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Ein Leben gegen das Unrecht

Der Liedermacher Wolf Biermann las bei einer Festveranstaltung zu seinem Geburtstag an der Freien Universität Gedichte und sprach mit den Literaturwissenschaftlern Susanne Zepp und Jürgen Brokoff

12.12.2016

Wortgewaltig an der Freien Universität: Der Liedermacher Wolf Biermann bei einer Festveranstaltung zu seinem 80. Geburtstag anlässlich einer Tagung.

Wortgewaltig an der Freien Universität: Der Liedermacher Wolf Biermann bei einer Festveranstaltung zu seinem 80. Geburtstag anlässlich einer Tagung.
Bildquelle: Michael Fahrig

Hatten die Tagung „Zwischen Ausbürgerung und Exodus“ am 7. und 8. Dezember organisiert: (v.l.n.r.) Jürgen Brokoff, Susanne Zepp (beide Freie Universität) und Ofer Waldman (Hebrew University, Israel).

Hatten die Tagung „Zwischen Ausbürgerung und Exodus“ am 7. und 8. Dezember organisiert: (v.l.n.r.) Jürgen Brokoff, Susanne Zepp (beide Freie Universität) und Ofer Waldman (Hebrew University, Israel).
Bildquelle: Michael Fahrig

Auch ohne Gitarre und Gesang war der Besuch Biermanns ein Ereignis, das ein großes Publikum anlockte.

Auch ohne Gitarre und Gesang war der Besuch Biermanns ein Ereignis, das ein großes Publikum anlockte.
Bildquelle: Michael Fahrig

Mit dem Bühnenprofi in der Arena: Romanistikprofessorin Susanne Zepp und Germanistikprofessor Jürgen Brokoff.

Mit dem Bühnenprofi in der Arena: Romanistikprofessorin Susanne Zepp und Germanistikprofessor Jürgen Brokoff.
Bildquelle: Michael Fahrig

Matthias Dannenberg, promovierter Germanist und ständiger Vertreter der Kanzlerin der Freien Universität Berlin, hatte den Abend mit einem Grußwort eröffnet.

Matthias Dannenberg, promovierter Germanist und ständiger Vertreter der Kanzlerin der Freien Universität Berlin, hatte den Abend mit einem Grußwort eröffnet.
Bildquelle: Michael Fahrig

Wolf Biermann kam zwar ohne Gitarre nach Dahlem, dafür aber mit vielen Anekdoten und bester Laune. Der Mann, der wie kein anderer das DDR-Regime mit seinen Protest-Liedern und Balladen erzürnt hatte, ließ vor einem gut gefüllten Hörsaal wichtige Ereignisse seines Lebens Revue passieren. Drei Gedichte aus den entscheidenden Phasen seines Lebens holte er hierfür aus seiner Jackentasche und trug sie – als brillanter Alleinunterhalter mit schillernder Bühnenpräsenz – kraftvoll und stimmgewaltig vor. Anschließend diskutierte Biermann mit Romanistikprofessorin Susanne Zepp und Germanistikprofessor Jürgen Brokoff von der Freien Universität. Die Literaturwissenschaftler hatten die internationale Tagung anlässlich des 80. Geburtstags des Liedermachers und dessen Ausbürgerung aus der DDR vor 40 Jahren in Kooperation mit der Geschichtsprofessorin Yfaat Weiss vom Franz Rosenzweig Minerva Research Center for German-Jewish Literature and Cultural History der Hebräischen Universität Jerusalem und dem Doktoranden Ofer Waldman organisiert.

Nach Biermanns Ausbürgerung im Winter 1976, in deren Folge zahlreiche weitere Schriftstellerinnen und Schriftsteller die DDR verlassen hatten, hätten ihn einige seiner Weggefährten freudestrahlend beglückwünscht, erinnerte sich Biermann bei seinem Besuch an der Freien Universität: „Endlich kann Du 'raus aus diesem Pisspott DDR“, hätte etwa Hanns Eislers Ehefrau Louise gesagt. Für Biermann hingegen sei die Ausbürgerung alles andere als ein Befreiungsschlag gewesen: „Als ich die Nachricht bekam, dass ich gehen muss, war ich deprimiert. Das kann man sich nicht vorstellen. Das war wie Liebeskummer. Das gibt es nicht nur in Bezug auf Menschen, sondern auch in Bezug auf Staaten. Liebeskummer hat ja nicht nur mit Liebe zu tun, sondern auch mit Leidenschaft und Hass.“

„Nach dem Krieg wollte ich meinen Vater rächen“

Durch seine pointierten Geschichten, die Biermann an diesem Dezemberabend mit viel Witz und Sinn für Ironie erzählte, machte er mit Verweis auf seine Biografie sichtbar, wieso er zunächst die DDR unterstützt hatte: Aufgewachsen war er in einem deutsch-jüdischen Elternhaus in Hamburg, beide Eltern waren Kommunisten. Seine Mutter Emma hatte den Holocaust knapp überlebt, sein Vater Dagobert wurde 1943 in Auschwitz ermordet, nachdem er 1937 im Hamburger Hafen Waffenlieferungen der Nationalsozialisten an den spanischen Diktator Franco behindert hatte. „Nach dem Krieg wollte ich meinen Vater rächen“, erklärte Biermann – ein „Auftrag“, den er von seiner Mutter bekommen hatte.

Was gewesen wäre, wenn...

Als er 1953 in die DDR übersiedelt hätte, also vom Westen in den Osten gegangen sei, habe er nicht verstanden, warum ihm so viele Menschen entgegengekommen seien, sagte Biermann spitzbübisch. Rückblickend sei die Ausbürgerung eine gute Sache gewesen: „Wäre ich nicht in die DDR gegangen, wäre ich in der BRD verkommen.“ Dann wäre er vermutlich als kleiner sozialistischer Funktionär in einer Hamburger Partei geendet, spekulierte Biermann, und hätte nicht hautnah miterlebt, was real existierender Sozialismus wirklich bedeutet. Seine anfängliche Begeisterung für die DDR sei ihm jedoch völlig abhandengekommen, als er wiederholt mit Schikanen der Staatssicherheit und Unrechtserfahrungen konfrontiert wurde: Schon wenige Tage nach seiner Ankunft erlebte der damals 16-Jährige bei einer Schulversammlung, dass ein 15-jähriges Mädchen von einer SED-Funktionärin vor versammeltem Publikum diffamiert wurde, weil es sich zu seiner Religiosität bekannt hatte. Biermann stand damals auf und prangerte das Unrecht der Funktionärin offen an.

„30.000 Seiten Stasi-Akte – echte deutsche Wertarbeit“

Dieser Mut sollte ihn sein Leben lang begleiten – mit allen Konsequenzen, die eine solche Haltung mit sich bringt. Biermann erzählte, dass er in seiner Wohnung an der Ost-Berliner Chausseestraße pausenlos von SED-Spitzeln überwacht worden sei: „30.000 Seiten umfassen meine Stasi-Akten heute. Alles, was ich tat, wurde dokumentiert. Das ist echte deutsche Wertarbeit“, spottete der Liedermacher. Er berichtete von Begegnungen mit Oppositionellen und Regimekritikern, aber auch von der Angst, die ihn zeitweise vereinnahmt und fast dazu veranlasst hätte, alle Manuskripte zu vernichten. „Gott sei Dank sind Papierblöcke gar nicht so leicht zu entzünden“, sagte Biermann lachend.

„Ich weiß, dass sich die Zeiten ändern, aber nicht die menschliche Substanz"

Immer wieder verwies der scharfzüngige Poet und Musiker auf seine gerade erschienene Autobiografie „Warte nicht auf bessre Zeiten!“. Darin hat er im Gespräch mit Zeitzeugen und – wie er ironisch sagte – mit Rückgriff auf seine Stasi-Akten die wichtigsten Erlebnisse und Stationen seines Lebens festgehalten. Nicht nur, um nach 80 Lebensjahren Bilanz zu ziehen, sondern auch um die nächsten Generationen daran zu erinnern, was es heißt, in einem Unrechtsstaat ohne Recht auf freie Meinungsäußerung zu leben. „Heute bin ich immer noch wachsam“, sagte Biermann. „Denn ich weiß, dass sich die Zeiten ändern, aber nicht die menschliche Substanz.“