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Von rechten und linken Schuhen in der Chemie

Mathias Christmann, Chemieprofessor an der Freien Universität, erläutert das Forschungsfeld von Nobelpreisträger Benjamin List, der bis 1993 ein Diplom-Studium in Chemie an der Freien Universität Berlin absolvierte

07.10.2021

Bei Schuhen links und rechts zu vertauschen, ist unangenehm. In der Chemie sind die Auswirkungen gravierender: Ein spiegelbildliches Molekül kann schädliche Eigenschaften haben, bei einem medizinischen Wirkstoff etwa schwere Nebenwirkungen.

Bei Schuhen links und rechts zu vertauschen, ist unangenehm. In der Chemie sind die Auswirkungen gravierender: Ein spiegelbildliches Molekül kann schädliche Eigenschaften haben, bei einem medizinischen Wirkstoff etwa schwere Nebenwirkungen.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Dem deutschen Chemiker Benjamin List, seit 2005 Direktor am Max-Planck-Institut (MPI) für Kohlenforschung in Mülheim an der Ruhr, wurde gemeinsam mit seinem US-Kollegen David MacMillan der diesjährige Nobelpreis für Chemie zuerkannt. Ausgezeichnet wurden die beiden Wissenschaftler für ihre Arbeiten zur asymmetrischen Organokatalyse. Mathias Christmann, an der Freien Universität Berlin Leiter der Arbeitsgruppe Totalsynthese im Forschungsbereich Organische Chemie, hat in den vergangenen Jahren mit Benjamin List zusammengearbeitet. Im campus.leben-Interview erklärt er, womit sich die Preisträger beschäftigen.

Herr Professor Christmann, Benjamin List wird für seine Forschung zu asymmetrischer Organokatalyse ausgezeichnet – was können sich Laien darunter vorstellen?

Ein Katalysator ist eine chemische Verbindung, die wie eine Maschine andere Moleküle bearbeiten und verändern kann. Dieser Arbeitsschritt, den man auch Synthese nennt, kann beliebig oft wiederholt werden, ohne dass der Katalysator verbraucht wird.

Bis zu den Arbeiten der beiden Nobelpreisträger Benjamin List und David MacMillan konnte man sich nicht vorstellen, dass auch sehr einfache, organische Moleküle als „Syntheseroboter“ verwendet können. Diese Moleküle nennt man wegen ihrer chemischen Zusammensetzung „Organokatalysatoren“, um sie von anderen Katalysatoren wie Metallverbindungen oder Enzymen zu unterscheiden. Die asymmetrische Organokatalyse ist eine Methode zur gezielten Herstellung eines Moleküls, vom dem sich Bild und Spiegelbild unterscheiden. In unserer makroskopischen Welt wäre das zum Beispiel ein rechter und ein linker Schuh.

Welche Rolle spielen linke und rechte Schuhe in der Chemie? Oder anders gefragt: Für welche Anwendungsbereiche ist diese Forschung wichtig?

Um im Bild zu bleiben: Während ein linker Schuh lediglich nicht auf einen rechten Fuß passen mag, kann ein spiegelbildliches Molekül sehr ungünstige bis schädliche Eigenschaften haben. Handelt es sich bei dem Molekül zum Beispiel um einen medizinischen Wirkstoff, kann eines der beiden Spiegelbilder schwere Nebenwirkungen auslösen. Ein Organokatalysator kann bei der Herstellung von Molekülen in ihrer spiegelbildlich reinen Form helfen.

Gemeinsame Veröffentlichung: Anwendung der asymmetrischen Organokatalyse in der Wirkstoffsynthese.

Gemeinsame Veröffentlichung: Anwendung der asymmetrischen Organokatalyse in der Wirkstoffsynthese.

Sie haben mit Benjamin List zusammen veröffentlicht – woran arbeiten Sie gemeinsam? Woher kennen Sie sich?

Meine Arbeitsgruppe beschäftigt sich sowohl mit der Entwicklung von Syntheseverfahren als auch mit der Entwicklung neuer Wirkstoffmoleküle. Bei der Herstellung einer vielversprechenden Verbindung gelang es uns zunächst nicht, nur eines der beiden Spiegelbildmoleküle gezielt herzustellen. Ich diskutierte dieses Problem daraufhin am Telefon mit Benjamin List, den ich seit vielen Jahren aus einem Schwerpunktprogramm der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) kenne. Er bot an, meinen Mitarbeiter Guoli He für „ein paar Wochen“ bei sich am MPI Mülheim aufzunehmen. Es dauerte dann doch ein bisschen länger, aber am Ende konnten wir die gewünschte chemische Umsetzung erfolgreich durchführen.

Die Ergebnisse haben wir Anfang dieses Jahres gemeinsam in der Angewandten Chemie veröffentlicht. Mein Mitarbeiter Guoli He wird übrigens am 7. Oktober an der Freien Universität Berlin promoviert – einen Tag nach der Verleihung des Nobelpreises!

Die Fragen stellte Christine Boldt