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Retten, was wir retten können

Bei einem Science-Picknick mit Vorträgen, Führungen, Infoständen und Foodtrucks im Botanischen Garten startete die Freien Universität Berlin in ihr „Jahr der Biodiversität“

03.07.2024

Das Team der Initiative Blühender Campus erklärte an einem Info-Stand, mit welchen Maßnahmen man Biodiversität im eigenen Garten fördern kann.

Das Team der Initiative Blühender Campus erklärte an einem Info-Stand, mit welchen Maßnahmen man Biodiversität im eigenen Garten fördern kann.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

„Das größte Artensterben seit dem Ende der Dinosaurier“, die „ignorierte Megakrise“: Jedes Jahr am 22. Mai, dem internationalen Tag der biologischen Vielfalt, stehen Biodiversität und der tägliche Verlust von 150 Tier- und Pflanzenarten einen Moment im Licht von Medien und Öffentlichkeit. Die Freie Universität feierte an diesem 22. Mai 2024 den Start in ihr Jahr der Biodiversität, bei dem es darum geht, Forschung und Campusinitiativen zu biologischer Vielfalt vorzustellen und voranzubringen. Bei der Veranstaltung mit Gästen aus Politik, Kultur und Wissenschaft wurde außerdem die Biodiversitätsstrategie der Hochschule vorgestellt.

„Wo die Biodiversität kollabiert, geht noch viel mehr kaputt“, warnte Günter M. Ziegler, Präsident der Freien Universität, in seinem Grußwort. „Deshalb sind wir hier.“ Seit mehr als 20 Jahren engagiert sich die Freie Universität für Nachhaltigkeit. Seit 2023 trägt sie das Label „Nature Positive University“. „Mit unserer Biodiversitätsstrategie wollen wir zeigen, dass auch der Artenschutz für uns eine wichtige Aufgabe ist“, betonte der Präsident.

Ehrenamtliches Engagement bereitete den Weg

Studierende, Forschende, Beschäftigte und Nachbarn treiben die Naturschutzprojekte auf dem Campus voran. Auf dieses ehrenamtliche Engagement ist der Präsident besonders stolz. „Ich danke Ihnen für Ihre Beharrlichkeit, Ihre Initiativen und Ihr Interesse. Sie haben dazu geführt, dass wir dieses Themenjahr begehen und nun eine fest verankerte Strategie vorstellen können.“

Ehrengast Ina Czyborra, Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege des Landes Berlin, äußerte Bewunderung für Forschende, die sich für so unscheinbare, aber wichtige Lebewesen wie Kieselalgen begeistern und andere mit dieser Begeisterung anstecken. Die Wissenschaft müsse aber auch an gesellschaftlichen Debatten teilnehmen, Lebenswirklichkeit erklären, Problemlösungen entwickeln und gesellschaftlichen Wandel gestalten, sagte sie in ihrem Grußwort.

Eine Strategie für Forschung, Lehre, Architektur und Kommunikation

Genau das soll die neue Strategie bewirken, erklärte Rebecca Rongstock. Die Biologin leitet das Projekt „Blühender Campus“ und ist in der Stabsstelle Nachhaltigkeit der Freien Universität für Biodiversitätsmanagement zuständig. In einem Expertise-Team und einem Think Camp mit rund 70 Studierenden und Beschäftigten wurden drei Handlungsfelder erarbeitet:

  • Forschung und Lehre: Formate wie „Lebende Labore“ – Living Labs – sollen ausgebaut werden. Studierende erforschen, kartieren und managen die Artenvielfalt auf dem Campus.
  • Bau- und Landschaftsplanung: Durch die Pflege von Grünflächen wird Biodiversität gefördert. Heimische Arten werden gepflanzt, Nistkästen platziert und Habitate geschaffen. Ziel ist auch, ein gesundes Mikroklima auf dem Campus zu schaffen und Regenwasser zu speichern.
  • Partizipation, Kooperation und Kommunikation: Viele Menschen sollen zum Mitmachen motiviert werden und von grünen Lernorten profitieren.

Podiumsdiskussion: Wie stoppen wir den Artenverlust?

„Die internationale Politik allein wird den Biodiversitätsverlust nicht aufhalten“, betonte Lena Partzsch, Professorin für Umwelt- und Klimapolitik am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität, in der anschließenden Podiumsdiskussion. Seit Jahren fassten die Vereinten Nationen Beschlüsse zum Schutz der Artenvielfalt, doch es passiere kaum etwas.

Auf der UN-Biodiversitätskonferenz 2022 setzten die Teilnehmer ein neues Ziel: Bis 2030 sollen 30 Prozent der Land- und Meeresflächen weltweit unter Naturschutz stehen. „In Deutschland sind es derzeit nur 6,5 Prozent“, fügte die Politikwissenschaftlerin hinzu.

Partzsch hob hervor, dass die Biodiversitätsstrategie einer Universität ein wichtiger Schritt sei. Doch auch die Landwirtschaft, Unternehmen und die Zivilgesellschaft müssten mehr tun. „Wir brauchen positive Visionen und utopische Erzählungen, um das Artensterben zu stoppen“, sagte sie mit Nachdruck.

150 Millionen Jahre für 400.000 Blühpflanzenarten

Was durch das Artensterben verlorengeht, sei für viele Menschen noch sehr abstrakt, sagte Thomas Borsch, Professor für Systematik und Geographie der Pflanzen an der Freien Universität und Leiter des Botanischen Gartens Berlin. „Stellen Sie sich vor, Sie müssten jeden Tag Spinat essen. Das ist auf Dauer ziemlich eintönig. Artenvielfalt bringt den Unterschied.“

Es habe rund 150 Millionen Jahre gedauert, bis etwa die rund 400.000 Blühpflanzenarten auf der Erde entstanden seien. Da könne man sich schon fragen, ob Menschen das Recht hätten, dies alles zu zerstören. Er wisse aus seiner pädagogischen Arbeit im Botanischen Garten, dass Vernunft allein nicht ausreiche, um Menschen zu überzeugen. „Man muss die Seele und die Emotionen ansprechen, und das tun wir hier.“

Lernen aus der Diskussion um die Klimaerwärmung

Jörg Andreas Krüger, Präsident des Naturschutzbundes Deutschland e.V. (NABU), sieht einen wachsenden Bewusstseinswandel. So ließe sich etwa nicht mehr übersehen, dass in den Dürrejahren von 2018 bis 2022 in Deutschland 600.000 Hektar Wald verloren gegangen sind. „Mit der Biodiversität stehen wir heute dort, wo wir in der Klimadiskussion vor zehn Jahren waren. Daraus sollten wir lernen“, betont er.

Beim Klimaschutz erzielten technische Lösungen wie die Energiewende bisher große Erfolge. Schwieriger gestaltet sich jedoch die Veränderung von Verhaltensweisen. Immerhin verpflichtet die Gesetzgebung der Europäischen Union nun auch große Unternehmen, über ihre Maßnahmen zur biologischen Vielfalt zu berichten. Das stimmt Jörg Andreas Krüger optimistisch: „Wir erhalten zahlreiche Anfragen von Unternehmen, die wissen wollen, was das für sie bedeutet.“

Lena Partzsch sieht bei ihren Studierenden neben Wut und Ohnmacht den Willen, etwas zu verändern. „Wir haben die Chance, Studierenden zu zeigen, wie sie später im Job einen Beitrag zu Artenschutz und Nachhaltigkeit leisten können.“

Biodiversität selbst entdecken: Führungen, Vorträge, Infostände

Nach den Reden konnten Interessierte an thematischen Führungen durch den Botanischen Garten teilnehmen und dabei etwa seltene Pflanzenarten kennenlernen, Details über Schutzmaßnahmen erfahren, Tagfalter beobachten und die Technik in den Katakomben unter den Gewächshäusern besichtigen. Parallel dazu boten Forschende der Freien Universität und von Partnereinrichtungen in Kurzvorträgen Einblicke in die Welt der Biodiversitätsforschung.

17 Einblicke in die Biodiversitätsforschung
Erfahren Sie mehr über das Reich der Flechten, die Apfelwiese, die Suche nach der Pfingstnelke, Licht als Gefahr für nachtaktive Tiere, das SLOSS-Problem, den Zusammenhang von Klima und Biodiversitä und weitere Themen: Alle 17 Kurzvorträge stehen als Video-Aufzeichnung zur Verfügung.
Prof. Dr. Aletta Bonn, Berliner Landesbeauftragte für Naturschutz und Landschaftspflege

Prof. Dr. Aletta Bonn, Berliner Landesbeauftragte für Naturschutz und Landschaftspflege
Bildquelle: CeDiS

„Lasst uns Berlin kartieren, lasst uns gucken, was es noch gibt“, ermunterte Aletta Bonn, Berliner Landesbeauftrage für Naturschutz und Landschaftspflege, die Zuhörer*innen. Sie stellte ihr Projekt VielFalterGarten vor, bei dem Bürger*innen mithilfe einer App die Schmetterlinge in ihrer Umgebung bestimmen und zählen können. Die Daten helfen der Forschung und das Projekt sensibilisiert dafür, wie das eigene Umfeld mit einfachen Mitteln schmetterlingsfreundlich gestaltet werden kann: Sparsam mähen, heimische Arten pflanzen, Kräuter blühen lassen, Hecken und Brennnesseln stehenlassen, Insektizide, Kunstdünger und Torf vermeiden.

Dr. Oksana Buzhdygan, Arbeitsgruppe Theoretische Ökologie, Freie Universität Berlin

Dr. Oksana Buzhdygan, Arbeitsgruppe Theoretische Ökologie, Freie Universität Berlin
Bildquelle: CeDiS

Alles hängt mit allem zusammen

Die Biologin Oksana Buzhdygan aus der Arbeitsgruppe für Theoretische Ökologie der Freien Universität zeigte dem Publikum, wie eng viele Aspekte der Biodiversität miteinander verwoben sind. Abhängigkeiten wie etwa Nahrungsketten werden bei genauerer Betrachtung immer vielfältiger und komplexer. Von Menschen verursachte Störungen gefährden das Gleichgewicht und können Pilze, Bakterien oder Schadinsekten begünstigen, die wiederum ganze Ernten vernichten.

Dr. Albert Denk, Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin

Dr. Albert Denk, Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Wie über Biodiversität bei den Vereinten Nationen diskutiert wird, erklärte Albert Denk vom Otto-Suhr-Institut der Freien Universität. Schon 1993 wurde ein internationales Übereinkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt getroffen, doch das Artensterben nimmt trotzdem weiter zu. Viele Länder verfolgten vor allem ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen. „Politik ist Machtkampf“, fasste der promovierte Politikwissenschaftler zusammen. Er wünscht sich eine Demokratisierung der Vereinten Nationen und macht in seinem neuen Buch auch Vorschläge dazu.

Dr. Elke Zippel, Kustodin der Saatgutsammlungen am Botanischen Garten Berlin

Dr. Elke Zippel, Kustodin der Saatgutsammlungen am Botanischen Garten Berlin
Bildquelle: CeDiS

Verantwortung für Arten übernehmen

Elke Zippel, Kustodin der Dahlemer Saatgutbank im Botanischen Garten, berichtete in ihrem Vortrag über die Pfingstnelke. „Weil ein großer Teil des weltweiten Bestandes in Deutschland vorkommt, hat unser Land eine besonders hohe Verantwortung, diese Art zu schützen und zu erhalten“, erklärte sie. An den wenigen verbliebenen natürlichen Standorten der Pfingstnelke, etwa in den Kiefernwäldern des Oberbarnim in Brandenburg oder an steilen Felswänden in Thüringen, sammelt die promovierte Biologin Samen für die Saatgutbank und die Anzucht von Pflanzen, die später wieder ausgepflanzt werden.

 

Prof. Dr. Franz Hölker, Leiter der Forschungsrgruppe Lichtverschmutzung und Ökophysiologie am IGB

Prof. Dr. Franz Hölker, Leiter der Forschungsrgruppe Lichtverschmutzung und Ökophysiologie am IGB
Bildquelle: CeDiS

Lichtverschmutzung lässt sich reduzieren

Franz Hölker betrachtet die Welt mit den Augen eines Nachtfalters und sieht: zu viel Licht! Am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei hat sich der Forscher unter anderem auf die Folgen der Lichtverschmutzung auf biologische Vielfalt spezialisiert. Er nennt ein Beispiel, das wir alle kennen: Helle Straßenlaternen ziehen nachts Insekten an, die dort zur leichten Beute für Spinnen und andere Tiere werden. „Dadurch verschieben sich Räuber-Beute-Beziehungen“, erläutert er. Es ließe sich nachweisen, dass Lichtverschmutzung einen Teil des Schwunds an Nachtfaltern erklärt.

Die Lösung ist einfach: Licht aus, wenn es nicht gebraucht wird, zum Beispiel mithilfe von Bewegungsmeldern. Und Straßenbeleuchtung nur auf die Flächen richten, die wirklich hell sein müssen. Mit seiner Arbeitsgruppe hat der Forscher Laternen mitentwickelt, die kein unnötiges Licht in die Umgebung abstrahlen, ebenso wie Empfehlungen für eine „dunkle“ Infrastruktur.

Dr. Felix May, Arbeitsgruppe Theoretische Ökologie der Freien Universität Berlin

Dr. Felix May, Arbeitsgruppe Theoretische Ökologie der Freien Universität Berlin
Bildquelle: CeDiS

Felix May aus der Arbeitsgruppe für Theoretische Ökologie der Freien Universität sprach über das sogenannte SLOSS-Problem: Wie wird Artenvielfalt besser effektiver geschützt – durch ein einzelnes großes Schutzgebiet oder durch mehrere kleine – auf Englisch: Single Large or Several Small areas? Natürlich – wie so häufig in der Wissenschaft – gibt es keine eindeutige Antwort, denn: „Es kommt darauf an, um welche Arten und Habitate es sich handelt“, erläuterte der Ökologe. Grundsätzlich gelte jedoch: eine gute Mischung, und je mehr, desto besser.

Dr. habil. Robert Lücking, Leiter der Abteilung Evolution und Biodiversität am Botanischen Garten Berlin

Dr. habil. Robert Lücking, Leiter der Abteilung Evolution und Biodiversität am Botanischen Garten Berlin
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Flechten, so groß wie Suppenschüsseln

Robert Lücking, Leiter der Abteilung „Evolution und Biodiversität“ am Botanischen Garten, verriet dem Publikum, dass Flechten eigentlich Symbiosen aus Pilzen und Algen sind. Ein Hotspot für Flechten ist zum Beispiel die Berliner Museumsinsel. Dort sind sie auf Mauern und Bäumen zu finden, berichtete er. Das sei ein Zeichen für die gute Qualität der Berliner Luft, vor 20 Jahren habe es noch nicht so viele Flechten in der Stadt gegeben.

In seiner Forschung interessiert sich Robert Lücking aber mehr für das Erbgut von großen Herzflechten in Südamerika, die ein bisschen wie Suppenschüsseln aussehen. Mit DNA-Analysen hat sein Team herausgefunden, dass es davon nicht nur eine Art gibt, wie lange vermutet wurde, sondern rund 400 verschiedene Arten. Die Erkenntnisse helfen dabei, Schutzgebiete einzurichten, um ihre Artenvielfalt vor dem wachsenden Wasserbedarf von Großstädten wie Bogotá und Quito zu schützen.

Weitere Informationen

Alle Vorträge sind als Videos abrufbar:

Forschungseinblicke vom Science Picknick im Botanischen Garten Berlin am 22. Mai 2024 zum Jahr der Biodiversität an der Freien Universität Berlin