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Spurensuche am Tatort Internet

Europäische Studie unter Leitung der Freien Universität zum Zusammenhang von Cyber-Kriminalität, Persönlichkeitsfaktoren und COVID-19

11.02.2021

Sicher im Netz? Um Kinder und Jugendliche vor Internetkriminalität und Cyber-Mobbing zu schützen, beziehen die Forscherinnen und Forscher Wissen über deren Persönlichkeitsmerkmale und Verhalten ein.

Sicher im Netz? Um Kinder und Jugendliche vor Internetkriminalität und Cyber-Mobbing zu schützen, beziehen die Forscherinnen und Forscher Wissen über deren Persönlichkeitsmerkmale und Verhalten ein.
Bildquelle: Pixabay

Ist jemand, der sich zu Hassrede im Internet hinreißen lässt, im Alltag auch von anderen Problemen betroffen? Welche Lebensumstände tragen dazu bei, dass Nutzer sozialer Medien politischen und religiösen Extremismus liken? Sind risikofreudige Menschen, die etwa Abenteuerreisen und Fallschirmsprünge mögen, online größeren Gefahren ausgesetzt als ihre introvertierten Zeitgenossen? Bewegen sich die Digital Natives sicherer durchs Internet als ihre Eltern, und wie medienkonservativ sind die Altersgruppen in den Ländern der Europäischen Union im Vergleich? Diese und weitere Fragen wollen Psychologinnen und Psychologen der Freien Universität mithilfe einer europaweiten Online-Studie im Rahmen des EU-Projekts „PROPHETS“ beantworten. 

„Meine Erfahrung ist, dass wir in der Wissenschaft oft nur sehr spezifisch auf Cybercrime eingehen: Wir untersuchen entweder nur Cybermobbing, nur terroristische Online-Aktivitäten oder ausschließlich bestimmte Formen von Internetkriminalität“, sagt Herbert Scheithauer, Professor für Psychologie und Leiter des Arbeitsbereichs Entwicklungswissenschaft und Angewandte Entwicklungspsychologie der Freien Universität.

Dabei gebe es große Überschneidungen zwischen den Phänomenen: Wenn ein Mobbing-Täter Fotos stiehlt und verfremdet, sei das beispielsweise auch eine Straftat; gleichzeitig sei der Täter möglicherweise selbst Opfer von delinquenten Organisationen im Internet. „Wir erfassen nun die Querverbindungen zwischen den illegalen Phänomenen und befragen die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer nicht nur zu ihren Erfahrungen mit Cyber-Kriminalität, sondern auch zu ihren Lebensumständen und ihrer Persönlichkeit.“ 

Psychologe Herbert Scheithauer leitet die Studie zu Internetkriminalität.

Psychologe Herbert Scheithauer leitet die Studie zu Internetkriminalität.
Bildquelle: Banane Design Bremen

Personalisierte Cybercrime-Prävention

Auf die Ergebnisse der Studie könnten er und seine Kolleginnen und Kollegen dann gezielt reagieren, etwa in ihren Fortbildungsangeboten für Schulen. Bei diesen sind auch Mobbing und Cybermobbing oft Thema.

Dabei stellt Herbert Scheithauer fest, dass die betroffenen Schülerinnen und Schüler selten ausschließlich ein Problem mit Mobbing haben, sondern dies mit anderen widrigen Umständen zusammenhängen kann. „Hier müssen wir Psychologen und Pädagogen viel gezielter und intensiver mit den Schülerinnen und Schülern arbeiten“, betont er, „ein einfaches, kurzes Präventionsangebot oder ein Aufklärungsfilm reichen nicht aus.“

Damit die Studie aussagekräftig wird, möchte das Team möglichst viele Internetnutzerinnen und -nutzer zur Teilnahme anregen und macht mit Bannern wie diesem aufmerksam.

Damit die Studie aussagekräftig wird, möchte das Team möglichst viele Internetnutzerinnen und -nutzer zur Teilnahme anregen und macht mit Bannern wie diesem aufmerksam.
Bildquelle: PROPHETS

Informationen etwa zu sicheren Passwörtern an die Hand zu geben, sei wichtig, sagt Herbert Scheithauer, auch Warnungen auszusprechen, zum Beispiel Fotos nicht leichtsinnig zu posten. Aber bei Vorbeugungsmaßnahmen vor Internetkriminalität müsse die Persönlichkeit einbezogen werden: „Manche Nutzer sind impulsiver und bewegen sich riskanter durchs Netz, weil ‚Risiko‘ für sie positiv konnotiert ist. Ich muss sie also ganz anders ansprechen als ängstlichere Menschen. Die Vorsichtigen wollen wir dagegen nicht generell vom Internet abschrecken.“

Mit Tailored Interventions, maßgeschneiderten Interventionen, wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Internetnutzer jeden Alters da „abholen“, wo die Vorbeugung von Cyber-Kriminalität und -Radikalität für sie persönlich Sinn ergibt.

Hierzu sollen die Daten der aktuellen Studie einen besseren Eindruck verschaffen und zudem die durch die Corona-Pandemie angestoßenen Entwicklungen einbeziehen. Die Ergebnisse werden auch nach Ländern ausgewertet.

Informieren wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler anschließend Regierungseinrichtungen, Polizei, Präventionsarbeiter und Eltern. Gerade Erziehungsberechtigte sollten sich der Aufgabe bewusstwerden, ihre Kinder im Umgang mit dem Internet zu unterstützen, in vielen Familien sei das genau umgekehrt, merkt Herbert Scheithauer kritisch an.

Weitere Informationen

Das Projekt steht unter dem Dach von „PROPHETS“ (Preventing Radicalisation Online through the Proliferation of Harmonised ToolkitS). 

In dem europäischen Forschungsprojekt untersuchen 15 akademische, staatliche und polizeiliche Einrichtungen aus zehn Ländern digitale Radikalisierung sowie terroristische Aktivitäten im Internet und arbeiten an Präventionsmöglichkeiten. Finanziert wird die Kooperation mit Mitteln des Innovationsprogramms „Horizon 2020“ der Europäischen Union.

Interessierte können online anonym an der Befragung teilnehmen und erhalten eine PDF-Broschüre über Cybersicherheit.