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Eine Agenda für die DNA

Im Rahmen der Konferenz „Towards Health Futures“ betrachteten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Europa und den USA den Umgang mit biologischen Daten aus Sicht der Wirtschaftswissenschaft und Informatik

21.03.2019

Genomdaten könnten künftig genauso verfügbar sein wie heute die Ergebnisse einer Blutuntersuchung.

Genomdaten könnten künftig genauso verfügbar sein wie heute die Ergebnisse einer Blutuntersuchung.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Fast 15 Jahre hatte es gedauert, bis die erste vollständige Sequenzierung eines menschlichen Genoms vorlag. Das Ergebnis des Humangenomprojekts – ein Verzeichnis des rund drei Milliarden Bausteine umfassenden menschlichen Erbguts – wurde damals kostenlos und für jedermann zugänglich im Internet veröffentlicht.

Heute dauert eine Sequenzierung nur noch wenige Tage und wird für rund 1000 Dollar angeboten. Der Erwerb und die Nutzung immer größerer biologischer Datenmengen werden somit für Privatpersonen und Unternehmen erschwinglich. In den USA haben schon Millionen Menschen ihre DNA von privaten Unternehmen entschlüsseln lassen. In der Medizin werden Entscheidungen für bestimmte Therapien künftig auf Basis einer Erbgut-Analyse fallen. Auch im Rahmen von Forschungsprojekten werden immer mehr Genomdaten gewonnen, gespeichert und analysiert.

Für Biodaten interessieren sich längst nicht mehr nur Biologinnen und Biologen

„Deshalb interessieren sich neben Biologen und Ärzte auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Ökonomie, Management, Informatik und Recht für den Umgang mit den Biodaten“, sagt Anna Penninger. Sie selbst hat einen Masterabschluss in Management und forscht im Rahmen ihrer Promotion bei Hannes Rothe, Juniorprofessor am Department Wirtschaftsinformatik der Freien Universität, derzeit zu öffentlich zugänglichen Genomdatenbanken. Bei der Organisation der Konferenz „Towards Health Futures“ hat sie ihren Doktorvater unterstützt.

Die Idee für die Konferenz war ein Gemeinschaftsprodukt: Zunächst tauschte sich Hannes Rothe mit Katharina Lauer aus, die zu der Zeit für das internationale Konsortium Elixir arbeitete. Elixir sitzt auf dem Campus der University of Cambridge und koordiniert Biodatenbanken in ganz Europa, damit Forscherinnen und Forscher Datensätze leichter finden, analysieren und austauschen können. Seit 2018 erforschen Katharina Lauer und Hannes Rothe, wie Start-ups und mittelständische Unternehmen mithilfe biologischer Daten Wert schöpfen. Schnell ergaben sich weitere Kontakte zu der renommierten Wirtschaftsprofessorin Sirkka Jarvenpaa von der University of Texas in Austin und Michael Barrett, Professor für Informationssysteme und Innovationsforschung an der University of Cambridge, die sich ihrerseits mit Forschung zu Biodaten befassen.

Gemeinsamer Austausch im Einstein Center Digital Future

Schließlich luden Hannes Rothe, Sirkka Jarvenpaa und Michael Barrett weitere 35 Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Fachgebieten und Ländern in das Einstein Center Digital Future in Berlin-Mitte ein, um relevante Aspekte im Umgang mit Biodaten zu identifizieren, darüber zu diskutieren und schließlich eine Forschungsagenda zu formulieren.

„Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer beschäftigen sich im weitesten Sinne damit, was gerade mit Biodaten passiert“, sagt Anna Penninger. Wie, wo und warum entstehen sie? Welche Infrastruktur gibt es für solche Daten? Wer ist aus welchen Gründen daran interessiert, Daten zu teilen? Welche Daten werden geteilt und welche nicht? Welche ethischen und rechtlichen Fragestellungen sind damit verbunden, und wie gehen einzelne Länder damit um? Wie findet Wertschöpfung statt, und wer treibt sie voran – der Staat, die Industrie, die Forschung? Welche Rolle spielt Informationstechnik, und welche Geschäftsmodelle gibt es für die Verwertung von Biodaten?

Das seien nur einige der vielen Fragen an die Forschung gewesen, die auf der Konferenz formuliert worden seien, sagt Anna Penninger.

Den ersten Konferenztag schlossen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit einer Führung durch den Regierungsbezirk und einem Essen im Restaurant in der Reichstagskuppel ab.

Den ersten Konferenztag schlossen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit einer Führung durch den Regierungsbezirk und einem Essen im Restaurant in der Reichstagskuppel ab.
Bildquelle: Digital Entrepreneurship Hub

Am zweiten Tag waren auch Vertreterinnen und Vertreter der Firma AstraZeneca, der Biotech-Start-ups Tychehart und Biotx.ai, des neuen Biotech Accelerators Start Codon sowie des European Bioinformatics Institute mit Sitz in Cambridge zu Gast, um ihre Sichtweise zu schildern und Anregungen für neue Forschungsprojekte zu geben.

Deutlich wurde, dass der Umgang mit Genomdaten von Land zu Land sehr unterschiedlich ist. Finnland, Dänemark und Schweden seien weit voraus, sagt Anna Penninger. „Klaus Lindgard Høyer von der University of Copenhagen berichtete zum Beispiel, dass in Dänemark seit 1976 von jedem Neugeborenen eine Blutprobe aufbewahrt wird. Es gibt dort nationale Register, die alle denkbaren Daten statistisch erfassen und teils auch zugänglich und verknüpfbar machen.“ Ein wichtiges Ziel der Konferenz sei es daher gewesen, eine gemeinsame Forschungsagenda für das Feld der Biodaten zu formulieren. Denn möglich sei es, dass unsere Genomdaten künftig genauso verfügbar würden wie heute die Ergebnisse einer Blutuntersuchung.

Bevor es soweit sei, möchte Anna Penninger mit ihren Kolleginnen und Kollegen intensiv über Chancen und Herausforderungen der neuen Technologie nachdenken.

Bei der Konferenz im kommenden Jahr werden auch Forscherinnen und Forscher aus Asien dabei sein

Nach zwei Tagen anregender Gespräche und intensiver Diskussion hat sich die Gruppe der Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf die Gründung einer Gemeinschaft „Towards Health Futures“ verständigt. Sie soll die Forschungsagenda weiterentwickeln, ausformulieren und ihre Entfaltung im Zeitablauf reflektieren. Neben gemeinsamen Publikationen sollen zukünftig Workshops und Konferenzen angeboten werden. Die nächste Jahreskonferenz soll im März kommenden Jahres an der University of Texas stattfinden. Daran werden neben US-Unternehmen auch Forscherinnen und Forscher aus Asien teilnehmen – und dadurch eine weitere Perspektive zum Umgang mit Genomdaten präsentieren.

Weitere Informationen

Prof. Dr. Hannes Rothe

Juniorprofessor for Educational Service Engineering und IT-Entrepreneurship

Telefon: +49 30 838 51985

E-Mail: hannes.rothe@fu-berlin.de

Website: https://de-hub.org/thf2019/