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Frauenraub im Altertum: Mythos oder gängige Praxis?

2. und 3. November: Interdisziplinäre Tagung zum Thema Frauenraub im Altertum / Interview mit den Archäologinnen Christin Keller und Katja Winger, Organisatorinnen der Tagung

26.10.2018

Raub der Sabinerinnen: Die Marmorgruppe in Florenz stammt von Giovanni da Bologna, genannt Giambologna, und ist in der zweiten Hälfte des 16. Jh. entstanden.

Raub der Sabinerinnen: Die Marmorgruppe in Florenz stammt von Giovanni da Bologna, genannt Giambologna, und ist in der zweiten Hälfte des 16. Jh. entstanden.
Bildquelle: Wikimedia

Vom Raub der Sabinerinnen über die entführte Helena und Europa – der Raub von Frauen ist ein häufiges Motiv in Schriften des Altertums. Archäologische Befunde können diese Geschichten jedoch nur zum Teil bestätigen. Wie viel historische Wahrheit steckt also hinter den antiken Mythen? Eine Tagung der Freien Universität will dieser Frage auf den Grund gehen. Organisiert wurde sie von Katja Winger und Christin Keller, promovierte Archäologinnen und wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften.

Frau Winger, Frau Keller, wie ist die Idee für die Tagung entstanden?

Katja Winger: In Gräberfeldern finden sich immer wieder bestattete Frauen, die sich von der übrigen Gruppe unterscheiden. Sie tragen beispielsweise auffällig „fremdartige“ Schmuckgegenstände oder Kleidung, und auch Untersuchungen von Genen und Isotopen bestätigen, dass diese Frauen nicht mit den übrigen Toten verwandt sind und aus einer anderen Region stammen. Aufgrund archäologischer Untersuchungen lässt sich kein eindeutiger Grund für das Phänomen der „fremden Frau“ ableiten, es gibt verschiedene Erklärungen, Frauenraub ist nur einer.

Die Fragen stellte Peter Schraeder

Die Archäologinnen Katja Winger (links) und Christin Keller vom Institut für Prähistorische Archäologie der Freien Universität Berlin.

Die Archäologinnen Katja Winger (links) und Christin Keller vom Institut für Prähistorische Archäologie der Freien Universität Berlin.
Bildquelle: Jonas Huggins

Christin Keller: Im Rahmen der Tagung wollen wir unter anderem durch die Beschäftigung mit antiken schriftlichen Quellen klären, welche Gründe dort für Frauenraub angegeben werden, und warum dieses Motiv immer wieder aufgegriffen wurde. Mit Ägypten, Griechenland und dem Alten Rom, aber auch der übrigen europäischen Vor- und Frühgeschichte werden wir dabei verschiedene Kulturräume und Epochen in den Blick nehmen.

Welche Gründe geben die antiken Geschichtsschreiber für Frauenraub an?

Christin Keller: In ägyptischen Überlieferungen sind Frauen häufig Teil der Kriegsbeute. Dieses Motiv findet sich natürlich auch in anderen Kulturen. Die antiken Geschichtsschreiber Livius und Plutarch berichten beide von Chiomara, der Ehefrau eines Keltenfürsten in Kleinasien, die in römische Gefangenschaft gerät und vergewaltigt wird, ihren Peiniger aber später töten lässt. Als weitere Motive sind sexuelle Begehrlichkeiten, Eifersucht oder die erzwungene Herstellung von Verwandtschaftsbeziehungen zwischen zwei verfeindeten Parteien zu nennen.

Katja Winger: In einigen Fällen sollten die geraubten Frauen auch nur als Arbeitskräfte dienen. Und schließlich gibt es noch den Fall, dass der Raub nicht gegen den Willen der Frau, sondern gegen den ihrer Familie geschah. Welche Motive historisch verbürgt sind und welche vor allem aus dramatischen Zwecken in einer Erzählung eingesetzt wurden, soll auf der Tagung hinterfragt werden. Vor allem sogenannte exogame Heiratsregeln, also das Heiraten außerhalb der eigenen sozialen Gruppe, dürfte häufig ein Grund dafür gewesen sein, dass Frauen ihre alte Heimat verließen, freiwillig oder auch nicht.

Bei der Auftaktveranstaltung der Tagung geht es in einem Vortrag um modernen Menschenhandel in Deutschland. Frau Keller, was hat das antike Thema Frauenraub mit modernem Menschenhandel zu tun?

Christin Keller: Lena Vogeler, promovierte Rechtswissenschaftlerin an der Universität Tübingen, wird am Freitag zunächst die juristischen Aspekte des Begriffs „Menschenhandel“ erläutern, der ja heute oft auf das Thema Zwangsprostitution von Frauen verengt wird. Anliegen des Abendvortrages ist es daher, das Publikum mit der heute gültigen Rechtsprechung vertraut zu machen, sodass es am Samstag das Rüstzeug für fruchtbare Diskussionen besitzt.

Darüber hinaus liegt es uns am Herzen, im Kontext dieser eher altertumswissenschaftlichen Tagung deutlich zu machen, dass es sich beim Thema „Frauenraub“ nicht nur um ein beliebtes Motiv griechischer Sagen handelt. Vielmehr wollen wir darauf hinweisen, dass der Menschenhandel ein hochaktuelles Phänomen ist. In Zeiten aktueller Debatten rund um #MeToo wollen wir zudem deutlich machen, auf welche lange Tradition die Unterdrückung der Frau und die körperliche und seelische Gewalt gegen Frauen in Europa zurückblickt.

Die Tagung ist Teil der sogenannten Gender Archaeology. Was ist darunter zu verstehen?

Katja Winger: Die Archäologie war und ist sehr von männlichen Forschern dominiert. Das hat in der Vergangenheit zum Beispiel immer wieder dazu geführt, dass reich ausgestattete Frauengräber missinterpretiert wurden. Trotz anthropologischer Untersuchungen der Knochen, die das Geschlecht bestätigten, wurden die toten Frauen kurzerhand zu zierlich gebauten Männern erklärt, weil es nach Meinung der Archäologen unmöglich sein konnte, dass Frauen eine Machtposition innehatten.

Die Gender Archaeology richtet ihren Blick insbesondere auf die Rolle der Frau im Altertum. Das Interesse daran ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Es gibt zum Beispiel den Verein FemArc oder die Forschungsgemeinschaft Archaeology and Gender in Europe. Beide setzen sich für die archäologische Geschlechterforschung ein.

Weitere Informationen

Frauenraub im Altertum: Mythos oder gängige Praxis?

Zeit und Ort

  • 2. und 3. November.2018, Beginn am Freitag um 18 Uhr
  • Topoi-Haus Dahlem, Vortragssaal Hittorfstr. 18, 14195 Berlin (U-Bhf. Freie Universität/Thielplatz, U3)

Die Teilnahme ist kostenfrei. Tagungssprachen sind Deutsch und Englisch.


https://frauenraub2018.wordpress.com/
https://www.femarc.de/
http://www.archaeology-gender-europe.org/