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Schwerpunkt „Social Cohesion“: Woher kommt der soziale Kitt?

Kann Rechtsprechung über Fehlverhalten von Managern Vertrauen in die soziale Marktwirtschaft stärken? Wie wichtig ist zivilgesellschaftliches Engagement für den Zusammenhalt? Antworten verspricht die Grand Challenge Initiative „Social Cohesion“

26.09.2022

Teamgeist im Trikot: In Sportvereinen lernen Kinder, was eine Gruppe zusammenhält. Oftmals von Ehrenamtlichen getragen,  sind sie Orte des Austauschs von Menschen unterschiedlicher politischer Haltung und sozialer Herkunft.

Teamgeist im Trikot: In Sportvereinen lernen Kinder, was eine Gruppe zusammenhält. Oftmals von Ehrenamtlichen getragen, sind sie Orte des Austauschs von Menschen unterschiedlicher politischer Haltung und sozialer Herkunft.
Bildquelle: Picture Alliance  

Die Frage, wie sozialer Zusammenhalt in Krisenzeiten zu sichern ist, beschäftigt Gesellschaften weltweit. Sie beschäftigt auch die Forschung: Mit einer Themenwoche zur Grand Challenge Initiative „Social Cohesion“ zeigt die Berlin University Alliance – der Verbund aus Freier Universität Berlin, Humboldt-Universität zu Berlin, Technischer Universität Berlin und Charité – Universitätsmedizin Berlin – zu welchen Themen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den im Oktober 2020 gestarteten Projekten arbeiten. Lesen Sie hier über eines der Projekte, an dem Forschende der Freien Universität beteiligt sind.

Als Bundesinnenministerin Nancy Faeser einen früheren Renteneintritt als Belohnung für ehrenamtlich Engagierte vorschlug, erntete die SPD-Politikerin parteiübergreifend Kritik. „Ist Ehrenamt noch Ehrenamt, wenn es dafür eine wie auch immer geartete Entlohnung geben muss?", hieß es etwa aus der FDP.

Für den Soziologen Swen Hutter von der Freien Universität Berlin geht Nancy Faesers Vorschlag allerdings „in die richtige Richtung“. Swen Hutter, Lichtenberg-Professor in politischer Soziologie an der Freien Universität Berlin und am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, untersucht den Wandel von zivilgesellschaftlichem Engagement in der Corona-Pandemie. Sein Zwischenfazit: „Wer vor Ort Gemeinschaft organisiert wie der klassische Sportverein, hat am stärksten unter der Pandemie gelitten, leidet bis heute und könnte durch den Anstieg der Energiepreise im Zuge des russischen Angriffs auf die Ukraine noch stärker leiden.“ Hingegen habe krisengetriebenes, informelles Engagement zugenommen.

Swen Hutters Empfehlung an die Politik: „Die Art der staatlichen Förderung von Zivilgesellschaft muss sich dem anpassen, muss lose Zusammenschlüsse flexibler fördern, aber darf auch klassische Vereine als Orte des Austauschs von Menschen unterschiedlicher politischer Haltung und sozialer Herkunft nicht vergessen.“

Was Swen Hutter ausspricht, sind erste Empfehlungen und Erkenntnisse seiner Forschungsgruppe „Mapping Civil Society Initiatives“, die als Teil des Forschungsprojekts „Social Cohesion and Civil Society. Interaction Dynamics in Times of Disruption“ von der Berlin University Alliance gefördert wird. Der Verbund von Freier Universität Berlin, Humboldt-Universität zu Berlin, Technischer Universität Berlin sowie Charité – Universitätsmedizin Berlin unterstützt Forschung zu globalen Herausforderungen wie globalen Gesundheitsfragen oder eben sozialem Zusammenhalt.

Was hält unsere Gesellschaft zusammen? Wie entsteht sozialer Zusammenhalt? Auf große Fragen wie diese suchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in insgesamt sechs Projekten Antworten.

„In Aushandlungsprozessen klärt sich, wo wir als Gesellschaft hinwollen. Und ist das geklärt, kann sozialer Zusammenhalt auch wieder wachsen.“

Swen Hutter ist Lichtenberg-Professor in politischer Soziologie an der Freien Universität Berlin und am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Swen Hutter ist Lichtenberg-Professor in politischer Soziologie an der Freien Universität Berlin und am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung
Bildquelle: David Ausserhofer

Swen Hutter und seine Forschungsgruppe suchen in dörflichen Fußballvereinen, Fridays-for-Future-Gruppen oder „Omas gegen Rechts“ und haben Akteurinnen und Akteure der Zivilgesellschaft in ihrer ganzen Breite befragt. Dabei zeigte sich: „Die organisierte Zivilgesellschaft hatte nicht nur unter den Maßnahmen zur Eindämmung von Corona zu leiden, sondern musste auch eine Haltung zu den Protesten dagegen finden“, sagt der Forscher und nennt das Beispiel eines Netzwerks gegen Rechts in Brandenburg, das sich infolge aufkommender Proteste gegen die Pandemie-Politik mit der Frage konfrontiert sah: Wie können wir dem Protest begegnen, der mit der Zeit zunehmend nach rechts rückte? „Das Netzwerk und andere zivilgesellschaftliche Zusammenschlüsse haben das Abdriften von Teilen der Gesellschaft in der Pandemie früh erkannt und viel Verständigungsarbeit geleistet“, haben Swen Hutter und seine Kolleginnen und Kollegen beobachtet.

Was es braucht, damit Verständigung in heterogenen Netzwerken gelingt, sozialer Zusammenhalt wächst? „Das ist noch nicht gut genug erforscht“, räumt der Soziologe ein und lobt den „explorativen Ansatz“ der Forschungsförderung der Berlin University Alliance, der es ermögliche, „neue Forschungsfragen aufzunehmen, die sich im Arbeitsprozess ergeben, statt stur einen vorab festgelegten Plan abzuarbeiten.“ Swen Hutter hofft deshalb, dass die Grand Challenge verlängert wird.

Dass sie exzellenten wissenschaftlichen Ertrag verspricht, deuten der Soziologe und seine Kolleginnen und Kollegen noch mit Zwischenergebnissen eines weiteren Teilprojekts an: In „Subjects of Cohesion“ geht das Team unter anderem der Frage nach, wann zivilgesellschaftliche Akteure sozialen Zusammenhalt fördern – und wann nicht. Im Fokus dabei: die Klimaschutzbewegung Fridays for Future.

Überraschender Zwischenbefund

Die Klimaproteste hätten den sozialen Zusammenhalt nicht gestärkt; vielmehr hätten sie politische Gegner mobilisiert und Aktivistinnen und Aktivisten teils frustriert. Dies war für die Forschenden ein weiterer auf den ersten Blick überraschender Zwischenbefund, denn die Bewegung gilt als erfolgreichste der vergangenen Jahre. Ihr zivilgesellschaftliches Engagement wird von Anhängerinnen und Anhängern als Quelle von Selbstwirksamkeitserfahrungen und des Gefühls gewertet, Teil einer Gemeinschaft zu sein.

Die Gründe für dieses Frustrationsempfinden, sagt Swen Hutter, müssten noch genauer ergründet werden, eine erste Einschätzung gibt der Soziologe: „Wir sehen eine Bewegung, die nach starkem Start mit viel Anerkennung aus der Politik feststellen musste, dass Klimaschutzmaßnahmen nicht im geforderten Umfang umgesetzt wurden - obwohl sich in der vielfach als Klimawahl gedeuteten Bundestagswahl 2021 ein Konsens für Klimaschutz abzubilden schien.“ Dass Forderungen und Aktionsformen von Klimaschützern und -schützerinnen mitunter kontrovers diskutiert werden, findet der Wissenschaftler allerdings nicht weiter schlimm, denn: „In Aushandlungsprozessen klärt sich, wo wir als Gesellschaft hinwollen. Und ist das geklärt, kann sozialer Zusammenhalt auch wieder wachsen.“

Andreas Engert ist Professor für Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht.

Andreas Engert ist Professor für Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht.

„Mit meiner Forschung möchte ich auch dazu beitragen, dass die Erwartungen an Rechtsprechung insgesamt realistischer werden.“

Skeptischer sieht Hutters Kollege Andreas Engert das konstruktive Potenzial gesellschaftlicher Konflikte. Der Professor für Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht an der Freien Universität forscht innerhalb der BUA-Grand-Challenge Social Cohesion zur Bedeutung des Rechts für die demokratische Gestaltung sozialen Zusammenhalts.

Konkret untersucht Andreas Engert, wie Manager haften, wenn sie Sorgfaltspflichten verletzen und – damit ihren Unternehmen schaden. „Je mehr solcher Fälle vor Gerichten verhandelt werden, desto mehr kann der Eindruck von systemischem Fehlverhalten der Entscheidungsträger entstehen“, argumentiert der Forscher. Er verweist darauf, dass Gerichten stets einzelne Fälle verhandelten, die oft komplex und nicht zweifelsfrei zu klären seien und auch nicht unbedingt auf gesellschaftliche Missstände schließen ließen.

„Angesichts solcher Grenzen von Rechtsprechung glaube ich insgesamt weniger an die integrative Kraft von Konfliktaustragung als viele meiner sozialwissenschaftlichen Kolleginnen und Kollegen“, bilanziert Andreas Engert. Der Rechtsökonom sieht in der interdisziplinären Zusammenarbeit in der Grand Challenge Social die Chance „auf einen fruchtbaren Streit über das optimale Ausmaß an Konfliktaustragung für eine Gesellschaft“.

Erwartungen an Rechtsprechung sollten insgesamt realistischer werden

Die Managerhaftpflicht in ihrer derzeitigen Form indes hält Engert für wenig geeignet, um Unternehmenslenker zur Verantwortung zu ziehen und das Vertrauen in Rechtsstaat, Demokratie und schlussendlich sozialen Zusammenhalt zu stärken. Denn Unternehmen seien zwar verpflichtet, Manager in Haftung zu nehmen, schlössen allerdings Haftpflichtversicherungen für sie ab, hebt Andreas Engert hervor. „Befürworter solcher Policen argumentieren: Unternehmen werden Vorwürfe von Fehlverhalten eher vor Gericht bringen, wenn sie auf diese Weise eine solvente Versicherung in Anspruch nehmen können“, referiert Andreas Engert – und widerspricht auf Basis von Versicherungsdaten, die er auswertet: „Managerhaftpflichtfälle sind komplex, und deshalb vergleichen sich die Anwälte von Unternehmen und Managern meist außergerichtlich. Richter und Öffentlichkeit denken dann mitunter: Die Gesetze sind nicht streng genug“, sagt der der Wissenschaftler.

„Mit meiner Forschung möchte ich auch dazu beitragen, dass die Erwartungen an Rechtsprechung insgesamt realistischer werden.“ Unmut über Fehlverhalten von Managern, so findet der Rechtsökonom, ließe sich schwerlich vor Gerichten ausräumen. „Auf diese Weise können Gerichte keinen sozialen Zusammenhalt herstellen.“

Weitere Informationen

Weitere Informationen zur Themenwoche Social Cohesion.