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Der asiatische Blick auf die Europäische Union

Internationale Nachwuchsforschergruppe der Freien Universität untersucht die Rolle der EU in China und Indien

29.04.2015

Die Rolle der Europäischen Union in China und Indien ist Gegenstand einer Nachwuchsforschergruppe am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft.

Die Rolle der Europäischen Union in China und Indien ist Gegenstand einer Nachwuchsforschergruppe am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Groß als Handelsmacht, klein in der Sicherheitspolitik: May-Britt Stumbaum (2. v. l.) und die von ihr geführte NFG untersucht die Rolle der EU in Indien und China.

Groß als Handelsmacht, klein in der Sicherheitspolitik: May-Britt Stumbaum (2. v. l.) und die von ihr geführte NFG untersucht die Rolle der EU in Indien und China.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Gemeinsam stellen beide Länder fast 40 Prozent der Weltbevölkerung, sie sind aufstrebende Wirtschaftsnationen und seit Jahren strategische Partner der Europäischen Union: Indien, die „größte Demokratie der Welt“, und China mit seinem sozialistischen Einparteiensystem. Welche Rolle spielt die Europäische Union in den asiatischen Ländern, welche Faktoren beeinflussen die Wahrnehmung der EU „von außen"? Und wie wirkt sich dieses Bild auf die Zusammenarbeit aus? Diesen Fragen ging die Nachwuchsforschergruppe „Asian Perceptions of the EU“ am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft (OSI) nach – und kam zu überraschenden Befunden.

„Das Selbstbild der Europäischen Union und die Wahrnehmung der EU in Indien und China liegen weit auseinander“, sagt May-Britt U. Stumbaum. Warum das so ist, und welche Rolle dabei kulturelle, gesellschaftliche, politische oder historische Faktoren spielen, hat die promovierte Politikwissenschaftlerin mit der von ihr geleiteten internationalen Nachwuchsforschergruppe untersucht. Mehr als 200 Interviews haben die Wissenschaftler in den vergangenen vier Jahren mit Vertretern der asiatischen Eliten vor Ort sowie Experten in Berlin, Brüssel, Paris und London geführt. Im Fokus des Forschungsinteresses stand die Europäische Union als Zivilmacht. Besonders im Bereich der Sicherheitspolitik gebe es bislang kaum Befunde darüber, wie die EU im Ausland als Partner oder Vorbild wahrgenommen würde, erklärt Stumbaum.

So werde die Europäische Union in Asien zwar als globale Handelsmacht wahrgenommen, „anders, als sich die Europäer das wünschen, spielt die EU aber in der Sicherheitspolitik kaum eine Rolle“, sagt Stumbaum. Gleichwohl gilt die EU auf mehreren, nicht-traditionellen sicherheitspolitischen Feldern als zuverlässiger Partner: „In den Bereichen Katastrophenschutz, Terrorismusbekämpfung oder Friedensmissionen wird die EU als Pool aus gut ansprechbaren Experten wahrgenommen“, sagt May-Britt U. Stumbaum. Von der EU organisierte Trainingsprogramme zu diesen Themen würden in den asiatischen Ländern hoch geschätzt. „Daran zeigt sich, dass die vielen kleinen und größeren von der EU und ihren Mitgliedsstaaten organisierten Dialoge, Konferenzen und Trainings Früchte tragen.“

Überraschend für die Forschergruppe war der Befund, dass sich China trotz seiner autoritären Staatsform offener für den Austausch von Strategien und Richtlinien zeigte als das demokratisch geprägte Indien. „Die politischen Systeme – Indien als Demokratie und China als Einparteiensystem – haben keinen wesentlichen Einfluss auf die Akzeptanz europäischer Strategien oder „best practices“ im Allgemeinen“, fasst Stumbaum zusammen. Auch historische Erfahrungen wie der Kolonialismus spielten eine eher nachgeordnete Rolle bei dem Blick „von außen“ auf die EU und hätten kaum Einfluss auf die tatsächliche Kooperationsbereitschaft.

Forschung und Politikberatung verbinden

Der Asien-Expertin geht es jetzt vor allem darum, die Forschungsergebnisse in die politische Praxis zu tragen: „Die NFG soll dabei als Schnittstelle zwischen universitärer Forschung und Politikberatung funktionieren.“ Institutionen wie das Auswärtige Amt, die Konrad-Adenauer-Stiftung oder die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) haben die Expertise der internationalen Forschergruppe bereits in Anspruch genommen. Aber auch in London und Brüssel wurden die Ergebnisse von Praktikern mit der NFG diskutiert.

Jeder der vier Nachwuchsforscher des Kernteams lebte für mindestens ein halbes Jahr in China beziehungsweise Indien, um die Interviews vor Ort durchzuführen. „Dieser relativ lange Zeitraum war wichtig, um Vertrauen zu den Interviewpartnern aufzubauen und Land und Leute besser kennenzulernen, um die Ergebnisse im Kontext sehen und auswerten zu können“, sagt Stumbaum. Auch „zu Hause“ in Berlin ist der internationale Austausch wichtig: Insgesamt 22 Gastwissenschaftler verschiedenster Disziplinen und Kulturen nahmen an dem Gastwissenschaftlerprogramm der NFG von 2011 bis 2015 teil.

Vertrauen auf Chinesisch

Vertrauen und Glaubwürdigkeit beispielsweise seien in Asien und Europa grundsätzlich unterschiedlich: „Anders als in Deutschland, wo man dazu neigt, eher Institutionen zu vertrauen als einzelnen Personen, schenkt man in China einzelnen Menschen sein Vertrauen“, sagt Stumbaum. Deshalb empfiehlt die Nachwuchsforschergruppe der Europäischen Union auch, die Standzeit für Diplomaten zu verlängern. „Im Moment bleiben Diplomaten höchstens für drei Jahre in ‚ihrem’ Land. Diesen Zeitraum halten wir für zu kurz“, sagt Stumbaum.

Die Zukunft der NFG für 2015 ist gesichert: Ein Nachfolgeprojekt, an dem auch das Public Policy and Management Institute in Litauen und das National Centre for Research on Europe der University of Canterbury in Neuseeland beteiligt sind, wird von der EU-Kommission gefördert und setzt sich erneut mit dem Blick der EU „von außen“ auseinander. „Der Fokus liegt dann nicht nur auf dem sicherheitspolitischen Bereich, sondern auf der Wahrnehmung der europäischen Außenpolitik insgesamt“, erklärt Stumbaum.

Über Indien und China hinaus wird die NFG mit lokalen „Country Expert Teams“ zehn strategische Partner der EU weltweit unter die Lupe nehmen. Zeitgleich entwickelt die EU ein Strategiepapier für den europäischen Auswärtigen Dienst, der die Ziele einer Europäischen Außenpolitik in einer Strategie zusammenbringen soll. „Zum Ende des Jahres wollen wir unsere Übersichtsstudie mit den strategischen Zielen der EU zusammenbringen. Dann wissen wir, welche Empfehlungen wir für eine effektive EU Public Diplomacy in den Strategischen Partnerländer der EU geben können.“