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„Wir feiern Mathematik!“ – im Futurium am 1. Juli. Ein Interview mit Christof Schütte und Martin Skutella

Eine Million US-Dollar für einen effizienten Algorithmus: Warum die Lösung des „P versus NP“-Problems so viel Geld wert ist und Mathematik an sich ein Abenteuer

01.06.2022

Wie kommt man am schnellsten von A nach B? Effiziente Algorithmen helfen, die beste Route zu finden. Ein Beispiel von vielen, wie viel Mathematik im Alltag steckt.

Wie kommt man am schnellsten von A nach B? Effiziente Algorithmen helfen, die beste Route zu finden. Ein Beispiel von vielen, wie viel Mathematik im Alltag steckt.
Bildquelle: Pexels Pixabay

Nicht nur für Laien kann Mathematik zuweilen rätselhaft sein – und bleiben. Wie sonst wäre es zu erklären, dass einige mathematische Aufgabenstellungen seit Jahrhunderten ungelöst sind? Für deren Lösung hat das berühmte Clay Mathematics Institute im Jahr 2000 jeweils eine Million US-Dollar Preisgeld in Aussicht stellte. Sie sind – mit nur einer Ausnahme, der Poincaré- Vermutung – bis heute ungelöst.

In diesem Jahr sollen diese Milleniumsrätsel nun der Öffentlichkeit vorgestellt werden: Im Juni startet die bundesweite Veranstaltungsreihe „Die 7 größten Abenteuer der Mathematik“. Die Initiatoren der Reihe, Die Junge Akademie und die Deutsche Mathematiker-Vereinigung, laden damit zu einer Abenteuerreise durch einige der zentralsten Fragen der Mathematik – die Millennium-Probleme – ein.

An sieben mathematischen Instituten und Forschungszentren in Deutschland widmen sich Forschende jeweils einem dieser Rätsel, um es ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen, die Faszination der Mathematik zu vermitteln und Austausch unter Kolleginnen und Kollegen anzuregen.

In Berlin stellt der Exzellenzcluster MATH+ das „P versus NP“-Problem vor. Martin Skutella, Einstein-Professor für Mathematik und Informatik an der Technischen Universität Berlin sowie MATH+-Co-Sprecher, und Christof Schütte, Professor für Mathematik an der Freien Universität Berlin, Präsident des Zuse-Instituts Berlin und MATH+-Sprecher laden alle Interessierten am Vormittag des 1. Juli in das Futurium ein, wo das „P versus NP“-Problem für Laien verständlich erläutert werden soll. Am Nachmittag findet dann in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) der fachliche Austausch zum „P versus NP“-Problem statt.

Prof. Dr. Martin Skutella von der Technischen Universität Berlin

Prof. Dr. Martin Skutella von der Technischen Universität Berlin
Bildquelle: Kay Herschelmann

Herr Professor Skutella, Herr Professor Schütte, warum sind Sie Mathematiker geworden?

Martin Skutella: Mathematik ist eine Möglichkeit, gewisse Aspekte unserer Welt besser zu verstehen. Schon Galileo Galilei sagte: „Das Buch der Natur ist in der Sprache der Mathematik geschrieben.“ Außerdem hat Mathematik ihre eigene Ästhetik, und ein schöner mathematischer Beweis macht einfach Freude.

Am besten ist es, wenn einem klar wird: Mathematik wirkt ins echte Leben hinein. Ein guter Algorithmus macht zum Beispiel die Routenplanung des Navis erst möglich. In diesem Fall ist es ein Verfahren zur Berechnung kürzester Wege. Denkbar sind aber unzählige andere Anwendungen.

Christof Schütte: Mathematik ist die gemeinsame Sprache der Wissenschaften. Sie erlaubt uns die Zusammenarbeit mit vielen Disziplinen: etwa Medizin, Chemie, Archäologie. In unserem Institut arbeiten Menschen aus 27 Disziplinen zusammen. Bei der Veranstaltung im Futurium wollen wir zeigen, dass Mathematik faszinierend ist.

Prof. Dr. Christof Schütte von der Freien Universität Berlin, Sprecher von MATH+.

Prof. Dr. Christof Schütte von der Freien Universität Berlin, Sprecher von MATH+.
Bildquelle: Felix Noak

Muss man Mathematik lieben, um etwas von der „Celebrating MATH!“-Veranstaltung am 1. Juli im Futurium zu haben?

Christof Schütte: An diesem Tag feiern wir die Mathematik. Sie kann ein fantastisches Abenteuer für alle Menschen sein – groß und klein. Das Vormittagsprogramm richtet sich an Laien, vor allem an Schülerinnen und Schüler ab der 10. Klasse.

Es gibt Beispiele mathematischer Anwendungen in der Ausstellung „KI-Kunst zum Anfassen“. Sie kennen das: Sie fahren in den Urlaub, und am Urlaubsort gibt es jemanden, der in zehn Minuten ein Portrait von Ihnen zeichnet. Ein solches Portrait kann auch ein Computer „malen“ – wohlgemerkt, er errechnet es, er macht kein Foto. Das kann man dort ausprobieren.

Außerdem geht es darum: Wie entscheiden Menschen über Ihre Mobilität? Durchgespielt wird das beispielsweise an dem Ziel, den CO2-Ausstoß bis 2035 zu reduzieren. Man kann an einer Simulation teilnehmen, Handlungsoptionen auswählen. Zum Beispiel: E-Autos steuerlich fördern, das Netz der Radwege ausbauen – alles gleichzeitig umzusetzen, ist zu teuer. Es müssen also Entscheidungen getroffen werden, und dann wird simuliert, was die Konsequenzen sind.

Außerdem wird der Comic „Ida und der Mathe-Agent“ vorgestellt. Der Comic zeigt in verständlicher Form, wie die verschiedenen Mobilitätsentscheidungen in die Simulationen der Konsequenzen eingehen. Wenn es um globale Herausforderungen wie den Klimawandel, Epidemien und Migration geht, können mithilfe der mathematischen Modellierung und Simulation unterschiedliche Szenarien durchgespielt werden, bevor man sich in der Realität für eine entscheiden muss.

Am Nachmittag sammelt sich die MATH+Community in der BBAW und geht fachlich in die Tiefe, auch hier geht es um die Millennium-Probleme.

Was genau hat es mit den Millenniums-Problemen auf sich?

Martin Skutella: Es geht um ungelöste mathematische Fragen, die im Laufe dieses Jahres im Rahmen einer bundesweiten Veranstaltungsreihe von allen Seiten beleuchtet werden: die sogenannten „sieben größten Abenteuer der Mathematik“. Für deren Lösung hat im Jahr 2000 das Clay Mathematics Institute in den USA je eine Million US-Dollar Preisgeld ausgelobt. Das Forschungszentrum der Berliner Mathematik MATH+ nimmt an der Veranstaltungsreihe teil und widmet sich einem der sieben Probleme: P versus NP.

Warum ist diese Frage von Interesse für die Allgemeinheit?

Martin Skutella: Bei dem Problem P versus NP geht es um effiziente Algorithmen: Darum, ob ein Computer Aufgaben bestimmter Komplexität lösen kann. Kann er zum Beispiel einem Handlungsreisenden dabei helfen, die kürzeste Rundreise durch mehrere Orte zu planen?

Ein anderes Beispiel: Du hältst eine Vorlesung für 400 Studierende, an der aber nur 100 in Präsenz teilnehmen können. Um die Sache noch komplizierter zu machen, gibt es Paare von Studierenden, die nicht gemeinsam teilnehmen möchten. Man kann leicht prüfen, ob auf einer Liste mit 100 Namen Paarungen dabei sind, die nicht sein dürfen. Es gibt aber mehr Möglichkeiten, aus 400 Studierenden 100 auszuwählen, als es Atome im Universum gibt. Kein Computer dieser Welt kann jede dieser Möglichkeiten ausprobieren.

Und warum haben Sie sich mit MATH+ für dieses Problem beworben?

Martin Skutella: Wir haben uns gezielt um „P versus NP“ bemüht. Das Problem passt am besten zu Berlin, von den Millenniums-Fragestellungen hat es am meisten Auswirkungen auf „das wirkliche Leben“, wie man so sagt.

MATH+ hat den Anspruch, anwendungsorientiert zu sein und mit Mathematik die Welt zum Besseren zu ändern. Einige meiner Kolleginnen und Kollegen arbeiten beispielsweise mit der Deutschen Bahn zusammen im Bereich strategische Planung: Wie setze ich die zur Verfügung stehenden Züge am besten ein? Mathematikerinnen und Mathematiker arbeiten an ganz alltagsnahen Problemen.

Die Fragen stellte Annette Leyssner

Weitere Informationen

Die vom Exzellenzcluster MATH+ organisierte Veranstaltung am 1. Juli im Futurium am Vormittag wendet sich eher an Laien, die am Nachmittag in der BBAW an ein Fachpublikum. Zu der Vormittagsveranstaltung sind alle Interessierten eingeladen. Unter dem Slogan „Wir feiern Mathematik!“ gibt es Vorträge und Aktivitäten, die schon für Schülerinnen und Schüler ab der 10. Klasse geeignet sind. Anmeldungen sind bis zum 12. Juni möglich.

Informationen zur bundesweiten Veranstaltungsreihe #siebenabenteuer

Über den Exzellenzcluster MATH+
An MATH+ beteiligt sind die Freie Universität Berlin, die Humboldt-Universität zu Berlin, die Technische Universität Berlin, das Weierstraß-Institut für Angewandte Analysis und Stochastik (WIAS) und das Zuse-Institut Berlin (ZIB) sowie diverse interdisziplinäre Kooperationspartner.