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„Den Eichenprozessionsspinner entkriminalisieren“

Biodiversität statt Insektengift: Der Biologe Werner Kratz kritisiert das Vorgehen gegen den Eichenprozessionsspinner in Berlin und Brandenburg

01.07.2013

Den Larven des Eichenprozessionsspinners rückt auch das Land Berlin mit Insektiziden zu Leibe. Das kritisiert der Biologe Werner Kratz. Er will die "wahren Gründe für den Zustand unserer Wälder" benennen.

Den Larven des Eichenprozessionsspinners rückt auch das Land Berlin mit Insektiziden zu Leibe. Das kritisiert der Biologe Werner Kratz. Er will die "wahren Gründe für den Zustand unserer Wälder" benennen.
Bildquelle: Kleuske, wikipedia.org

Die Larven des Eichenprozessionsspinners haben dieses Jahr wieder in diversen Forstbezirken frische Eichenblätter aufgefressen. Gegen die Raupen geht das Land Brandenburg mit Insektengiften vor, erstmals wurde in diesem Jahr auch in Berlin Gift gesprüht. Doch dabei werden auch andere Insektenarten, wie etwa parasitische Schlupfwespen und Ameisen getötet, sagen Naturschützer. Insekten, die im Frühjahr wichtige Nahrungsgrundlage für Feldermäuse und viele Vogelarten sind. Untersuchungen haben ergeben, dass Jungvögel nun in ihren Nistkästen verhungern. „Sprühaktionen mit dem Hubschrauber sind teuer. Sie haben allein in Brandenburg 4,5 Millionen Euro gekostet und sind in dem Maße gar nicht notwendig“, sagt Werner Kratz, Biologe an der Freien Universität und 2. Vorsitzender des Naturschutzbundes (NABU) in Brandenburg. Im Interview erklärt er, wie er Politiker zum Umdenken bewegen will.

Der Eichenprozessionsspinner frisst sich in das Blattwerk von Eichen. Welche Schäden richtet er an?

Der Eichenprozessionsspinner ist eine Schmetterlingsraupe. Im Larvenstadium frisst er an Eichenblättern, die wertvolle Proteine und Kohlenhydrate enthalten, um so die weitere Entwicklung zum erwachsenen Schmetterling zu vollziehen. Den Eichenprozessionsspinner gibt es übrigens schon seit langer Zeit in der Region. Das wissen wir von historischen Populationserhebungen. Er ist also keine invasive Art, wie etwa der aktuell häufig auftretende asiatische Marienkäfer.

Warum haben sich die Regierungen in Berlin und Brandenburg dazu entschieden, Insektengifte zu versprühen?

Der wirtschaftliche Zwang der Forstbehörden ist durch Umstrukturierung und Teilprivatisierung extrem groß geworden. Die Förster behaupten, dass der Eichenprozessionsspinner extrem schädlich für die Eichen ist. Sie sagen, dass das „Ökosystem Wald“ gefährdet sei und die Holzernte durch den Fraß gemindert werde. Es sind also rein ökonomische Argumente. Hier geht es nur um die Steigerung der Holzproduktion – letztendlich auch für die Energiewende.

Warum kritisieren Sie die Aktion der Länder?

Die Spritzaktionen haben sehr viel Geld gekostet, aber sie waren eigentlich gar nicht notwendig. Der Befraß durch den Eichenprozessionsspinner würde die Eichen nicht abtöten.  Man hätte die Hubschrauber-Aktion nicht durchführen müssen. Auch wissen wir nicht, was diese Insektengifte langfristig im Menschen auslösen können. Durch den Gifteinsatz werden auch andere Insekten getötet. Vögel und Fledermäuse haben dann nichts mehr zu essen. Vor allem die Jungtiere verhungern.

Wie wollen Sie die Sprühaktionen in Zukunft verhindern?

Wir benötigen ein gründliches Monitoring, das die wirklichen Auswirkungen der Sprühaktion auf die Tier- und Pflanzenwelt der Wälder, insbesondere in Naturschutzgebieten, sauber und mit juristisch relevanten Daten dokumentiert. Hierzu werden wir an der Freien Universität Berlin ein interdisziplinäres Forschungs- und Entwicklungsvorhaben starten, um auch die langfristigen Auswirkungen dieser Spritzaktionen zu untersuchen. Die gleiche Strategie haben wir übrigens auch bei dem gentechnisch veränderten Monsanto-Mais „810“ verfolgt. Wir haben erreicht, dass die Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Ilse Aigner, dieses Produkt vom Markt verbannt hat. So wollen wir nun auch vorgehen.

Die Fragen stellte Leonard Fischl.

Dr. Werner Kratz ist Privatdozent am Institut für Biologie der Freien Universität Berlin für Ökologie, Zoologie und Ökotoxikologie. Als 2. Vorsitzender des Naturschutzbundes (NABU) Brandenburg versucht er unter anderem dem Einsatz von chemischen Insektengiften in der Forst- und Landwirtschaft entgegenzuwirken.