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Ein Forschungsbau für den Nanoblick auf Zellgrenzen

Im neuen SupraFAB-Gebäude auf dem Campus der Freien Universität Berlin werden künftig Eigenschaften und Funktionsmechanismen von supramolekularen Strukturen an Biogrenzflächen untersucht

07.06.2022

Außenansicht des dreistöckigen SupraFAB-Gebäudes

Der Forschungsbau SupraFAB wurde mit rund 48 Millionen aus dem Bund-Länder-Programm der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) für Forschungsneubauten und Großgeräte gefördert.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

„Am meisten freue ich mich darauf, mit Menschen aus vielen verschiedenen Forschungsrichtungen zusammenzusitzen und zu interagieren“, sagt Stephanie Reich. Die Physikprofessorin wird mit Teilen ihrer Arbeitsgruppe für experimentelle Festkörperphysik in den Forschungsbau SupraFAB einziehen. Das kürzlich offiziell eröffnete Gebäude in der Altensteinstraße 23 a bietet Labor- und Büroarbeitsplätze für rund 120 Forschende.

Glücklich mache sie außerdem, so Stephanie Reich, dass auch ihre Geräte bald dort stehen werden. „Im Moment bereiten uns die Sanierungsarbeiten am Chemiegebäude in der Takustraße große Schwierigkeiten. Wenn dort gebohrt und gehämmert wird, stören die Bodenerschütterungen unsere Messungen. Dieses Problem werden wir im Neubau nicht mehr haben“, betont die Forscherin. Das SupraFAB-Gebäude steht auf einer schwingungsarmen, einen Meter dicken Bodenplatte. Zusätzlich entkoppelt ein 40 Tonnen schweres Sonderfundament auf Luftfedern die empfindlichen Messgeräte von äußeren Einflüssen.

Wer winzige biomolekulare Strukturen im Nanobereich untersuchen möchte, braucht dafür große Geräte. Im SupraFAB werden den Forschenden einige dieser Giganten zur Verfügung stehen: superauflösende optische Mikroskope, beispielsweise ein sogenanntes STED, ortsaufgelöste Infrarotspektroskope (sSNOM) und eines von deutschlandweit wenigen „near ambient pressure“-Röntgenphotoelektronenspektroskopen (NAP-XPS) für die Untersuchung von biomolekularen Strukturen nahe Normaldruck. In einigen Monaten kommt außerdem ein 300-Kilovolt-Kryo-Transmissions-Elektronenmikroskop dazu, mit dem atomar-aufgelöst Strukturen eingefroren in wässriger Umgebung untersucht werden können.

Ein Tieftemperatur-Rastertunnel-Rasterkraft-Mikroskop (LT-STM-AFM) mit Laserkopplung war auf den Rundgängen zur Eröffnung bereits zu besichtigen. Eine besonders hohe Auflösung erreicht das Mikroskop mithilfe des inversen Piezoeffekts der Rastersonde. So ist es möglich, selbst Änderungen im Nanometerbereich auf einer Oberfläche abzubilden und zu charakterisieren.

Wie agieren Viren auf Zelloberflächen?

Gegenstand der Forschung mit diesen Großgeräten ist das Geschehen an sogenannten Biogrenzflächen. Gemeint sind damit zum Beispiel Zellmembranen, die das Innere unserer Körperzellen von der Umgebung abgrenzen und schützen. Wenn Krankheitserreger, etwa Viren, versuchen, in eine Zelle einzudringen, finden an der Zelloberfläche komplexe Prozesse zwischen Proteinen statt, die entscheidend dafür sind, ob und wie schwer wir erkranken.

Durch die Kombination zeitaufgelöster mikroskopischer und spektroskopischer Methoden sollen neuartige Möglichkeiten zur Aufklärung kinetischer Prozesse von supramolekularen Architekturen an Grenzflächen geschaffen werden.

Das Forschungsthema ist hochaktuell, denn derzeit zielen 60 Prozent aller kommerziellen Medikamente auf Membranproteine. In den S2-Biolaboren von SupraFAB wird unter anderem untersucht, wie die Interaktion von Virus und Zelle blockiert werden kann und welche Erkenntnisse für Diagnostik und Therapien sich daraus ableiten lassen. Aber auch den Vorgängen bei der Signalübertragung zwischen Nervenzellen und der Rolle von Hydrogelen als Bestandteil biologischer Grenzflächen sind die Forschenden in dem neuen Gebäude auf der Spur.

Rainer Haag steht vor einem Mikrofon vor der Schaukelinstallation, Katja Maria Vogt steht rechts neben ihm.

Als Beitrag zum Miteinander der Disziplinen würdigte Prof. Dr. Rainer Haag (links) die Kunstinstallation „SupraSwing – Schaukeln für die Forschung“, die als Kunst am Bau von der Künstlerin Katja Marie Vogt (rechts) konzipiert wurde.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

„In SupraFAB möchten wir leben, was uns wissenschaftlich seit Langem verbindet: In vier Sonderforschungsbereichen, einem Graduiertenkolleg und der Focus Area Nanoscale arbeiten wir in Biologie, Chemie und Physik intensiv zusammen und vernetzen uns mit weiteren Disziplinen“, sagt Chemieprofessor Rainer Haag, Sprecher des Forschungsbaus ist. „Nun haben wir die optimale Umgebung, um unsere Methoden zu kombinieren, die Herausforderungen von supramolekularen Architekturen an Biogrenzflächen zu knacken und neue Ideen zu entwickeln.“

Dass die Fragen des Lebens komplex und nicht aus einer einzigen Perspektive zu beantworten sind, betonte auch Professor Günter M. Ziegler, Präsident der Freien Universität Berlin, in seiner Eröffnungsrede. Trotzdem sei es nicht immer einfach, die Grenzen zwischen Disziplinen zu überwinden, weil Forschungsgegenstände, Methoden und Ergebniserwartungen so vielschichtig seien. „Doch wir müssen die Dinge zusammenbringen“, forderte der Mathematiker. „In den interdisziplinären Sonderforschungsbereichen haben Sie bereits gezeigt, dass es möglich ist.“

SupraSwing: Pendel-Effekte am eigenen Körper erleben

Ein Beitrag zum Miteinander der Disziplinen leistet auch die Kunstinstallation „SupraSwing – Schaukeln für die Forschung“, die als Kunst am Bau von der Künstlerin Katja Marie Vogt erdacht wurde. Das leuchtend gelbe Stahlgerüst mit drei Schaukeln, die als gekoppelte Pendel verbunden sind, steht auf der Nordwestseite des Gebäudes und wurde am Eröffnungstag feierlich zur Nutzung freigegeben.

Peter Lange, der 2014 als damaliger Kanzler der Freien Universität Berlin den entscheidenden Anstoß für den Förderantrag gab, weihte die Installation schaukelnd und mit viel Spaß zusammen mit Stephanie Reich und Rainer Haag ein. Für Rainer Haag bieten die Schaukeln aber nicht nur einen geselligen Ausgleich im anstrengenden Forschungsalltag, sondern passen auch symbolisch perfekt zum Anspruch des Gebäudes. „Wir haben den Wettbewerbsbeitrag von Katja Marie Vogt von Anfang an begeistert unterstützt“, berichtet der Chemiker, „und sind froh, dass ihre Idee ausgewählt und realisiert wurde.“

Gruppendynamik zwischen drei Forschungsdisziplinen

Viel Geduld und eine schwungvolle Gruppenleistung seien dafür nötig gewesen, sagte die Künstlerin in ihrer Eröffnungsansprache. Die Arbeit sei ein echtes Pionierstück, an dem sehr viele Menschen mitgewirkt hätten, zu guter Letzt sogar ein Spielplatzprüfer, der die Anlage zur Nutzung freigeben musste.

Drei Inspirationen haben Katja Marie Vogt zu ihrer Idee geführt: das besondere Fundament des Gebäudes, das Schwingungen von außen abfängt, die Zusammenarbeit der drei Disziplinen Biologie, Chemie und Physik und schließlich die zwischenmenschlichen Schwingungen in gruppendynamischen Prozessen. „Bei der Recherche bin ich auf den physikalischen Effekt der gekoppelten Pendel gestoßen: Wenn ein Pendel zu schwingen beginnt, dann können die anderen Pendel nicht mehr unabhängig schwingen, sie geben sich abwechselnd die Energie hin und her.“ Diese Abhängigkeit könne blockieren, aber auch zu einem großen Schub führen. Wie bei der Gruppenarbeit wechseln sich beim Schaukeln Aha-Momente und Trägheitsmomente ab.

Die Künstlerin lud die Forschenden der drei Disziplinen ebenso wie alle Interessierten ein, künftig auf der SupraSwing gemeinsam die dynamischen Pendel-Effekte am eigenen Körper zu erleben. An einem kleinen Modell der Schaukel im Atrium des Neubaus lasse sich der Effekt außerdem in der Reinheit der physikalischen Theorie betrachten.

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