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Unterwegs mit der „Sonne“

Thomas Ruhtz, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Weltraumwissenschaften der Freien Universität, berichtet von Bord des Forschungsschiffes, das im Pazifik atmosphärische Messungen sowie Messungen zum Plastikabfall im Meer durchführt

21.06.2019

Vor dem Auslaufen der „Sonne“ am 30. Mai. Das Forschungsschiff soll am 5. Juli in Singapur ankommen.

Vor dem Auslaufen der „Sonne“ am 30. Mai. Das Forschungsschiff soll am 5. Juli in Singapur ankommen.
Bildquelle: Thomas Ruhtz

Es kommt nicht oft vor, dass man zweimal im Jahr die Erde umkreist. Das Haupteinsatzgebiet des Forschungsschiffes „Sonne“ reicht vom Indischen Ozean bis zum Westpazifik. Die Teilnahme an einer Forschungsfahrt – oder wie im diesjährigen Fall an zwei Fahrten – war von daher mit jeweils einer Erdumrundung verbunden: einmal im Uhrzeigersinn und einmal entgegen. Bei begrenzten Reisemitteln bedeutet dies, günstige Flüge buchen zu müssen mit nicht immer optimalen Umsteigezeiten. So kommt es schon mal vor, dass nur ein Teil einer anreisenden Forschergruppe in Hongkong den Anschlussflug bekommt und der andere erst mit einem 24-stündigen Umweg über Korea den Zielort erreicht. Auch eine Änderung des Abfahrtortes des Schiffes von Mexiko nach Kanada bedingt die eine oder andere flexible Entscheidung, wenn zum Beispiel die günstigen Flüge nicht mehr umbuchbar sind. Der Erlebnisfaktor von Erdumrundungen verbunden mit Forschungsreisen jedenfalls steigt mit dieser Art zu Reisen.

Thomas Ruhtz, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Weltraumwissenschaften der Freien Universität, berichtet für campus.leben von der „Sonne“.

Thomas Ruhtz, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Weltraumwissenschaften der Freien Universität, berichtet für campus.leben von der „Sonne“.
Bildquelle: Thomas Ruhtz

Das Schiff liegt in der Regel etwa drei Tage im Hafen. In dieser Zeit wird vieles abgeholt und geliefert: Verpflegung, Ersatzteile, Ausrüstung und Instrumente. Damit das reibungslos funktioniert, ist eine lange Vorlauf- und Planungszeit nötig. Die Zollabfertigung in Deutschland, am Start- und Zielort und die zeitlich passende Anlieferung sind ein logistischer Kraftakt. Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Doktoranden und Studierende, die an diesen Fahrten teilnehmen, hatten mit dieser Materie noch nie etwas zu tun. Ohne die Hilfe erfahrener Kollegen, Mitarbeiterinnen oder Unternehmen kann da eine Menge schieflaufen: Die Abfertigung im Zoll und die Anlieferung durch lokale Transportunternehmen funktioniert zum Beispiel in Fiji anders als in Deutschland.

Erforderlich: zeitliche Toleranz

So kann es passieren, dass sämtliche Kisten und Container rechtzeitig ankommen – aber zwei Kisten mit wichtigem Material fehlen. Wenn dann eine der beiden Kisten nach ein paar Stunden geliefert wird mit dem Hinweis, dass die zweite irgendwann kommt, kann die Wartezeit schon lang werden. Für einen solchen Fall ist es wichtig, zeitliche Toleranz einzuplanen. Sonst droht ein Forschungsvorhaben frühzeitig zu scheitern, und man fährt ohne Messungen wieder nach Hause, weil das Schiff die Abfahrt nicht verschieben kann.

Diesmal hat bei beiden Fahrten am Ende alles geklappt – obwohl die anzuliefernden Kisten einer Forschergruppe noch in Deutschland standen, als das Schiff schon im Hafen lag. Die Kisten konnten glücklicherweise nachgeflogen werden, und so waren nur die Telefon- und zusätzlichen Transportgebühren etwas höher als geplant.

Sicherheitsübung: Die Schwimmwesten werden unter den Betten in den Kabinen gelagert.

Sicherheitsübung: Die Schwimmwesten werden unter den Betten in den Kabinen gelagert.
Bildquelle: Privat

Angekommen an Bord

Die Ein- und Ausschiffung von Crewmitgliedern und Wissenschaft an Bord findet meist am zweiten Tag im Hafen statt. Anders als auf anderen Forschungsschiffen hat auf der „Sonne“ jeder ein eigenes Zimmer; es gibt nur wenige Doppelzimmer an Bord, die bei großer Personenzahl in Anspruch genommen werden. Insgesamt können an Bord 33 Crewmitglieder und 40 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untergebracht werden. Auch der Lärmpegel von Lüftung und Maschinen ist auf diesem neuesten und erst seit Ende 2014 betriebenen deutschen Forschungsschiff sehr viel angenehmer als auf älteren. Jedes Zimmer hat einen Schreibtisch mit Monitor und Netzwerkanschluss für Laptops. Es gibt genügend Stauraum für persönliche Sachen und ein eigenes Bad. Dies macht die Fahrt und die Arbeit an Bord sehr angenehm.

Sonde zur Probennahme am Meeresboden.

Sonde zur Probennahme am Meeresboden.
Bildquelle: Thomas Ruhtz

Nach der Abfahrt des Schiffes hat man noch ein paar Tage Vorbereitungszeit, bis die ersten Messungen erfolgen können. Innerhalb der EEZ (Exclusive Economic Zone: Ausschließliche Wirtschaftszone) der einzelnen Länder, dürfen Messungen zu Forschungszwecken nur mit Einwilligung der jeweiligen Regierungen durchgeführt werden. Die Genehmigungen müssen über die Botschaften eingeholt werden. Das ist sehr zeitaufwendig und nur in Einzelfällen durchführbar. So bleibt zunächst einmal genügend Zeit zum Auspacken, Sortieren und Aufbau der Instrumente und Labore.

Alltag an Bord

Die Zeit an Bord vergeht wie im Flug. Die Tage sind fest geregelt durch Termine für regelmäßige Mahlzeiten, Sicherheitsübungen, Planungstreffen, Vorträge, Einkäufe im Schiffsshop der „Kantine“, Wäschewaschen oder etwa Mithilfe bei der Treibgutmengen-Erfassung. Es gibt also neben der eigenen Arbeit jede Menge zu tun. Der Tag beginnt um 7 Uhr mit dem Frühstück und endet um 17.30 Uhr mit dem Abendbrot oder nach einem Vortrag gegen 20 Uhr.

Wenn das Schiff auf Station ist – das heißt, dass es an einer Position im Meer gestoppt wird und dort mithilfe von Tiefseesonden die vertikale Wassersäule und der Grund unterhalb des Schiffes untersucht werden, bedeutet das für einige Teilnehmer und die Crew eine lange Nacht. Das langwierige Herablassen der verschiedenen Sonden dauert insgesamt bis zu 24 Stunden, und so kommt es vor, dass morgens der eine oder die andere beim Frühstück fehlt. Das bringt zusätzlich zu unregelmäßigen Zeitumstellungen den Tag-Nacht-Rhythmus durcheinander.

Welcher Tag ist heute?

Ab und zu ist es schwierig, das aktuelle Datum herauszufinden. Schreibt man nach Hause, schreibt man von einer Zeitzone in eine andere; und an der Datumsgrenze werden an Bord einzelne Tage einfach übersprungen oder es gibt sie doppelt – je nachdem in welche Himmelsrichtung man gerade unterwegs ist. Erfreulich für jemanden, der dann zweimal hintereinander Geburtstag hat. Sport und Abwechslung an Bord bieten ein Fitnessraum mit Sauna, Tischtennis oder Kickerturnier oder ab und zu eine Geburtstagsfeier. Das hochgelegene Peildeck ist abends bei schönem Wetter beliebt, um sich die zum Teil fantastischen Sonnenuntergänge oder nachts den Sternenhimmel anzusehen.

Optisches Instrument für Spurengasmessungen in der Atmosphäre.

Optisches Instrument für Spurengasmessungen in der Atmosphäre.
Bildquelle: Thomas Ruhtz

Messungen der Atmosphäre

Während beider Fahrten ist unsere Gruppe für die Messungen zur Charakterisierung der Atmosphäre zuständig. Hierfür arbeiten das Max-Planck-Institut (MPI) für Meteorologie in Hamburg und das MPI für Chemie in Mainz, das Koninklijk Nederlands Meteorologisch Instituut (KNMI) in Utrecht, Niederlande, die Universität in Heidelberg und das Institut für Weltraumwissenschaften der Freien Universität Berlin zusammen.

Mit diesen Messungen sollen Satellitenprodukte über dem Pazifik kontrolliert und validiert werden, das heißt, dass die aus Satellitendaten berechneten Produkte wie etwa Bedeckungsgrad, Wolkenhöhe, Spurengaskonzentrationen oder auch die Aerosolbelastung der Luft mit den am Boden oder in diesem Fall auf dem Schiff gemessenen Daten verglichen werden. Dies ist insbesondere wichtig, da es anders als an Land nur sehr wenig Vergleichsdaten über den Ozeanen gibt. So können in der weiteren Auswertung bei Übereinstimmung die Satellitenmessungen auch über den Ozeanen bestätigt oder bei Abweichungen Verfahren und Methoden verbessert und weiterentwickelt werden.

Testung neuer Geräte unter maritimen Bedingungen

Außerdem werden neue Geräte unter maritimen Bedingungen getestet, die bei zukünftigen Fahrten und Messkampagnen eingesetzt werden sollen. Die maritime Umgebung – salzhaltige Luft, Wind, Regen und starke Sonneneinstrahlung – setzt den Geräten stark zu. Innerhalb kurzer Zeit oxidieren Metalloberflächen oder Steckerkontakte. So kommt es über den Zeitraum einer Fahrt immer mal wieder zu Geräteausfällen.

Gemessen werden außer den meteorologischen Standard-Parametern wie Temperatur, Feuchte, Luftdruck usw. auch optische Parameter, die mit den Messungen von Satelliten verglichen werden können. Dazu gehören etwa die untere Wolkenhöhe, die Aerosol Optische Dicke als Maß der Atmosphärentrübung oder Spurengase wie NO2 (Stickoxid) und O3 (Ozon).

Den besten Blick hat man vom hochgelegenen Peildeck: Sonnenuntergang über dem Pazifik.

Den besten Blick hat man vom hochgelegenen Peildeck: Sonnenuntergang über dem Pazifik.
Bildquelle: Thomas Ruhtz

Plastikmüll und Mikroplastik im Nordpazifik

Eine zweite Forschergruppe untersucht während der Durchfahrt durch den sogenannten Garbage Patch, den Nordpazifikwirbel, das Ausmaß der Plastikvermüllung im Pazifik. Dabei arbeiten das Umweltforschungszentrum in Leipzig, das Alfred-Wegner-Institut in Potsdam, das Senckenberg-Forschungsinstitut in Wilhelmshaven, das Fraunhofer-Institut für keramische Technologien und Systeme in Dresden, das Leibniz-Institut für Ostseeforschung in Warnemünde und die Stockholm-Universität zusammen.

Bei der Durchquerung des Patches konnten, anders als es in manchen Medien dargestellt wird, keine großen schwimmenden Plastikberge oder Inseln gefunden werden. Allerdings ist die Zunahme der Menge an unterschiedlich großen Plastikteilen, also die Dichte an Treibgut, deutlich erhöht, und es ist schon sehr beachtlich, welche Mengen an Plastikmüll mitten auf dem Ozean zu finden sind. Neben diesen mit Sichtung an der Oberfläche erfassten Plastikmengen wird auch die Wassersäule bis einschließlich des Meeresgrundes untersucht, und es werden regelmäßig Proben des Treibgutes gesammelt.

Bremsen mit der Chicago-Kurve

So konnte die Crew heute früh erfolgreich eine größere Tonne für weitere Untersuchungen bergen. So einfach, wie sich die Bergung in einem Satz anhört, ist sie im Endeffekt nicht. Nach einer Sichtung muss ein Schiff von mehr als 100 Metern Länge und mit mehr als 6800 Tonnen aus voller Fahrt, also mit 12 kt oder 6 m/s, bis auf wenige Meter an das Bergungsgut heranmanövriert werden. Manche nennen eine solche Aktion „Chicago-Kurve“, in der das Schiff in einer engen Kurve zum Stehen kommen muss. Auch das Treibgut endgültig mit dem Fangnetz einzufangen, ist mit einem Kran, der normalerweise Container bis 10 Tonnen hebt, nicht so einfach und erfordert von der Crew viel Geschick und Geduld.

Nach der Bergung war die Tonne zur Verwunderung der anwesenden Wissenschaftler nicht nur mit Algen bewachsen, sondern im Innern von einer kleinen Anzahl Fische bewohnt. Auch wenn man hier sicher nicht von natürlichem Recycling sprechen möchte, wird in diesem Fall eine künstliche schwimmende Höhle als Habitat und zum Schutz vor Fressfeinden wiederverwendet. Eine detaillierte Laboranalyse der gesammelten Proben wird nach der Fahrt in langwieriger Laborarbeit erfolgen und ist Teil des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekts MICRO-FATE.