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Blinde Flecken in der Geschichtsschreibung?

Am Lateinamerika-Institut der Freien Universität fand am 3. und 4. Dezember ein Workshop zum Thema „Erinnerung und Geschichtspolitik“ statt

04.12.2009

Im Valle de los Caídos nahe Madrid versammeln sich alljährlich auch Franco-Anhänger der jüngeren Generation zum Gedenken an seinen Todestag.

Im Valle de los Caídos nahe Madrid versammeln sich alljährlich auch Franco-Anhänger der jüngeren Generation zum Gedenken an seinen Todestag.
Bildquelle: Nina Elsemann

Wie etabliert man einen demokratischen Staat? Und was ist, wenn die Demokratie zwar längst etabliert ist, die Schulkinder aber kaum wissen, dass die Geschichte ihres Landes im 20. Jahrhundert mehr als nur ein paar dunkle Flecken hat? Nina Elsemann ist Doktorandin am Lateinamerika-Institut der Freien Universität und hat gemeinsam mit Kollegen einen Workshop zum Thema „Erinnerungskultur“ initiiert.

In ihrer Dissertation untersucht Nina Elsemann, inwiefern sich in Spanien der Umgang mit der franquistischen Vergangenheit in den letzten Jahren verändert hat. Welchen Einfluss hatten die Aufarbeitungs- und Erinnerungsprozesse  in Lateinamerika darauf?

Bis vor zehn Jahren sprach man in Spanien kaum über die Bürgerkriegs- und Diktaturvergangenheit. Massengräber, Konzentrationslager und verschwundene Anhänger der Opposition, das hatte es anderswo gegeben. In Chile oder Argentinien zum Beispiel. Spanien war maßgeblich an dem Verfahren gegen den ehemaligen chilenischen Diktator Pinochet beteiligt. Nina Elsemann studierte zur Zeit der Prozesse in Salamanca und fragte sich, warum die eigene Vergangenheit Spaniens während der 40-jährigen Franco-Diktatur konsequent totgeschwiegen wurde, während die Medien etwa den „Fall Pinochet“ breit diskutierten.

Erinnern oder neu anfangen?

Mit dem Tod Francos wurde in Spanien ein Schlussstrich unter die Diktatur gezogen. Eine Auseinandersetzung um verschwundene Oppositionelle und Säuberungsaktionen hätten den friedlichen Übergang in die moderne europäische Demokratie gefährden können. „Man beschloss in stillschweigendem Übereinkommen, die Vergangenheit aus der Politik herauszuhalten“, erklärt Nina Elsemann. Erst über den Umweg der Beschäftigung mit den weniger lange zurückliegenden Ereignissen in Lateinamerika hätte die Generation der heute 30- bis 40-Jährigen eine öffentliche Debatte eingefordert. Sie machte Druck auf die Politik.

2007 wurde die „Ley de la memoria histórica“ verabschiedet. Sie setzte beispielsweise fest, dass Straßen und Plätze in Spanien, die heute noch nach faschistischen Kriegsverbrechern benannt sind, andere Namen bekommen. Es ist auch ein Verdienst der Wahrheitskommissionen Lateinamerikas, dass Opfer und Angehörige in Europa Gehör finden. Auch wenn immer noch Gedenkfeiern für Franco stattfinden und es von den Lehrern abhängen mag, wie und ob die Geschichte des 20. Jahrhunderts gelehrt wird, wurde die „Neue Sicht auf die Vergangenheit“ in  Film und Literatur in den letzten Jahren enthusiastisch aufgenommen.

Zusammenarbeit über nationale Grenzen hinweg

In ihrer Dissertation untersucht Nina Elsemann Anknüpfungspunkte und Verbindungslinien zwischen den Kontinenten. „Die Geschichte Spaniens und Lateinamerikas ist eine gemeinsame, geteilte Geschichte, sowohl durch die Kolonialvergangenheit als auch durch Exil und Migration.“ Nina Elsemann ist eine von fünf Doktorandinnen der Geschichte am Lateinamerikainstitut der Freien Universität,  die sich mit dem Thema der Erinnerung beschäftigen und auf deren Initiative der Workshop stattfindet. Gemeinsam mit dem Zentrum für Regionalstudien ist ein interdisziplinäres Forschungsprojekt geplant, das Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Umgang mit der Vergangenheit auch in Osteuropa und Asien behandeln soll.

Weitere Informationen

Veranstaltungsort: Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin, Rüdesheimer Str. 54-56, 14197 Berlin, Raum 201 (U-Bhf. Rüdesheimer Platz, U3)