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75 Jahre Demokratiebildung und Expertise

Seit 1949 ist das Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin ein Ort der Demokratieforschung, des kritischen Engagements und der politischen Kompetenz. Jetzt feierte es 75. Jubiläum

17.07.2024

Podiumsrunde anlässlich des Jubiläums (v. l. n. r.): Hubertus Buchstein, Anja Wehler-Schöck, Simon Toewe, Lisa Paus und Moderator Thomas Rixen

Podiumsrunde anlässlich des Jubiläums (v. l. n. r.): Hubertus Buchstein, Anja Wehler-Schöck, Simon Toewe, Lisa Paus und Moderator Thomas Rixen
Bildquelle: Christian von Polentz für OSI-Club

So sah es 1962 aus: Das Gebäude für das Otto-Suhr-Institut (OSI) in der Ihnestr. 21

So sah es 1962 aus: Das Gebäude für das Otto-Suhr-Institut (OSI) in der Ihnestr. 21
Bildquelle: R. Friedrich

Als im Jahr 1920 die Deutsche Hochschule für Politik gegründet wird, sind die Ansprüche hoch. Am Schinkelplatz in Berlin-Mitte sollen verantwortungsvolle Staatsbürgerinnen und Staatsbürger für die junge Weimarer Demokratie ausgebildet werden. Doch nach nur dreizehn Jahren wird dem Projekt ein jähes Ende gesetzt. Die erste deutsche Demokratie scheitert, und 1933 wird die Hochschule von den Nationalsozialisten „gleichgeschaltet“. Als neuer Präsident wird Reichspropagandaminister Joseph Goebbels eingesetzt. Viele Dozentinnen und Dozenten sowie Studierende emigrieren, einige gehen in den Widerstand.

Doch nach dem Krieg lässt ein SPD-Politiker und späterer Regierender Bürgermeister von Berlin das Projekt wiederaufleben. Sein Name: Otto Suhr. Er gründet die Deutsche Hochschule für Politik im Jahr 1949 in Schöneberg neu. Nach seinem Tod im Jahr 1957 wird die Hochschule in die Freie Universität integriert und nach ihrem Neugründer benannt: An der Ihnestraße in Dahlem entsteht das Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft (OSI).
Von der bewegten Geschichte des Hauses zu seiner heutigen Bedeutung: Dr. Miriam Hartlapp, Professorin für Vergleichende Politikwissenschaft und Geschäftsführende Direktorin des OSI, hält die Jubiläumsrede.

Von der bewegten Geschichte des Hauses zu seiner heutigen Bedeutung: Dr. Miriam Hartlapp, Professorin für Vergleichende Politikwissenschaft und Geschäftsführende Direktorin des OSI, hält die Jubiläumsrede.
Bildquelle: Christian von Polentz für OSI-Club

Bundesfamilienministerin Lisa Paus im Gespräch mit Universitätspräsident Prof. Dr. Günter M. Ziegler (M.) und Prof. Dr. Thomas Rixen, Stellvertretender Geschäftsführender Direktor des OSI.

Bundesfamilienministerin Lisa Paus im Gespräch mit Universitätspräsident Prof. Dr. Günter M. Ziegler (M.) und Prof. Dr. Thomas Rixen, Stellvertretender Geschäftsführender Direktor des OSI.
Bildquelle: Christian von Polentz für OSI-Club

„Von Anfang an wurde die Ausbildung der Studierenden durch zwei zentrale Elemente geprägt“, sagt Miriam Hartlapp. „Die demokratische Bildung einerseits, die fachliche Ausbildung von politischen Lenkerinnen und Lenkern andererseits.“

Miriam Hartlapp ist Professorin für Vergleichende Politikwissenschaft und Geschäftsführende Direktorin des Otto-Suhr-Instituts. In ihrer Rede zum 75. Jubiläum des OSI spannt sie den Bogen von der bewegten Geschichte des Hauses zu seiner heutigen Bedeutung. „Angesichts von Vertrauensverlust vieler Bürger*innen in die demokratischen Institutionen und einem Rechtstruck in Europa“, sagt sie, „ist diese Idee, die Verbindung von demokratischer Ethik und politischer Expertise, wieder ganz besonders gefragt.“

In seiner 75-jährigen Geschichte war das Otto-Suhr-Institut oft ein zentraler Schauplatz politischer Auseinandersetzungen in der Bundesrepublik. Vor allem während der Studierendenproteste in den 1960er-Jahren. „Von der Nachkriegszeit über die 1968er-Generation bis zu den aktuellen Konflikten über die Situation in Israel und Gaza wurde an unserem Institut oft heftig miteinander gerungen“, sagt Miriam Hartlapp. „Dabei zeichnete uns aber stets die Überzeugung aus, dass wir über Gräben hinweg miteinander im Gespräch bleiben.“

Das Otto-Suhr-Institut ist eine der renommiertesten Standorte für Politikwissenschaft in Deutschland und darüber hinaus. Elf verschiedene Studiengänge werden dort angeboten, es gibt zahlreiche internationale Kooperationen und drei deutsch-französische Doppelabschlüsse. Auf wissenschaftlicher Ebene prägt der Exzellenzcluster Contestations of the Liberal Script (SCRIPTS) die aktuelle Debatte entscheidend mit, in dem auch Wissenschaftler*innen des OSI arbeiten. Zahlreiche Lehrende des OSI wirken regelmäßig als Expert*innen in den Medien, viele Ehemalige bekleiden Führungspositionen in Wissenschaft, Medien und Politik.

Bundesfamilienministerin Lisa Paus hat am Otto-Suhr-Institut studiert. Die Alumna berichtete im Rahmen der Podiumsdiskussion von ihrer Zeit in Dahlem.

Bundesfamilienministerin Lisa Paus hat am Otto-Suhr-Institut studiert. Die Alumna berichtete im Rahmen der Podiumsdiskussion von ihrer Zeit in Dahlem.
Bildquelle: Christian von Polentz für OSI-Club

Bei der Jubiläumsfeier warfen vier Alumni einen Blick zurück auf ihre Studienzeit an der Ihnestraße. Darunter auch Lisa Paus, heute Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. „Ich habe hier genau die akademische Ausbildung erhalten, die ich mir ersehnt habe“, sagt sie. Es sei ein freies Studium gewesen, ebenso geprägt von Gründerfiguren der deutschen Politikwissenschaft wie von einer jungen, international-orientierten Generation von Wissenschaftlern.

Bei der Jubiläumsfeier wurden auch die aktuellen OSI-Absolventinnen und -Absolventen des Jahrgangs verabschiedet.

Bei der Jubiläumsfeier wurden auch die aktuellen OSI-Absolventinnen und -Absolventen des Jahrgangs verabschiedet.
Bildquelle: Christian von Polentz für OSI-Club

Bei der Jubiläumsfeier wurden auch die Bachelor- und Masterabsolventen des aktuellen Jahrgangs verabschiedet. Rund 280 junge Menschen, die ganz unterschiedliche Abschlüsse erworben haben: Lehramtsqualifikationen ebenso wie deutsch-französische Doppelmaster oder Spezialisierungen für die öffentliche Verwaltung.

Bachelorabsolventin Marie-Luise Schaller gratuliert in ihrer Abschlussrede besonders den Kommilitonen, die es – wie sie selbst – nicht einfach im Studium hatten. Schaller wuchs in einer Familie in Thüringen auf, der Vater Elektriker, die Mutter lange Zeit arbeitslos.

„Wir leben in einem Land, in dem nach wie vor Ungerechtigkeiten im Bildungssystem herrschen“, sagt sie. „Statistisch gesehen liegt die Chance, dass jemand mit meinem Hintergrund einen Bachelorabschluss erwirbt, bei nur 15 Prozent.“ Umso mehr sollten sich diejenigen feiern, die es trotz Widrigkeiten geschafft haben – und zu politischen Gestalterinnen und Gestaltern werden.