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„Diese Gelassenheit und Erleichterung habe ich lange nicht gespürt“

Die Koreanistikprofessorin Eun-Jeung Lee war Mitglied der Delegation, die Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier anlässlich der Olympischen Spiele im Februar nach Südkorea begleitet hat / Ein Campus.leben-Interview

12.03.2018

Professorin Eun-Jeung Lee vom Institut für Koreastudien der Freien Universität ist seit 2014 Mitglied eines von Steinmeier – damals in der Funktion als Bundesaußenminister – initiierten deutsch-koreanischen Beratergremiums, das sich mit außenpolitischen Fragen der Bundesregierung zu einer Wiedervereinigung der koreanischen Halbinsel beschäftigt. Campus.leben sprach mit der Wissenschaftlerin über die politische Situation in ihrer Heimat, die Eindrücke der Reise mit dem Bundespräsidenten und darüber, wie die Wissenschaft politische Entwicklungen unterstützen kann.

Frau Professorin Lee, in welcher Funktion haben Sie den Bundespräsidenten begleitet?

Als eine Wissenschaftlerin mit Koreaexpertise, die die Bundesregierung seit vier Jahren berät. Das deutsch-koreanische Beratergremium hat seit seiner Gründung sechsmal getagt. Wenn der Bundespräsident ein Land besucht, reisen in der Delegation immer Sondergäste mit. Das sind entweder Landesexpertinnen und -experten, Bundestagsabgeordnete, die sich für das Land interessieren, oder Journalistinnen und Journalisten. Dieses Mal waren wir eine kleine Delegation: außer mir gab es zwei weitere Sondergäste.

Welche gemeinsamen Termine mit dem Bundespräsidenten gab es?

Ich habe den Bundespräsidenten im Grunde bei allen Veranstaltungen begleiten dürfen – mit Ausnahme der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele. Dort saß der Präsident bei den Ehrengästen. Sogar beim Gipfeltreffen mit dem südkoreanischen Staatspräsidenten Moon Jae-in durfte ich anwesend sein. Außerdem gab es ein Treffen mit Parlamentsabgeordneten und eines mit Vertreterinnen und Vertretern von Bürgerbewegungen, die im vergangenen Jahr die sogenannte Kerzendemonstration für den Rücktritt der damaligen Präsidentin Park Geun-hye organisiert hatten, die dann zum Sturz der Regierung beigetragen haben.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (r.) und Jae-In Moon, Staatspräsident der Republik Korea (2.v.r.), bei der Vorstellung der Delegationen in dessen Amtssitz. Moon begrüßt die Koreanistik-Professorin Eun-Jeung Lee.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (r.) und Jae-In Moon, Staatspräsident der Republik Korea (2.v.r.), bei der Vorstellung der Delegationen in dessen Amtssitz. Moon begrüßt die Koreanistik-Professorin Eun-Jeung Lee.
Bildquelle: Sandra Steins

Ging es bei den Gesprächen auch um die derzeitige Annährung zwischen Nord- und Südkorea?

Bei einem Treffen mit früheren Außenministern Südkoreas hat sich der Bundespräsident über die aktuelle Lage informiert, er wollte wissen, wie Politikerinnen und Politiker aus unterschiedlichen Lagern die Situation einschätzen. Das war ein sehr offenes Gespräch, auch darüber, was Deutschland jetzt tun kann und was die koreanische Seite sich von Deutschland erhofft. Bei einer öffentlichen Veranstaltung hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier einen Vortrag gehalten und anschließend mit zwei ehemaligen koreanischen Ministern auf dem Podium diskutiert.

Und Sie aus dem Beratergremium waren Beobachterin?

Wir waren nicht nur Beobachter, wir haben natürlich auch mitdiskutiert!

Welche Eindrücke haben Sie von dieser Korea-Reise mitgenommen?

Als Koreanistin hat mich beeindruckt, wie gut der Bundespräsident informiert und wie offen er war. Ich hatte Gelegenheit, eine Stunde lang mit ihm alleine über die Geschichte und Kultur Südkoreas zu reden.

Wir haben einen der alten Königspaläste in Seoul besichtigt, und ich habe erläutert, warum er im Zuge der Kolonialisierung im 20. Jahrhundert zerstört worden ist. Von koreanischer Seite kamen viele Fragen zu den deutschen Erfahrungen mit der Wiedervereinigung, auf die der Bundespräsident differenziert eingegangen ist.

Welche allgemeinen Eindrücke zu Korea und den Olympischen Spielen hatten Sie?

In der Vorbereitungsphase war die Hoffnung nicht so groß, dass diese Olympischen Spiele für Korea eine positive Wende bringen würden. Noch im November fragten mich viele, ob man wegen der Bedrohung durch Nordkorea überhaupt fahren dürfe. Selbst im Januar haben viele nicht glauben wollen, dass diese Olympischen Spiele eine friedliche Entwicklung unterstützen könnten. Aber seitdem – vor allem natürlich durch das gemeinsame Team von süd- und nordkoreanischen Sportlerinnen und Sportlern – hat sich das zum Positiven gewendet. Es war eine Freude, diese Entwicklung vor Ort mitzubekommen. Ich bin sehr oft in Korea, aber diese Gelassenheit und Erleichterung habe ich lange nicht gespürt.

Die Koreanistin erläutert im Gespräch mit dem Bundespräsidenten und seiner Ehefrau, warum der Königspalast Gyeongbokgung im Zuge der Kolonialisierung im 20. Jahrhundert zerstört worden ist.

Die Koreanistin erläutert im Gespräch mit dem Bundespräsidenten und seiner Ehefrau, warum der Königspalast Gyeongbokgung im Zuge der Kolonialisierung im 20. Jahrhundert zerstört worden ist.
Bildquelle: Sandra Steins

Wie machte sich diese gelassene Stimmung bemerkbar?

Vorher stand der Schlagabtausch zwischen US-Präsident Donald Trump und dem nordkoreanischen Diktator Kim Jong Un im Mittelpunkt. Eine militärische Auseinandersetzung war in dieser Zeit nicht ausgeschlossen. Und plötzlich ging es noch darum, wann ein Gipfeltreffen zwischen Kim Jong Un und dem südkoreanischen Präsidenten Moon Jae-in stattfindet.

Man sah in Pyeongchang, dem Austragungsort der Olympischen Spiele, während der Wettkämpfe – abgesehen von den Biathlon-Wettkämpfen – kein Gewehr und keine Angst. Pyeongchang ist ja wirklich ein kleines Dörflein, es ist ungefähr so groß wie Dahlem. Es war sonnig, auch das passte zu der neuen gelassenen Stimmung.

Welche Szene von der Reise ist Ihnen besonders im Kopf geblieben?

Bei einer öffentlichen Diskussion mit koreanischen Politikerinnen und Politikern ging es um die Frage, ob die deutsche Einheit ein Modell für Korea sein könnte oder nicht. Ein Politiker aus dem konservativen Lager sagte, die deutsche Einheit sei noch nicht vollzogen, woraufhin die deutsche Delegation mit großem Erstaunen reagierte. Bundespräsident Steinmeier blieb ganz ruhig und fragte nach; der koreanische Politiker erklärte, dass es keine Deutsche Einheit geben könne, da Österreich noch nicht in diese Einheit aufgenommen sei. Dieser konservative Politiker hatte offensichtlich ein ganz anderes Bild von der deutschen Einheit. Er wollte eigentlich die Ostpolitik des früheren Bundeskanzlers Willy Brandt diffamieren. Daraufhin erklärte der Bundespräsident, wie es in Deutschland während der Kanzlerschaft von Willy Brandt war, er klärte über die Konflikte in Deutschland und die Ostpolitik auf.

Was nehmen Sie von der Reise mit?

Es hat sich gezeigt, wie wichtig es ist, die Arbeit im deutsch-koreanischen Beratungsgremium fortzusetzen. Auch aus der Sicht der Koreastudien ist es wichtig, in die Bundesregierung und den Bundestag differenzierte Informationen über Korea einzubringen. Wir arbeiten bereits stark daran, wie Erfahrungen der deutschen Vereinigung nach Korea transferiert werden können. Meiner Ansicht nach besteht die Aufgabe der Forschung aber nicht nur darin, diesen Wissenstransfer anzuregen, sondern auch, daran mitzuwirken, dass Frieden auf die koreanische Halbinsel kommt.

Die Fragen stellte Anne-Sophie Schmidt