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„Pflanzen haben ein molekulares Gedächtnis“

9. bis 11. April: Symposium „Bridging Ecology & Molecular Biology“ (SFB 973) / Interview mit Biologieprofessorin Tina Romeis

09.04.2018

Pflanzen können sich gegen Fressfeinde wie diese Larven des Kohlweißlings wehren, etwa indem sie sich durch hormonelle Veränderung direkt verteidigen oder ihre Nachbarpflanzen warnen.

Pflanzen können sich gegen Fressfeinde wie diese Larven des Kohlweißlings wehren, etwa indem sie sich durch hormonelle Veränderung direkt verteidigen oder ihre Nachbarpflanzen warnen.
Bildquelle: Tobias Otte

Pflanzen haben erstaunliche Fähigkeiten: Mit chemischen Attacken wehren sie sich gegen Fressfeinde und warnen Nachbargewächse vor Gefahr. Doch wie funktioniert das genau? Das untersucht der Sonderforschungsbereich (SFB) 973 Priming and Memory of Organismic Responses to Stress des Fachbereichs Biologie, Chemie, Pharmazie der Freien Universität. Im campus.leben-Interview berichtet Professorin Tina Romeis, Vizesprecherin des SFB 973, über die erstaunlichen Fähigkeiten der Pflanzenwelt und über ein Symposium, das diese in den Fokus nimmt.

Frau Professorin Romeis, haben Pflanzen ein Gedächtnis?

Ja, sie haben ein „molekulares“ Gedächtnis, kein Gehirn oder Nervensystem, wie wir es von uns Menschen kennen. Wie sich Pflanzen dennoch erinnern können, ist eine der Kernfragen des Sonderforschungsbereichs 973. Wir untersuchen zum Beispiel, welche Informationen kurz- oder langfristig gespeichert werden und welche Faktoren das Vergessen von Informationen regulieren. Außerdem erforschen wir, wie Informationen über ein Umweltereignis räumlich innerhalb einer Pflanze weitergeleitet werden, also auf Molekülebene und von Zelle zu Zelle aber auch von lokalen in weiter entfernt liegende Kompartimente der Pflanze. Oder von Mikroorganismus zu Mikroorganismus.

Wie funktioniert das Gedächtnis?

Erfahrungen und Erlebnisse zu bestimmten Umweltereignissen können in Form von Molekülen gespeichert werden. Beispielsweise kann sich der Proteingehalt verändern, Stoffwechselprodukte können angereichert werden, oder die Enzymaktivität wird modifiziert, wie beispielsweise bei der Kalzium-abhängigen Proteinkinase CPK5 aus Arabidopsis thaliana, welche im Immungedächtnis von Pflanzen eine Rolle spielt. Aber auch Mechanismen, welche die transkriptionelle und epigenetische Kontrolle betreffen, laufen ab. Alle diese Vorgänge können der Speicherung von Erlebnissen bei Organismen ohne Nervensystem dienen.

Können Sie ein Beispiel dafür geben, wie gewisse Pflanzen auf Fressfeinde reagieren?

Pflanzliche Abwehr gegen Fressfeinde kann durch „Warnhinweise“ – wie zum Beispiel direkte Fraßschäden oder auch Eiablagen von Insekten – geprägt werden. Die Pflanze kann sich einerseits durch hormonelle Veränderungen direkt verteidigen. Andererseits aktiviert die Pflanze ihr Immungedächtnis, um ihr „Waffenarsenal“ vorzubereiten und wappnet sich für einen möglichen weiteren Angriff. Außerdem kann sie auch Nachbarpflanzen warnen, sodass diese sich ebenfalls auf den bevorstehenden Angriff der Fressfeinde vorbereiten können.

Auf dem Symposium sollen Ökologie und Molekularbiologie zusammengebracht werden. Wie können die beiden Disziplinen voneinander profitieren?

Um Vorgänge innerhalb einer Pflanze oder eines Organismus zu verstehen, benötigt man neben molekularen Grundkenntnissen auch das Wissen über die Ökologie einer Pflanze. Ein zentraler Punkt unserer Forschung besteht darin, ökologische Konzepte mit der Forschung zur zellulären Stresssignalverarbeitung näher zusammenzubringen. Denn neben wenig erforschten mechanistischen Aspekten ist nicht viel darüber bekannt, welchen ökologischen Vorteil Pflanzen von einer Erinnerung an Stress haben, da ein Gedächtnis Energieressourcen verbraucht.

Auf dem Symposium wird ein Gastredner die Ergebnisse seiner Forschung zur Frage zeigen, wie sich Pflanzen auf Kältestress vorbereiten und welche Veränderungen in der Pflanze dadurch entstehen. Hier geht es insbesondere um neueste Erkenntnisse zur Mechanismen der Wahrnehmung von Temperatur, da Pflanzen keine Sinneszellen wie wir Menschen besitzen. Dies ist ein grundlegender Schritt, um das gesamte Phänomen von Temperaturstress bzw. die Toleranz von Temperaturstress zu verstehen. Ein anderer Forscher untersucht, wie eine einzelne angegriffene Zelle genau die Information „ich bin angegriffen worden“ innerhalb der Pflanze erkennt und weiterleitet.

Am Sonderforschungsbereich wurde ein Film gedreht, damit sich die Öffentlichkeit über die Grundlagenforschung informieren kann. Ein weiterer Film für Promovierende soll folgen. Was bieten Sie Promovierenden am SFB 973?

Unsere Doktorandinnen und Doktoranden werden im Rahmen eines strukturierten Graduiertenprogramms ausgebildet. Dieses Programm bietet zahlreiche Möglichkeiten, um sich perfekt auf die Wissenschaftswelt vorzubereiten. Sie profitieren von der interdisziplinären Ausrichtung des Sonderforschungsbereichs, die von der Molekularbiologie über die Biochemie bis hin zur Ökologie geht.

Darüber hinaus können sie ihre Soft Skills – also Sprach- und Auftrittskompetenz, Kommunikationstechniken und didaktische Hochschulfähigkeiten – erlernen und verbessern und auf ein großes internationales Netzwerk aus renommierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zurückgreifen, und sich auch darüber austauschen. Außerdem ist der Sonderforschungsbereich hoch qualifiziert und finanziell gut ausgestattet – beste Voraussetzungen also für eine exzellente wissenschaftliche Ausbildung.

Die Fragen stellte Peter Schraeder