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Shakespeare und das Exil

20. bis 22. April: Frühjahrstagung der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft in Weimar mit öffentlichen Vorträgen / campus.leben-Interview mit Claudia Olk, Präsidentin der Gesellschaft und Literaturwissenschaftsprofessorin an der Freien Universität

16.04.2018

Die Duke Humfrey Library, Bodleian Library, Oxford, in der Claudia Olk kürzlich geforscht hat.

Die Duke Humfrey Library, Bodleian Library, Oxford, in der Claudia Olk kürzlich geforscht hat.
Bildquelle: David Iliff, flickr.com, CC BY-NC-SA 2.0

William Shakespeare: großer Dramatiker, erhabener Poet, gewiefter Geschäftsmann und Theatermacher – aber auch Flüchtling? Zumindest indirekt. Nicht ihn selbst, aber viele seiner Figuren ereilt das Schicksal, ins Exil gehen zu müssen. Dem hochaktuellen Thema „Flucht – Migration – Exil“ widmet sich die Deutsche Shakespeare-Gesellschaft in ihrer Frühjahrstagung. Die Konferenz findet vom 20. bis 22. April in Weimar statt. Campus.leben sprach mit der Shakespeare-Expertin Claudia Olk, Professorin für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft mit dem Schwerpunkt Anglistik am Peter-Szondi-Institut sowie Dekanin des Fachbereichs Philosophie und Geisteswissenschaften der Freien Universität. Seit 2014 steht sie der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft als Präsidentin vor.

Frau Professorin Olk, im vergangenen Wintersemester haben Sie als Research Fellow am Exeter College Ihre Forschung an der University of Oxford zu Shakespeare betrieben. Sind Sie dem englischen Dramatiker und Lyriker dort näher gekommen?

Die Arbeitsmöglichkeiten in Oxford sind natürlich sehr gut, allein die Bestände der Bodleian Library – der Hauptbibliothek der Universität – sind erstklassig. Sie ist die zweitgrößte Bibliothek des Landes. Wenn ich frühe Drucke oder Handschriften, beispielsweise eine Schrift des bedeutenden Gelehrten Erasmus von Rotterdam einsehen möchte, habe ich sie innerhalb von zwei Stunden in der Hand. Aber auch die Nähe zu weiteren einschlägigen Forschungseinrichtungen, wie dem Shakespeare Institute in Stratford-upon-Avon, war ein großer Vorteil. Die Londoner Universitäten King’s College und University College veranstalten beispielsweise das London Shakespeare Seminar, in dem ich, wie in Oxford und auch im Kingston Shakespeare Seminar – Vorträge gehalten habe.

Auch die Arbeit an meinen weiteren Forschungsschwerpunkten in der Frühen Neuzeit sowie im 20. und 21. Jahrhundert, wie zum Beispiel dem Werk des irischen Schriftstellers und Dramatikers Samuel Beckett konnte ich in Oxford weiter intensivieren.

Claudia Olk, Anglistikprofessorin am Peter-Szondi-Institut der Freien Universität und Präsidentin der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft.

Claudia Olk, Anglistikprofessorin am Peter-Szondi-Institut der Freien Universität und Präsidentin der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft.
Bildquelle: Annika Middeldorf

Sie sind Präsidentin der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft, deren Frühjahrstagung kurz bevorsteht. Das Tagungsthema „Flucht – Migration – Exil“ ist hochaktuell. Wie passt Shakespeare dort hinein?

Auch wenn wir zur Zeit Shakespeares – der Schriftsteller lebte vom 26. April 1564 bis zum 23. April (nach dem Julianischen) oder 3. Mai 1616 (nach dem Gregorianischen Kalender) – in England eine Phase der relativen Stabilität vorfinden, sind die Perioden vorher und nachher durch enorme Migrationsbewegungen geprägt. 2018 jährt sich etwa zum 400. Mal der Beginn des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648).

Nehmen wir allein das Thema des Exils: Shakespeares Stücke betrachten die juridischen, politischen und sozialen Dimensionen des Raumes. Sehr viele von Shakespeares Figuren sind Exilanten und Asylsuchende, wie Prospero aus „Der Sturm“, der sich in sein teilweise gezwungenes, teilweise selbst gewähltes Exil auf eine namenlose Insel flüchtet und dort mittels Magie seine gestrandeten Feinde besiegt. In „Wie es euch gefällt“ und „Ein Sommernachtstraum“ wird der Rückzug aus der höfischen Gesellschaft in den Wald, ins Exil geschildert, also Flucht aus erstarrten, konventionellen Regimes. Verbannung und Exil sind überdies ein großes Thema in „Richard II“, wo das Exil, die Trennung von Heimat und Muttersprache, allerdings ambivalente Vorstellungen weckt und für Mowbray ähnlich wie für Romeo und Julia einem Todesurteil gleichkommt.

Randzonen, subversive Räume außerhalb bestimmter Gesellschafts- und Ordnungsentwürfe werden von Shakespeare durch die Welten des Exils reflektiert. Die Begegnungen zwischen dem Eigenen und dem Fremden ereignen sich dabei in Shakespeares Werken an unterschiedlichen Schauplätzen und in ganz verschiedenen Gattungen wie der Romanze oder der Historie. Die Erfahrung des Fremden wirkt wiederum auf das, was wir „das Bekannte“ nennen zurück. Man könnte sagen, die Exilerfahrung ist fast grundlegend für die Erfahrung des Eigenen. Es gibt kaum ein Stück von Shakespeare, in dem wir diese Thematik des Exils als gebrochene, als Flucht und zugleich Zuflucht, nicht vorfinden.

Womit werden sich die Konferenzteilnehmerinnen und -teilnehmer befassen?

In den wissenschaftlichen Vorträgen geht es zum einen um die Themen Flucht, Migration und Exil in Shakespeares Stücken, etwa in den Romanzen. Zum anderen behandeln sie auch die Migration dieser Dramen selbst, Shakespeare als globales, in immer neuen Kontexten und Medien adaptierbares Phänomen. Schließlich wird die Rolle des Theaters selbst als ein Schutzraum des Durchspielens möglicher Weltentwürfe thematisiert.

Den Eröffnungsvortrag hält die Germanistin Anne Fleig von der Freien Universität Berlin zum Thema „Krieg und Migration – Shakespeare-Bezüge in Schillers ‚Wallenstein‘“. Sie wird die Perspektive auf verschiedene Migrations- und Fluchtbewegungen richten und dann Bezüge zwischen Schiller und Shakespeare herstellen.

Der bekannte Literaturtheoretiker und Ehrendoktor der Freien Universität Homi K. Bhabha von der Harvard University wird den abschließenden Festvortrag halten. Er wird sich mit der „Literatur des Überlebens“ beschäftigen. Der postkoloniale Denker beschäftigt sich in vielerlei Hinsicht mit Fragen von Migration, Identität und Globalisierung und wird sicherlich auch jüngste gesellschaftspolitische Entwicklungen mit einbeziehen. Beide Vorträge sind öffentlich.

Wir betrachten das Thema aber nicht nur aus Sicht der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft. Wenn wir uns mit der Literatur einer Epoche beschäftigen, dann müssen wir auch immer interdisziplinär vorgehen. Der Historiker Alexander Schunka vom Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität – der erst kürzlich zu Migration um 1600 publiziert hat – wird über „Migration und Exil in Shakespeares Europa“ berichten. Wir gehen das Thema also aus ganz unterschiedlichen Blickrichtungen an.

Was erwartet die Besucherinnen und Besucher der Tagung außer Vorträgen?

Neben Seminaren für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler sowie dem Forum „Shakespeare und Schule“ veranstalten wir eine Podiumsdiskussion, die sich unter dem breit gefassten Titel „Migration und Theater“ vor allem mit dem Schnittfeld von Theater, Migration und gesellschaftlicher Transformation beschäftigt. Migration schließt hier das große Spektrum der unterschiedlichen Ursachen und Formen von Flucht und Exil mit ein. Diskutiert wird, wie die deutsche Theaterlandschaft der Migration begegnet und ihre verschiedenen Ursachen reflektiert. Die Diskutantinnen und Diskutanten werden aber auch danach fragen, ob und in welcher Form Migrantinnen und Migranten im deutschen Theater angekommen sind und wie sie diese Institutionen verändert haben und weiterhin verändern. Auf dem Podium sind Intendanten und Regisseure vertreten, die mit Flüchtlingsschauspielgruppen arbeiten, sowie Schauspieler aus Afghanistan, darunter auch der erste Vertreter des Kirchenasyls. Es wird eine sehr vielversprechende Runde.

Ist die Tagung auch für Studierende interessant?

Auf jeden Fall! Zum einen ist es immer interessant, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu treffen, deren Texte und Forschung man kennt. Viele Studierende nutzen solche Veranstaltungen auch, um ein aktuelles Thema etwa für ihre Masterarbeit zu finden. Für mich gehört es zur forschungsorientierten Lehre, Tagungen auch für Studierende zu öffnen. Ich ermuntere und ermutige meine Studierenden immer, teilzunehmen und Neues zu lernen.

Die Fragen stellte Marina Kosmalla

Weitere Informationen

Frühjahrstagung 2018 in Weimar: „Flucht - Exil - Migration"

Zeit und Ort

  • 20. bis 21. April 2018
  • Bauhaus-Universität Weimar

Der Festvortrag „On Dignity and Death: The Literature of Survivalvon“ Homi K. Bhabha (Cambridge, Mass.) ist öffentlich, in englischer Sprache.

Programm

Deutsche Shakespeare-Gesellschaft