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„Die Frauen singen nicht, sie suchen sich nur den besten Sänger aus“

Verhaltensforscher der Freien Universität untersuchen den Gesang von Nachtigallen

19.10.2008

Singendes Nachtigallenmännchen

Wer singen und tanzen kann, hat Erfolg bei den Frauen - das Nachtigallenmännchen weiß, wie's geht
Bildquelle: Josef Vorholt / linnea images

Sarah Kiefer (links) und Kim Geraldine Mortega schauen sich an, wie die Verhaltensbiologen früher anhand von Papierstreifen die Gesänge auswerteten

Sarah Kiefer (links) und Kim Geraldine Mortega schauen sich an, wie die Verhaltensbiologen früher anhand von Papierstreifen die Gesänge auswerteten
Bildquelle: Freie Univerität Berlin / Sabrina Wendling

„Tütütütü-pipa-trtrtrtrtrtr“ – so etwa mag das Nachtigallenlied im Ohr des Laien klingen. Dass aber das Nachtigallen-Männchen mit seinem breiten Repertoire jede Gesangsdiva in den Schatten stellt, ist wohl nur den Wenigsten bekannt. Bis zu 200 verschiedene Strophen kann der gefiederte Nachtschwärmer singen. Zum Vergleich: Eine Amsel hat gerade einmal 30 bis 50 Singstrophen zu bieten.

In der Arbeitsgruppe Verhaltensbiologie der Freien Universität beschäftigen sich die Wissenschaftler schon lange mit dem Gesangskönig unter den Vögeln. An einer Stellwand hängen unzählige weiße Papierstreifen, die wie aneinander gereihte Filmnegative aussehen. Darauf sind mit schwarzer Farbe Punkte, Striche und Linien dargestellt. „Das sind die einzelnen Strophen der Nachtigall, wie wir sie für unsere Auswertungen visualisieren“, erklärt Sarah Kiefer, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Verhaltensbiologie. An der Reihenfolge, in der die Nachtigall die Strophen singt, lässt sich in der Regel auch der Vogel erkennen. Daher weiß Kiefer: „Die meisten Nachtigallen an der Freien Universität sind Stammgäste.“

Die Gunst gewinnt der beste Sänger

Zu den Stammgästen zählen auch „Silber“ und „Laube“, die nach dem Gebäudekomplex der Geisteswissenschaften der Freien Universität benannt sind, in dessen Nähe die beiden Vögel am liebsten zwitschern. Die Weibchen unter den Nachtigallen sind ganz im Gegensatz zu den Männchen ein sehr schweigsames Völkchen. „Die Frauen selbst singen nicht, sie suchen sich nur den besten Sänger aus“, sagt Sarah Kiefer.

Die Männchen rücken während ihres Konzerts meistens nicht vom Fleck, sodass die Weibchen sie schnell finden. Ist das Weibchen neugierig geworden, geht es im Leben der Nachtigallen schnell bewegt zu: „Beim Balztanz fliegt das Männchen entweder in einem vertikalen Kreis vor dem Weibchen auf und ab oder es hüpft blitzschnell zwischen zwei Ästen hin und her“, hat Mortega beobachtet.

Singen will gelernt sein

Haben sich die Nachtigallen gepaart, dann legen die Weibchen etwa drei bis sechs Eier, über denen sie im Durchschnitt gerade einmal elf Tage brüten. Die frisch geschlüpften Küken haben von Anfang an ein helles Köpfchen, das begierig alle Nachtigallengesänge aus der Umgebung aufnimmt. Das mausgroße Tier hat ein Gedächtnis mit der Speicherkapazität eines Elefantengedächtnisses: „Bis zum Jahresende hören die Jungvögel ihren Vätern einfach nur zu, danach beginnen sie einen ,Subsong‘ zu singen, so ähnlich wie das Gebrabbel bei kleinen Kindern“, erklären Mortega und Kiefer, „bis zu ihrem ausgereiften Gesang, dem ,crystallized Song‘, brauchen sie ein ganzes Jahr.“

Wer derzeit nachts wacht, um die Nachtigall zwitschern zu hören, tut dies vergeblich. Die Vögel überwintern nämlich gerade in Afrika und kehren erst wieder im April nach Berlin zurück.