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„Pornografie ist ein sehr mächtiges Thema“

Die Amerikanistin Madita Oeming gibt in diesem Semester das Seminar „Porn in the USA“. Im Gespräch mit campus.leben erläutert sie, weshalb sie die wissenschaftliche Behandlung von Pornografie für wichtig erachtet

16.10.2019

„Porn in the USA“ heißt das Seminar, das Bachelorstudierende am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin im nun beginnenden Wintersemester belegen können. Schon bei ihrer Ankündigung rief die Veranstaltung starke Reaktionen hervor, insbesondere im Netz. Campus.leben sprach mit der Lehrbeauftragten Madita Oeming; die Amerikanistin promoviert an der Universität Paderborn zu amerikanischen Narrativen rund um Pornosucht.

„Es ist notwendig, über Pornografie einen offenen Dialog zu führen. Auch und gerade an der Uni.“  Die Amerikanistin Madita Oeming bietet in diesem Semester das Seminar „Porn in the USA“ am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der Freien Un

„Es ist notwendig, über Pornografie einen offenen Dialog zu führen. Auch und gerade an der Uni.“ Die Amerikanistin Madita Oeming bietet in diesem Semester das Seminar „Porn in the USA“ am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der Freien Un
Bildquelle: Privat

Frau Oeming, was ist eigentlich Pornografie?

Ein Richter am Obersten Gerichtshof der USA sagte einmal: „I know it when I see it“. Das ist zugleich die schlechteste und beste Definition von Pornografie. Denn je länger man sich mit dem Thema beschäftigt, desto klarer wird, wie schwierig es ist, es abzugrenzen. Die meisten denken bei Pornografie an Pornofilme.

Aber auch Bilder und Texte können pornografisch sein. Wir denken an die explizite Darstellung von Sex, aber auf Pornoseiten finden sich viele Szenen, etwa aus der BDSM-Szene, bei denen gar kein sexueller Akt im klassischen Sinne zu sehen ist. Trotzdem wurden sie produziert und verbreitet, um Menschen zu erregen.

Das ist für mich ein wichtigeres Element als die Frage nach dem Inhalt. Es gehört aber auch eine gewisse Monetarisierung oder zumindest Öffentlichkeit dazu, finde ich – private Nacktfotos sind aus meiner Sicht keine Pornografie.

Normalerweise ist Pornografie ein Tabuthema. Warum sollte man sich an der Universität damit beschäftigen?

Gegenfrage: Warum nicht? Schon, dass mir diese Frage ständig gestellt wird, zeigt, wie stigmatisiert das Thema ist. Man fragt nie, warum wir Literatur an der Universität behandeln. Es wird immer ein Sonderfall aus Pornografie gemacht und das halte ich für falsch. Pornografie ist ein ausgesprochen breit konsumiertes Medium.

Sie ist ein Teil der Alltagskultur, den wir nicht ausblenden dürfen. Ich würde sogar sagen, dass Bildungsinstitutionen eine gewisse Verantwortung tragen, über dieses Thema zu informieren. Es geht im Unikontext aber nicht um Bewertung, sondern um ein analytisches Verständnis – genauso, wie man in einem literaturwissenschaftlichen Seminar nicht ein Semester lang darüber spricht, ob Literatur gut ist oder was unser Lieblingsbuch ist. Da versuchen wir auch, die Ästhetik, Geschichte, Produktions- und Konsumformen zu verstehen. All diese Dinge lassen sich auch bei der Pornografie untersuchen.

Was erfährt man über die USA, wenn man sich wissenschaftlich mit amerikanischen Pornos beschäftigt?

Man lernt am meisten, wenn man sich die Reaktionen auf Pornos anschaut. Die Ängste, die in den USA mit dem Thema verbunden sind, sagen viel über die Werte aus, die dort hochgehalten werden. Amerika hat ein sehr kompliziertes Verhältnis zu Sexualität. Das hängt auch mit der Geschichte zusammen: Das Land ist aus puritanischen Wurzeln erwachsen, und auch heute hat die Kirche in den USA im Allgemeinen einen höheren Stellenwert in der Gesellschaft als etwa in Deutschland. Das beeinflusst die Sexualmoral.

Gleichzeitig gibt es dort eine sehr lebendige Pornoindustrie, die den westlichen Markt dominiert. Zur Pornografie gehört immer auch Zensur, aber Meinungsfreiheit ist eine Säule des amerikanischen Selbstverständnisses. Die USA sind ein Land der Widersprüche und Gegensätze, und so ist das auch, wenn es ums Sexuelle geht: Da sind sie gleichzeitig Vorreiter und fünfzig Jahre hinterher.

Im Netz gab es auch Kritik an ihrem Seminar: Das sei Verschwendung von Steuergeldern, meinten einige, andere befürchteten, dass Sie dafür in der Hölle landen würden. Wie gehen Sie damit um?

Ich bin Kritik und Anfeindungen gewohnt, seitdem ich mich wissenschaftlich mit Pornografie beschäftige, und das sind nun knapp vier Jahre. Da musste ich mir schon einiges anhören. Pornografie ist ein sehr mächtiges Thema. Die Ängste und Ablehnung, die es hervorruft, sind mir also nicht neu.

Was für mich aber neu war, war die massive Reaktion: Gute 48 Stunden lang stand mein Twitter-Account keine Sekunde still, zehntausende Menschen waren beteiligt. Es ist schwer, sich davon zu distanzieren, wenn einen eine solche Welle überrollt. Das ist natürlich etwas anderes, als wenn ein oder zwei Skeptiker eine böse Nachricht schicken.

Haben Sie mit dem Gedanken gespielt, das Seminar abzusagen?

Nein, keine Sekunde. Vor der Hölle fürchte ich mich zum Glück nicht (lacht). Aber es erfordert natürlich eine Extraportion Selbstbewusstsein und Willensstärke, sich von den Reaktionen nicht einschüchtern zu lassen. Was ich sehr erschreckend fand und was für mich auch neu war, waren rechte und explizit antisemitische Reaktionen.

Ausgelöst wurde der Shitstorm durch einen Tweet, den die AfD-Politikerin Beatrix von Storch an ihre etwa 50.000 Follower abgesetzt hat. Dass sie dazu die Macht hat, finde ich sehr deprimierend. Insgesamt bestätigt mich die Wucht der Reaktionen aber zu 100 Prozent in meiner Arbeit: Es ist notwendig, über Pornografie einen offenen Dialog zu führen. Auch und gerade an der Uni.