Der Molekül-Modellierer
Biochemiker Volker A. Erdmann entwickelt „Spiegelzyme“
06.03.2013
Der Biochemiker Volker A. Erdmann entwickelt künstliche Nukleinsäuren, die medikamentöse Nebenwirkungen verhindern.
Bildquelle: Stephan Töpper
Volker A. Erdmann, Professor für Chemie und Biochemie an der Freien Universität Berlin, hat für die medizinische Grundlagenforschung eine neue Form künstlicher Nukleinsäuren hergestellt, sogenannte Spiegelzyme. Die von Erdmann als Patent angemeldeten Spiegelzyme werden als Spiegelbilder natürlich vorkommender Moleküle chemisch modelliert. Erdmanns Ziel ist es, die Spiegelzyme gewissermaßen als molekulare Schere zu verwenden, die – in menschlichem Blut und menschlichen Zellen eingesetzt – beispielsweise dafür sorgen kann, medikamentöse Nebenwirkungen zu verhindern. Außerdem sollen Spiegelzyme bei der Behandlung von Tumorerkrankungen eingesetzt werden.
Bereits 1996 haben Erdmann und seine Mitarbeiter Rolf Bald und Jens Peter Fürste den Begriff der sogenannten Spiegelmere geprägt und diese Form von bindungsfreudigen künstlichen Nukleinsäuren patentieren lassen. Die chemisch synthetisierten sehr stabilen Moleküle sind eine Alternative zu Antikörpern. „In Zellen eingesetzt, sollen sie Proteine, die etwa Krebstumore verursachen, blockieren oder ausschalten“, sagt Erdmann.
Die Spiegelmer-Technologie wird bereits von der Firma Noxxon Pharma AG entwickelt. Mithilfe biotechnologischer Medikamente auf Spiegelmere-Basis sollen gezielt Krankheiten – zum Beispiel Tumorerkrankungen im Körper – ausgeschaltet werden. Den Vorteil dieser künstlichen Moleküle erklärt Erdmann so: „Spiegelmere sind besonders stabil, und sie lösen in der Regel auch keine Immunschocks aus. Sollte wider Erwarten ein Spiegelmer doch Nebenwirkungen hervorrufen, könnten Spiegelzyme konstruiert werden, die diese Spiegelmere ganz gezielt zerschneiden und so inaktivieren würden. So könnten Spiegelzyme in der Medizin als ultimatives Gegenmittel eingesetzt werden.“
In einem im Januar veröffentlichten Artikel in der internationalen Online-Fachzeitschrift der Public Library of Science (www.plosone.org) erklärt Erdmann mit seinen Co-Autoren Eliza Wyszko, Maciej Szymanski, Heinz Zeichhardt, Florian Müller und Jan Barciszewski, wie es zu der Entwicklung der neuartigen Spiegelzyme kam. Der Aufsatz „Spiegelzymes: Sequence Specific Hydrolysis of L-RNA with Mirror Image Hammerhead Ribozymes abd DNAzymes“ ist als Download verfügbar.
Breites Anwendungsgebiet für Spiegelzyme
Erdmann sieht für die Spiegelzyme ein sehr breites Anwendungsgebiet: Es reicht von der Therapie bei medikamentösen Nebenwirkungen über den Einsatz spiegelbildlicher Nanotechnologien, von neuartigen BioChip-Verfahren für die frühe Diagnose von Krankheiten bis hin zur gezielten Chemotherapie von Tumorzellen. Letztere wurden bereits im Rahmen einer Zusammenarbeit zwischen Erdmann und dem Berliner Medizinunternehmen MagForce AG dokumentiert und patentiert.
Darüber hinaus hat Erdmann ein Verfahren patentiert lassen, durch das Wertgegenstände aller Art wie Bilder und Schmuck mit spiegelbildlichen Nukleinsäuren markiert und darüber identifiziert werden können. „Allein die fälschungssichere Markierung von Medikamenten könnte den jährlichen Schaden von 12 Milliarden Euro, der zurzeit durch Plagiate verursacht wird, erheblich reduzieren“, sagt Erdmann.
Die "heimlichen Regulatoren der Zelle"
Der Biochemiker Volker A. Erdmann forscht seit mehr als zwei Jahrzehnten zum Einsatz von Ribonukleinsäuren (RNA-Moleküle), die für die Umwandlung genetischer Information in Proteine zuständig sind. Sie gelten als „heimliche Regulatoren der Zelle“.
1998 gründete er das RNA-Netzwerk, das bis 2008 mit rund 60 Millionen Euro vom Berliner Senat, dem Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie Industriepartnern gefördert worden ist. Mehr als 25 Arbeitsgruppen von Berliner Universitäten, Max-Planck-Instituten und weiteren außeruniversitären Einrichtungen und Unternehmen waren am RNA-Netzwerk beteiligt.
Ende 2012 wurde Erdmann mit dem „National Lecture Award“ der Vereinigung europäischer biochemischer Gesellschaften (FEBS) ausgezeichnet. Der Biochemiker und einige private Investoren sind gerade dabei, eine Firma zu gründen, um die Potenziale der spiegelbildlichen Enzyme für die Anwendungsbereiche in der Biotechnologie und Medizin weiter auszuschöpfen.
Tagung zur Protein-Forschung an der Freien Universität
Erdmann ist der lokale Organisator des PROTEOMIC-Forums der Deutschen Gesellschaft für Proteomforschung, die vom 17. bis 21. März 2013 im Henry-Ford-Bau der Freien Universität Berlin stattfindet. Bei der größten europäischen Konferenz dieser Art kommen Experten auf dem Gebiet der Protein-Forschung aus aller Welt zusammen, um neueste Ergebnisse vorzustellen und zu diskutieren.