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Vorsicht, Fake!

Schwerpunktthema „Gute wissenschaftliche Praxis“: Die Ökonomin Anna Abalkina forscht am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin zu illegalen Aktivitäten im Publikationswesen

04.03.2022

Porträt der Ökonomin Anna Abalkina, die am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin illegale Aktivitäten im wissenschaftlichen Publikationswesen untersucht.

Fake-Journale schaden der Wissenschaft: Anna Abalkina, Ökonomin am Osteuropa-Institut der Freien Universität, hat das Phänomen der Hijacked Journals näher untersucht.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Gefälschte Designer-Taschen, Parfüms und Medikamente – davon haben wir schon gehört. Aber gefälschte Wissenschaftsjournale? Ja, es gibt sie, und sie sind ein Problem. Die promovierte Ökonomin Anna Abalkina erforscht am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin die Methoden der sogenannten Hijacked Journals, deren Betreiber Internetseiten seriöser Publikationen fälschen und von ahnungslosen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Gebühren für die Veröffentlichung ihrer Artikel kassieren.

Das Spezialgebiet der Forscherin ist Korruption in der akademischen Welt in Russland. Seit 2013 ist Anna Abalkina auch ehrenamtlich als Expertin für das Netzwerk Dissernet tätig, das dort – ähnlich wie Vroniplag in Deutschland – nach Plagiaten in Doktorarbeiten sucht. Im Rahmen ihrer Arbeit stieß sie auf Hijacked Journals und beschloss, das Phänomen näher zu untersuchen. Im campus.leben-Interview erklärt sie, wie dieser Betrug funktioniert und welchen Schaden die Wissenschaft dabei nimmt.

Frau Abalkina, was genau sind „Hijacked Journals“?

Hijacked Journals imitieren den Namen und häufig auch die ISSN-Nummer – das ist eine Standardnummer, die Zeitschriften und Schriftenreihen eindeutig identifiziert – seriöser wissenschaftlicher Publikationen. Die dahinterstehenden Personen betreiben eine oder mehrere gefälschte Webauftritte und bieten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an, ihre Forschungsergebnisse gegen eine Gebühr schnell online zu veröffentlichen. Die Peer-Reviews, also die Begutachtung durch Fachkolleginnen und -kollegen nach den Kriterien guter wissenschaftlicher Praxis, fallen dabei natürlich unter den Tisch.

Hijacked Journals täuschen Autorinnen und Autoren in betrügerischer Absicht vor, dass diese ihr Manuskript an eine echte, glaubwürdige Zeitschrift senden. Die Betreiber dieser Journale begehen also eindeutig Betrug und verstoßen gegen Rechte am geistigen Eigentum, Delikte, die in vielen Ländern rechtlich verfolgt werden können.

Daneben gibt es die noch größere Gruppe der sogenannten Raubjournale, auf Englisch „Predatory Journals“, die einige Gemeinsamkeiten mit Hijacked Journals aufweisen: Auch Raubjournale versprechen häufig gute Peer-Reviews, garantieren eine Veröffentlichung und verlangen im Gegenzug hohe Gebühren. Sie machen falsche Angaben über ihren Impact-Faktor und über namhafte Herausgeber und verletzen damit ebenfalls die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis. Aber sie geben sich nicht – wie Hijacked Journals – als etwas anderes aus. Das ist ein grundlegender Unterschied.

Wie schadet dieser Missbrauch der Wissenschaft?

Ebenso wie Raubjournale lassen die Digitalpiraten ihre Artikel in wissenschaftlichen Datenbanken wie Scopus und Web of Science listen und ihre Webseiten auf Portalen wie Scimago anzeigen. Scopus etwa ist eine der größten Abstract- und Zitationsdatenbank für peer-reviewte Literatur. Erst solche Datenbanken ermöglichen uns, einen Überblick über Forschungsergebnisse aus der ganzen Welt zu bekommen. Außerdem berechnen sie die wissenschaftliche Reputation von Journalen und Forschenden. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler importieren für ihre eigene Arbeit täglich Daten aus diesen Datenbanken und halten sie für zuverlässig.

Den Betrügern ist es gelungen, ihren illegalen Content dort einzuschleusen. Das ist ungefähr so, als würde man gefälschte Medikamente in der Apotheke verkaufen. Auf der Webseite der Weltgesundheitsorganisation habe ich zum Beispiel eine Bibliothek mit Veröffentlichungen über Covid19 gefunden, die offensichtlich auf einer Liste aus Scopus basiert. Die Aufstellung enthält rund 400 Veröffentlichungen aus Hijacked Journals.

Wenn die Betreiber von Scopus illegale Inhalte in ihrer Datenbank entdecken, ziehen sie diese zwar zurück, aber der Ablauf ist nicht transparent. Scopus informiert seine Nutzerinnen und Nutzer nicht darüber, dass ein bestimmtes Journal „gekapert“ wurde. Also machen die Betrüger weiter.



Seit wann existieren Hijacked Journals, und wie verbreitet sind sie?

Die ersten Fälle traten ungefähr vor zehn Jahren auf. Inzwischen gibt es mehr als 200 dokumentierte Fälle, aber wir können davon ausgehen, dass die Dunkelziffer höher ist. Es kursieren zwar inoffizielle Listen wie die Beall’s List, diese werden aber nicht systematisch aktualisiert. Von den dokumentierten Titeln sind einige immer noch aktiv.

Die Zahl scheint auf den ersten Blick nicht hoch zu sein. Manche Länder sind jedoch besonders stark betroffen. Meine Auswertung hat ergeben, dass 2021 rund 40 Prozent der bei Scopus gelisteten Publikationen aus Usbekistan auf gefälschten Webseiten erschienen sind. Für den Irak beträgt dieser Anteil 7 bis 8 Prozent, für Indien 1,5 Prozent. Diese Veröffentlichungen sind völlig wertlos und werfen die Wissenschaft dieser Länder zurück.

Für manche Forschende mag es sogar verlockend sein, schnell und ohne Peer-Review-Prozess in einer gefälschten Zeitschrift zu veröffentlichen. Schließlich sind fast überall auf der Welt in Scopus oder anderen Zitationsdatenbanken indizierte Publikationen Voraussetzung dafür, Forschungsgelder, Beförderungen oder Abschlüsse zu erhalten. Vor dieser Verlockung kann man nur warnen: Artikel in gefälschten Journalen gelten als nicht veröffentlicht. Die Domains dieser Webseiten werden häufig nach kurzer Zeit wieder abgeschaltet. Dann ist alles verloren – Geld und Publikation.

Sind bestimmte Disziplinen stärker betroffen als andere?

Nein, denn die Strategie der betrügerischen Klone besteht darin, in kurzer Zeit so viele Artikel wie möglich zu veröffentlichen. Dabei ist ihnen egal, aus welchen Disziplinen die Artikel stammen, solange nur die Gebühr gezahlt wird. So hat mich zum Beispiel ein Psychologe kontaktiert, der entdeckt hatte, dass er in einer Veröffentlichung des Journals „Waffen- und Kostümkunde“ zitiert worden war. So kamen wir darauf, dass diese Zeitschrift gekapert wurde.

Interessant ist eher die Frage: Welche Art von Journalen wird kopiert? Da gibt es tatsächlich einen Trend: Es trifft meist kleine, stark spezialisierte Zeitschriften aus entwickelten Ländern, die in der Öffentlichkeit kaum bekannt sind. Oft erscheinen diese Titel nur gedruckt, sodass ausschließlich der gefälschte Webauftritt im Netz zu finden ist. Die Internetpiraten scannen das Netz nach Fachblättern ohne oder mit abgelaufener Internetadresse und registrieren diese dann für sich. Oder sie fälschen Publikationen, die eingestellt wurden oder Titel und ISSN geändert haben, und täuschen eine Weiterführung vor. Mit Spam-E-Mails „umwerben“ sie potenzielle Autorinnen und Autoren, deren E-Mail-Adressen sie von seriösen oder Raubverlagen extrahiert oder den Ausrichtern von Schein-Konferenzen abgekauft haben. Durch Suchmaschinenoptimierung sorgen sie dafür, dass ihre gefälschten Seiten in Trefferlisten ganz oben angezeigt werden.

Woran können Forschende eine Fälschung erkennen?

Das ist manchmal nicht einfach. Eine Wissenschaftlerin hat mir berichtet, dass sie vier Mal an Scopus geschrieben hat, um zu erfragen, ob eine bestimmte Zeitschrift authentisch sei. Vier Mal wurde ihr bestätigt, dass es sich um ein legitimes Journal handele, was aber nicht stimmte. Ein Wissenschaftler sagte mir dazu: Ich bin Forscher und kein Ermittler.

Dennoch gibt es Anzeichen: Passt der Titel der Zeitschrift zu den Artikeln, die dort publiziert werden? Finden Sie bei der Google-Suche authentische Informationen über Mitglieder des Editor Board? Viele Fake-Journale stellen erfundene Namen ins Netz. Außerdem treten die Betrüger immer anonym auf.

Wenn Sie bei einem Check auf der Webseite whois.domaintools.com sehen, dass ein Journal vor wenigen Monaten auf einen „John Doe in Arizona“ registriert wurde und die E-Mail-Adresse über gmail oder yahoo läuft, ist das ein Anzeichen für Betrug. Auch wenn Ihnen die Verleger zusagen, Ihren Artikel innerhalb von zwei bis drei Tagen zu veröffentlichen, ist Vorsicht angebracht. Auf dem ISSN-Portal https://portal.issn.org/ lässt sich außerdem der ISSN-Code des Journals überprüfen. Weitere verdächtige Anzeichen sind viele Rechtschreibfehler auf der Webseite, aufgeblähte Impact-Faktoren, einfache Einreichungsformate.

An welchen anderen Themen forschen Sie gerade?

In einem meiner Projekte geht es um Korruption in der Forschung in Russland. Ich analysiere ein neues Gesetz, das besagt, dass Forschende in wissenschaftlichen Einrichtungen mehr publizieren müssen. Dabei habe ich herausgefunden, dass viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die verlangten Artikel nicht selbst schreiben, sondern sich eine Co-Autorschaft bei sogenannten „Paper Mills“ kaufen, also bei profitorientierten und möglicherweise illegalen Organisationen, die betrügerische Manuskripte produzieren und verkaufen. Ich habe mehr als 300 Artikel von russischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern entdeckt, die aus solchen Paper Mills kommen. Die Studie dazu habe ich bereits auf dem Preprint-Server arxiv veröffentlicht.

Die Fragen stellte Marion Kuka

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