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„Wir können voneinander lernen“

Ein Gespräch mit Huang Liaoyu, Direktor des Zentrums für Deutschlandstudien an der Peking Universität (ZDS), über das ZDS und die Kooperation mit der Freien Universität

21.07.2016

Der Germanist und Übersetzer Huang Liaoyu ist Direktor des Zentrums für Deutschlandstudien an der Peking Universität. Er hält sich derzeit zu Forschungszwecken in Berlin auf.

Der Germanist und Übersetzer Huang Liaoyu ist Direktor des Zentrums für Deutschlandstudien an der Peking Universität. Er hält sich derzeit zu Forschungszwecken in Berlin auf.
Bildquelle: Peter Schraeder

Wenn es um deutsch-chinesische Zusammenarbeit geht, dann denkt man meist an Wirtschaft. Doch auch auf dem Feld der Geisteswissenschaften bestehen intensive Verbindungen zwischen beiden Ländern – so etwa zwischen der Peking Universität und dem Verbund aus Deutschem Akademischem Austauschdienst (DAAD), Humboldt-Universität und Freier Universität. Die Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Deutschlandstudien (ZDS) an der Peking Universität besteht seit 2005. Dessen Direktor, der Germanist und Übersetzer Huang Liaoyu, hält sich im Rahmen eines Forschungsprojekts zurzeit in Berlin auf.

Herr Professor Huang, woran arbeiten Sie in Berlin?

Wir hatten vor zwei Jahren am ZDS eine Tagung zum 100. Jubiläum des Ersten Weltkriegs. Damals bin ich durch Thomas Manns Schriften und durch Dokumente wie das „Manifest der 93“ (Aufruf an die Kulturwelt, den 93 Wissenschaftler, Künstler und Schriftsteller im Oktober 1914 verfasst haben, Anm. der Red.) auf den phänomenalen Nationalstolz der damaligen deutschen Intellektuellen und auf deren Kriegsbegeisterung aufmerksam geworden. Ich sammele im Moment Material über das Wilhelminische Deutschland, um zu erforschen, woher dieser Stolz und diese Begeisterung der Intellektuellen kamen.

Während meines Aufenthalts in Berlin kümmere ich mich außerdem um die Belange des ZDS. Im September findet unsere deutsch-chinesische Tagung statt, die wir gerade vorbereiten. Das Thema in diesem Jahr ist Migration und Flucht. Ich bin aber auch in Berlin, um den jüngsten Roman von Martin Walser zu übersetzen: „Ein sterbender Mann“. Walser wird im September nach Peking kommen und aus seinem Roman lesen. Ein sehr interessantes Buch.

Was sind die wichtigsten Ziele des ZDS?

Wir haben drei Hauptziele. Erstens geht es darum, Forscher aus den Sozial- und Geisteswissenschaften, die einen Deutschlandbezug in ihrer Arbeit haben, an der Peking-Universität zusammenzubringen. Bindemittel ist das gemeinsame Interesse an der deutschen Kultur.

Zweitens haben wir natürlich den Bereich Lehre. Hierfür haben wir einen Masterstudiengang eingerichtet: „Deutsche Kultur und sozialer Wandel“. Die meist zehn bis dreizehn Studienteilnehmer verbringen zwei Semester in Berlin, um deutsche Sprache und Kultur noch besser kennenzulernen und gleichzeitig Vorarbeiten für ihre Masterarbeit zu leisten. Am ZDS lehren auch deutsche Wissenschaftler, die im Rahmen der Kurzzeit-Dozentur nach Peking kommen.

Und drittens organisieren wir internationale Konferenzen und Veranstaltungen, zu denen wir regelmäßig deutsche Politiker, Schriftsteller und Wissenschaftler einladen.

Wer war zuletzt als Kurzzeit-Dozent am ZDS?

Im vergangenen Jahr zum Beispiel der Historiker Jürgen Kocka, der früher an der Freien Universität gelehrt hat. Das ZDS hat sich thematisch viel mit der deutschen Nachkriegszeit beschäftigt. So habe ich eine Podiumsdiskussion mit der „Nazi-Jägerin“ Beate Klarsfeld in der Deutschen Botschaft in Peking moderiert. In China wissen viele nicht, dass die Vergangenheitsbewältigung in Deutschland erst mehr als 20 Jahre nach Kriegsende begonnen hat.

Außerdem hatten wir Besuch von dem Wissenschaftlerehepaar Jan und Aleida Assmann, die grundlegende theoretische Konzepte zur Erinnerungskultur erarbeitet haben.

Wie können Deutschland und China kulturell gesehen voneinander profitieren?

Ich vertrete die These, dass in Deutschland und China das jeweils andere Land als sein kulturelles Gegenteil betrachtet wird. Deutsche halten Chinesen häufig für ein Volk, das sich selten um geistige Höhenflüge und scharfe begriffliche Unterscheidungen kümmert; wir Chinesen begnügen uns oft mit einem fröhlichen Ungefähr. Deutsche gelten in China hingegen als zu idealistisch und weltfremd. Im Chinesischen gibt es sogar zwei Übersetzungen für Idealismus – eine positiv konnotierte und eine negativ konnotierte. Ich denke, zwei Extrema können nur voneinander lernen!

Die Fragen stellte Peter Schraeder