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Öko-Oase in der Großstadt

Seit zehn Jahren gärtnern Studierende, Beschäftigte, Alumni und Nachbarn der Freien Universität im Botanischen Garten naturnah und klimaresilient

09.09.2024

Gut geschützt im Folientunnel gedeihen Tomaten und viele andere biologisch gedüngte Gemüsesorten prächtig. Nils, Marlene und Noorullah (v.l.n.r.) brauchen nur noch zuzugreifen.

Gut geschützt im Folientunnel gedeihen Tomaten und viele andere biologisch gedüngte Gemüsesorten prächtig. Nils, Marlene und Noorullah (v.l.n.r.) brauchen nur noch zuzugreifen.
Bildquelle: Marion Kuka

Nils Wadehn befestigt die mobile Klingel am Tor eines Nebeneingangs zum Botanischen Garten. Nach und nach werden Studierende und Beschäftigte der Freien Universität, Nachbarn und Alumni dort eintreffen, um, wie jeden Freitagnachmittag, auf einem 500 Quadratmeter großen Gelände im nicht-öffentlichen Teil des Botanischen Gartens gemeinsam zu gärtnern, zu kochen und zu essen.

UniGardening@SUSTAIN IT! nennt sich das Bildungs- und Gemeinschaftsprojekt, das breit einlädt: „Egal ob Gartenlaie*in oder -profi, FU-Student*in oder Rentner*in, bei uns können alle mitmachen, die Interesse am Anbau von Nutz- sowie Wildpflanzen mitbringen und gerne an der frischen Luft sind“, heißt es auf der Webseite.

Seit 2014 lassen die Mitglieder hier naturnah und ökologisch Obst, Gemüse, Kräuter sowie Arznei- und Färberpflanzen wachsen. Zusammen mit Fachbereichen und Initiativen der Freien Universität, dem Botanischen Garten, Naturschutzorganisationen und Bildungseinrichtungen veranstalten sie auch Workshops und Seminare für naturnahes, klimaresilientes Gärtnern, Imkern und Färben mit Pflanzenfarben.

Viele kommen, um sich auszupowern

Nils hat die To-dos des Tages auf eine Tafel geschrieben, die vor dem mit Efeu bewachsenen Gartenhaus steht: Tomaten im Gewächshaus ausgeizen, also überflüssige Triebe abknipsen, Beikräuter von den Wegen entfernen, gießen, was trocken ist – und natürlich: ernten! Einfach entspannen sei natürlich auch erlaubt, sagt Nils. Viele kämen aber, um sich nach einem Tag am Schreibtisch auszupowern.

Seit drei Jahren koordiniert der Apotheker, der an der Freien Universität studiert hat, die Gruppe. In den vergangenen Monaten sei das fast ein Vollzeitjob gewesen, berichtet er. Seine Doktorarbeit auf dem Fachgebiet der Pharmazeutischen Biologie blieb manchmal liegen, weil bei UniGardening so viel Arbeit anfiel: Mitten auf dem Gelände wurde ein neues Trafohaus für den Botanischen Garten fertiggestellt, also mussten im Frühjahr die Baustellenflächen von Grund auf neu angelegt und bepflanzt werden. Und im Juni feierte die Initiative ihr zehnjähriges Jubiläum mit vielen Gästen.

Von Baustelle und Trubel ist im August nichts mehr zu spüren. Der Garten strahlt, prunkt und blüht in allen Farben, es duftet, summt und flattert, die Großstadt rückt in weite Ferne. „Jetzt ist die schönste Zeit“, sagt Nils. Im Garten kennt er fast jede Pflanze: Einkorn und Emmer im Schaubeet für Getreidesorten, weiße, eiförmige Auberginen im Folientunnel – darum wird die Pflanze in England Eggplant genannt –, knubbelige, runde Pariser Möhren im neuen Beet hinter dem Trafohäuschen. Wer ihm zuhört, möchte sofort selbst loslegen: buddeln, säen, ernten, Glück verspüren.

Gemeinschaft wird großgeschrieben

Die Flächen von UniGardening liegen zwischen Forschungsgewächshäusern und einem Bauerngarten für alte Obstsorten. Der Platz ist knapp und wird gut genutzt. Im Gartenhaus aus Backstein und Fachwerk hat die Initiative einen gemütlichen Raum mit Küche, Tisch, Sofa und Regalen für Geräte, Bücher und Saatgut eingerichtet. Hier treffen sich die Mitglieder auch im Winter, zum Planen und Diskutieren, zum Filmabend und zur Weihnachtsfeier.

Heute schwitzen Marlene und Noorullah im fast zwei Meter hohen Dickicht der Tomatenpflanzen. Die Ernte fällt üppig aus, viele Sorten, viele Früchte, zwei große Kisten kommen zusammen. Noorullah, Doktorand am Institut für Pharmazie, erinnert die Arbeit an den Gemüsegarten seiner Familie in Pakistan, mit der Biologin Marlene tauscht er sich später über Elektronenmikroskopie aus.

Katharina inspiziert unterdessen das Fenchelkraut. Die Tierfotografin sucht die Schwalbenschwanz-Raupen, die sie neulich dort abgelichtet hat. Der große Tagfalter ist nur selten in Berlin zu finden, das Team war besonders stolz auf die Exemplare. Doch weder Raupen noch Puppen noch Falter zeigen sich heute. Also widmet sich Katharina dem Kompost. Nach einem Arbeitsunfall ist sie auf einen Rollstuhl angewiesen, ihre Arbeitsgeräte hat sie im Rucksack dabei. Auf dem Kompost lagern zu viele unterschiedliche Pflanzenabfälle, stellt sie fest. Zusammen mit Marlene sortiert sie bereits kompostierende Klumpen mit Würmern und trockene Äste in Schubkarren und Eimer. Irgendwann taucht sogar eine alte Sichel aus dem Haufen auf.

Zur Erntezeit liefert der Garten eine opulentes Abendessen

Im Gartenhaus wird die Ernte verarbeitet: Kartoffeln, Möhren, Zucchini, Tomaten, Auberginen, Kräuter – häufig Sorten, die nicht im Supermarkt zu finden sind. Nils freut sich über die mexikanischen Mini-Gurken: klein wie Datteltomaten, und doch grün und knackig. Nur wenige Zutaten stammen nicht aus dem Garten: Quark, Butter, Öl, Hafersahne, Salz und Pfeffer. Maxim und Margot sind heute die Chefs am Herd, Ratatouille und Kartoffeln brutzeln in der Pfanne. Nils bereitet einen Salat mit essbaren Blüten, Noorullah und Marlene schnippeln Pfirsiche, Äpfel, Birne und Feigen für den Nachtisch.

Es dämmert schon, als bei Kerzenlicht an einer langen Tafel gegessen wird. Tischgespräch sind Rezepte und Pflanzenwissen, die Arbeit in der Uni, aber auch Freud und Leid aus dem Privatleben. Viele kennen sich schon länger, wer neu ist, wird schnell integriert. „Mit meinem Rollstuhl wurde ich sofort akzeptiert“, erzählt Katharina. Sie schätzt vor allem, dass hier verschiedene Generationen und Kulturen zusammenkommen.

Großes Potenzial für Bildungsarbeit

Beim Obstsalat wird es ernster: Mit ehrenamtlichem Engagement hat die Initiative in zehn Jahren viel aufgebaut. Doch der Ort und das erworbene Wissen über nachhaltigen Anbau und Biodiversität haben weit mehr Potenzial, finden Nils und Tom, der ehemalige Gartenkoordinator. Für die Schüler:innen-Uni Klimaschutz + Nachhaltigkeit bietet Tom seit einigen Jahren einen Kurs zu Bienen und Nisthilfenbau an. Von solchen Angeboten könnte es mehr geben. „Unser Traum ist eine bezahlte Stelle für Bildungsarbeit“, sagt Nils. So könnte UniGardening noch mehr Menschen erreichen.

Weitere Informationen

Egal ob Laie oder Profi, FU-Student*in oder Rentner*in, bei UniGardening können alle mitmachen, die Interesse am Anbau von Nutz- und Wildpflanzen mitbringen und gerne an der frischen Luft sind. Das Team trifft sich regelmäßig am Freitagnachmittag zum gemeinsamen Gärtnern, Lernen und Kochen – auch im Herbst und Winter.

Zur Anmeldung genügt eine kurze E-Mail an unigardening@gmail.com oder an sustain-it@fu-berlin.de oder eine Direktnachricht auf Instagram an uni.gardening.

Bildergalerien und weitere Infos: