlich seinen leiblichen Vater töten und Theben vor der Sphinx retten.
Mit Socken im Ehebett
Die alten Griechen kannten die gesamte Ödipus-Sage, sagte Wartke. Sophokles konnte also im „König Ödipus“ einen Großteil der Vor- und Nachgeschichte dessen, was auf der Bühne passiert, als bekannt voraussetzen und weglassen. Und Julia Jennifer Beine ergänzt: „Vielmehr als das Was der Handlung dürfte das antike Publikum das Wie der Inszenierung interessiert haben.“
Der Sachverstand des Publikums antiker Theaterproduktionen beruhte aber nicht nur auf dem regelmäßigen Besuch der Aufführungen, sondern auch darauf, dass ein erheblicher Teil der Zuschauer in irgendeiner Funktion selbst an zahlreichen Aufführungen beteiligt gewesen war, erklärte Julia Jennifer Beine. „Allein an dem fünftägigen Fest der Großen Dionysien in Athen waren jedes Jahr mehr als 1000 Chorsänger beteiligt.“ Im Gegensatz zu den professionellen Schauspielern auf der Bühne waren die Mitglieder des Chors, der aus männlichen Polis-Bürgern bestand, Laien.
Einmal, erzählt Wartke, habe er sich mit dem Altphilologen Kurt Steinmann getroffen, aus dessen bei Reclam erschienener Ödipus-Übersetzung er viele Zitate verwendet. Steinmann habe gescherzt, Ödipus – übersetzt Schwellfuß – müsse im Ehebett die ganze Zeit Socken getragen haben. „Denn eigentlich hätte seine Mutter und Ehefrau Iokaste ihn an den Füßen erkennen müssen. Sie und ihr Mann Laios hatten ihm als Kleinkind die Füße durchbohren lassen.“
Ödipus’ Name gibt Anlass zu einigen Assoziationen, sagte Julia Jennifer Beine. „Oidípous lässt auch an das griechische Wort oida denken, das ‚ich weiß‘ bedeutet. Interessanterweise handelt es sich um die Perfektform des Verbs eidon, ‚ich sehe‘. Sehen und Wissen sind hier also miteinander verknüpft.“ Was nicht einer gewissen tragischen Ironie entbehrt, wie eine Studentin bemerkte: Als Sehender kann Ödipus die Wahrheit nicht erkennen. Und schließlich, da er um die Wahrheit und seine Schuld weiß, blendet er sich.
Schuld und Sühne
Über die Frage der Schuld wird im Seminar ausführlich diskutiert. Hat der Ödipus aus Wartkes Neudichtung durch sein eigenmächtiges Handeln selbst bewirkt, dass die Weissagungen des delphischen Orakels sich erfüllen? Ödipus tötet seinen unbewaffneten Vater, ohne sich in einer Notwehrsituation zu befinden – hat er vorsätzlich gehandelt oder ist der Mord nur die Folge fataler Umstände? Warum überhaupt muss Ödipus das Vergehen seines Vaters büßen?
Zu den Rezeptionen, die die Studierenden im Seminar lesen und diskutieren, gehören auch die Kriegserzählung „König Ödipus“ des DDR-Autors Franz Fühmann, in welcher ein entscheidender Akzent gegen die Erzieher junger Menschen im totalitären Staat gerichtet ist, und die „Comedy of Oedipus“ des ägyptischen Autors Ali Salem, der den Mythos in eine politische Allegorie auf das ägyptische Regime und seine Politik im Sechstagekrieg verwandelt. Ob er auch eine politische Intention verfolge, wollte eine Studierende von Bodo Wartke wissen.
„Ich möchte den Stoff vor allem unterhaltend neu erzählen“, sagte der Kabarettist. „Allerdings hat das Stück, ohne dass ich es beabsichtigt hätte, auch eine politische Dimension. Ödipus hat echt schwer zu tragen. Er muss büßen für Vergehen, die er gar nicht bewusst begangen hat. Er übernimmt trotzdem die Verantwortung, um die Stadt Theben zu retten.“ So gesehen, ließe sich dem Stück auch etwas Hoffnungsvolles abgewinnen, indem wir uns fragten: „Wo hat man Handlungsspielraum in der vermeintlichen Handlungsunmöglichkeit?“