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„Niemand, der bei Topoi mitgemacht hat, forscht so wie in der Zeit vor dem Cluster“

Nach zwölf Jahren gemeinsamer Forschungsarbeit lief der bundesweit erste altertumswissenschaftliche Exzellenzcluster Topoi am 31. Oktober aus – Clustersprecher Michael Meyer blickt zurück

14.11.2019

Durch die gemeinsame Beschäftigung mit den Themen Raum und Wissen sollte im Exzellenzcluster Topoi die Alte Welt in ihrer ganzen Vielfalt erforscht werden. Im Bild: eine Grabung in Tell Fekheriye / Syrien.

Durch die gemeinsame Beschäftigung mit den Themen Raum und Wissen sollte im Exzellenzcluster Topoi die Alte Welt in ihrer ganzen Vielfalt erforscht werden. Im Bild: eine Grabung in Tell Fekheriye / Syrien.
Bildquelle: Dominik Bonatz

Ein solches Projekt hatte es in den Altertumswissenschaften zuvor nicht gegeben – Forscherinnen und Forscher mit jeweils ganz unterschiedlicher fachlicher Expertise und ganz verschiedenen Forschungsbiografien aus insgesamt sechs Einrichtungen hatten sich zusammengeschlossen, um gemeinsam über die Disziplinen hinweg zu arbeiten. Im Mittelpunkt des Exzellenzclusters „Topoi – The Formation and Transformation of Space and Knowledge in Ancient Civilizations“ stand dabei die Frage nach dem Zusammenhang von Raum und Wissen.

Nun endete das erste Großforschungsprojekt zur Antike, getragen von Freier Universität und Humboldt-Universität. Clustersprecher Michael Meyer, Professor für Prähistorische Archäologie an der Freien Universität Berlin, zieht im Gespräch mit campus.leben Bilanz. Er hatte den Cluster gemeinsam mit seinem Kollegen Professor Gerd Graßhoff von der Humboldt-Universität seit 2011 geleitet. Die beiden folgten damit auf Friederike Fless, Professorin für Klassische Archäologie der Freien Universität und heute Präsidentin des Deutschen Archäologischen Instituts, und Christof Rapp, heute Professor für Philosophie der Antike in München, Sprecherin und Sprecher bei der Gründung 2007.

Clustersprecher Michael Meyer (rechts), Professor für Prähistorische Archäologie an der Freien Universität, gemeinsam mit Co-Sprecher Gerd Graßhoff auf der Jubiläumsveranstaltung zum zehnjährigen Bestehen von Topoi.

Clustersprecher Michael Meyer (rechts), Professor für Prähistorische Archäologie an der Freien Universität, gemeinsam mit Co-Sprecher Gerd Graßhoff auf der Jubiläumsveranstaltung zum zehnjährigen Bestehen von Topoi.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Herr Professor Meyer, wie hat der Cluster die Forschung in den altertumswissenschaftlichen Fächern an der Freien Universität verändert – und darüber hinaus, denn auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus anderen Disziplinen wie der Geografie wirkten bei Topoi mit?

Der Cluster hat diese Fächer enger zusammengeführt, viele Lernprozesse angestoßen und letztlich bei allen, die dabei waren, zu einer Horizonterweiterung geführt. Wir haben alle viel darüber gelernt, welche Theorien und Methoden in den verschiedenen Fächern zum Einsatz kommen und was überhaupt die Aussagekraft von Daten sein kann.

In meiner eigenen Forschungsgruppe „Economic Spaces“ haben wir etwa Keramik in unterschiedlichen Epochen untersucht. Wir wollten herausfinden, wo sie wie hergestellt worden war und welche ökonomischen Strukturen hinter ihrer Produktion steckten. Wir haben uns mit physischen, aber auch politischen und sozialen Räumen beschäftigt – und standen dabei immer im Dialog mit den Naturwissenschaften: Welche Daten haben wir? Wurden die richtigen Proben genommen? Erst eine lange und intensive Diskussion mit Vertreterinnen und Vertretern verschiedener Fächer hat wirklich zu einer Vergleichbarkeit von Ergebnissen geführt und einem klaren Blick auch dafür, was sich aus den Daten nicht ablesen lässt. Diese Zusammenarbeit ermöglicht ein gutes Gespür dafür, welche Methoden welche Aussagekraft haben.

Hat sich die Förderung im Rahmen der Exzellenzinitiative gelohnt?

Topoi hat in den beiden Förderphasen eine Menge in Bewegung gesetzt: Mehr als 400 Tagungen fanden statt, es gab 400 Forschungsprojekte in 50 Forschungsgruppen, die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler veröffentlichten bis jetzt mehr als 2300 Publikationen. Mehr als 300 Gastwissenschaftlerinnen und Gastwissenschaftler aus aller Welt waren zu Gast.

Aber nicht nur diese Zahlen zeigen, wieviel wir erreicht haben. Auch strukturell war Topoi ein großer Erfolg, weil die Förderung als Exzellenzcluster eine größere Flexibilität in der Forschung ermöglichte. Wir mussten keine starren Vorgaben machen, konnten Förderformate entwickeln, die zu den Forschungsfragen passten und so nach und nach ideale Forschungszusammenhänge schaffen. Diese Möglichkeiten gibt es in kleineren Förderformaten nicht, das kann man nur bei einem so großen Forschungsverbund wie einem Cluster umsetzten.

Solche Großforschungsprojekte waren für die Geisteswissenschaften vor rund 15 Jahren, als die Exzellenzinitiative ins Leben gerufen wurde, Neuland. Welche Hindernisse mussten am Anfang überwunden werden?

Die beiden ersten Sprecher, Friederike Fless und Christof Rapp, mussten sich hier erstmal ins Unbekannte vorwagen. Sie mussten einen großen Tanker steuern und hatten kein Handbuch, wie das funktioniert. Wie können die Verwaltungen der beiden Trägeruniversitäten, Freie Universität Berlin und Humboldt-Universität zu Berlin, zusammenarbeiten? Wie können die außeruniversitären Einrichtungen – die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, das Deutsche Archäologische Institut, das Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz – eingebunden werden? Es musste überlegt werden, wie Forschung strukturiert wird.

Dass das so phantastisch funktioniert hat, verdankt sich diesen beiden Kollegen und der Unterstützung durch einen sehr aktiven Vorstand, dessen Mitglieder eine ganz breite fachliche Expertise und Forschungserfahrung einbrachten.

Topoi hat alle Einrichtungen in Berlin eingebunden, die sich mit der Antike beschäftigen. Warum war diese Integration so wichtig?

Es ist ein riesiger Vorteil, wenn man langfristig auf Augenhöhe zusammenarbeitet und nicht nur punktuell in einzelnen Forschungsprojekten. Jede der beteiligten Einrichtungen hat ihren spezifischen Zugriff auf Forschung und ein jeweils ganz unterschiedliches Verhältnis zu ihrer zeitlichen Dimension: Ein Museumsmensch denkt an seine Sammlungen und ihre langfristige Konservierung – aber auch an die museale Verwertung von Forschungsergebnissen. Er hat einen anderen Blick auf die Forschungsgegenstände als eine Universitätsprofessorin, die in Projekten denkt, die drei Jahre dauern und neben der Lehre und dem Unialltag umgesetzt werden müssen.

Anders ist es bei den Forscherinnen und Forscherinnen in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften: Sie arbeiten zum Teil in Forschungsprojekten, die schon länger als 100 Jahre andauern. Dieser lange Atem in der Akademieforschung ist wiederum etwas ganz anderes als die Dynamik in einem Max-Planck-Institut, das regelmäßigen Evaluationen unterworfen ist und von dessen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erwartet wird, dass sie schnell Ergebnisse vorlegen. Es war sehr interessant zu begreifen, dass nicht nur das Interdisziplinäre eine Herausforderung ist, sondern auch das Interinstitutionelle.

Was bleibt von Topoi?

Zuerst und vor allen Dingen bleibt die Veränderung in den Köpfen jeder einzelnen Forscherin und jedes einzelnen Forschers. Ich wage zu behaupten, dass niemand, der bei Topoi mitgemacht hat, noch so forscht wie vor dem Cluster. Wir haben alle eine Öffnung in andere Disziplinen und Denkwelten erlebt, die prägt. Wichtig ist auch, dass wir für die vielfältigen Zusammenhänge zwischen ‚Raum‘ und ‚Wissen‘ eine neue Forschungsperspektive entwickeln konnten. Diese Erkenntnisse fließen nun in neue Forschungsprojekte mit ein.

Dass wir nicht im Rahmen eines Clusters mit optimaler Ausstattung und tollen Forschungsperspektiven weiterarbeiten können, ist natürlich sehr bedauerlich. Aber glücklicherweise hatten wir vorgesorgt.

Inwiefern?

Wir haben bereits 2011 das Berliner Antike Kolleg (BAK) gegründet, getragen von denselben Einrichtungen wie Topoi. Das Antike-Kolleg trägt nicht nur die Berlin Graduate School of Ancient Studies, eine integrierte altertumswissenschaftliche Graduiertenschule für alle Fächer und Studiengänge, in deren Lehrveranstaltungen sich auch die außeruniversitären Forschungseinrichtungen ganz stark einbringen. Es unterstützt auch die Entwicklung neuer Verbundforschungsprojekte wie etwa die des Einstein Center Chronoi, das im vergangenen Jahr seine Arbeit aufgenommen hat. Außerdem ist das BAK eine Plattform, die über die altertumswissenschaftliche Forschung in Berlin informiert. Hier geht es nicht nur darum zu zeigen, welch weltweit herausragender Standort Berlin in diesem Bereich ist, sondern auch darum, die Kommunikation zwischen den Berliner Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu fördern.

Wie geht es nun weiter?

Neben Chronoi versuchen wir weitere neue Forschungsprojekte anzustoßen und zu beantragen, um unsere guten Ideen aus Topoi weiterzuverfolgen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können sich beim Berliner Antike Kolleg mit eigenen Ideen auf Förderung im Rahmen von Testtopics bewerben – Pilotprojekten zur Entwicklung aktueller Forschungsfragen. Sie bekommen dann nicht nur konkrete Unterstützung für die Entwicklung des jeweiligen Vorhabens, ihnen steht auch unser ganzes Netzwerk offen. Wir vermitteln Partnerinnen und Partner für Gespräche und Projekte, die in einer Vor-Topoi-Landschaft vermutlich nicht so leicht zu finden gewesen wären.

Die Fragen stellte Nina Diezemann

Weitere Informationen

Der Exzellenzcluster Topoi wurde 2007 bis 2019 in der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder gefördert. Erstmals arbeiteten dafür die Freie Universität Berlin und die Humboldt-Universität zu Berlin als gemeinsame Trägerinnen eines Exzellenzclusters zusammen; auch vier außeruniversitäre Einrichtungen waren als Kooperationspartner eingebunden: die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, das Deutsche Archäologische Institut, das Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz.

Bereits 2011 wurde aus Topoi heraus das Berliner Antike-Kolleg als dauerhafte Einrichtung zur Förderung von institutionenübergreifender Forschung gegründet. Unter seinem Dach ist auch die Berlin Graduate School of Ancient Studies zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuches in diesen Fächern angesiedelt. 2019 hat das Einstein Center Chronoi seine Arbeit aufgenommen. Hier forschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu Zeitbewusstsein und Zeitwahrnehmung sowie zu Konzepten und der Organisation von Zeit im Altertum.