Springe direkt zu Inhalt

„Rassismus ist kein Problem bestimmter Bevölkerungsschichten“

Karim Fereidooni von der Ruhr-Universität Bochum sprach an der Freien Universität über antimuslimischen Rassismus

21.05.2024

Forscht zu Rassismus in pädagogischen Institutionen: der Bochumer Didaktikprofessor Karim Fereidooni zu Gast an der Freien Universität

Forscht zu Rassismus in pädagogischen Institutionen: der Bochumer Didaktikprofessor Karim Fereidooni zu Gast an der Freien Universität
Bildquelle: Sören Maahs

Was ist antimuslimischer Rassismus? Der Fachdidaktiker Karim Fereidooni von der Ruhr-Universität Bochum gab in einem Gastvortrag an der Freien Universität einen Einblick in die aktuelle Forschung. Die Zahlen zeichnen dabei ein mitunter besorgniserregendes Bild der deutschen Gesellschaft.

Rassismus hat viele Gesichter. Es gibt klassischen Rassismus, der eine Einteilung der Menschheit in biologische „Rassen“ behauptet. Und es gibt den – heute stärker verbreiteten – sogenannten „Kulturrassismus“. Statt pseudobiologischer Theorie wird dort die Höher- oder Minderwertigkeit von verschiedenen Kulturen oder eine vermeintliche Unvereinbarkeit behauptet. Beide Formen des Rassismus können sich offen, voller Hass und Gewalt zeigen. Aber auch ganz subtil, vielleicht kaum merklich, im Alltag. „Rassismus fängt nicht mit einem Molotow-Cocktail an einer Hauswand an“, sagt Karim Fereidooni. „Es kann eine flüchtige Bemerkung sein, ein schlechter Witz oder ein Hauch von Skepsis.“

Karim Fereidooni ist Professor für Didaktik der sozialwissenschaftlichen Bildung an der Ruhr-Universität Bochum und einer der prominentesten deutschsprachigen Wissenschaftler im Bereich Rassismuskritik, Diversitätssensibilität und politische Bildung in der Migrationsgesellschaft. Auf Einladung der Stabsstelle Diversity und Antidiskriminierung der Freien Universität Berlin kam er im Mai für eine Vorlesung zum Thema Antimuslimischer Rassismus in der Gesellschaft nach Dahlem. Auf einer breiten Datengrundlage zeigte er, dass Rassismus in Deutschland weit verbreitet ist – und Betroffene es nach wie vor oft schwer haben, mit ihren Anliegen Gehör zu finden.

Die Intention ist egal – es geht um die Wirkung

„Wir unterscheiden in der Forschung zwischen primären und sekundären Rassismus-Erfahrungen“, sagt Fereidooni. Eine primäre Erfahrung sei eine direkte Diskriminierung, etwa eine Beleidigung im Supermarkt. Eine sekundäre Erfahrung betreffe die Art und Weise, wie Menschen im Umfeld anschließend mit derartigen Vorfällen umgehen. „Wenn ich etwa meinem Arbeitskollegen später von dieser Beleidigung erzähle, und der mir entgegnet, dass ich überreagiere oder etwas falsch verstanden habe“, sagt Fereidooni, „dann ist eben dies sekundärer Rassismus.“

Frage und Antwort im Hörsaal: Rebecca Mak, kommissarische Leiterin der Stabsstelle Diversity und Antidiskriminierung, am Mikrofon

Frage und Antwort im Hörsaal: Rebecca Mak, kommissarische Leiterin der Stabsstelle Diversity und Antidiskriminierung, am Mikrofon
Bildquelle: Sören Maahs

Es gelte zu verstehen, dass rassistisches Denken tief in unserer Gesellschaft verankert sei – und alle Menschen aufgefordert seien, sich damit auseinanderzusetzen. „Rassismus ist kein Problem bestimmter Bevölkerungsschichten“, sagt Fereidooni, „sondern eine gesamtgesellschaftliche Tatsache.“ Bei rassistischen Aussagen komme es nicht auf die dahinterliegende Absicht an. „Wenn ich jemandem aus Versehen auf den Fuß steige, tut es der anderen Person trotzdem weh“, sagt Fereidooni. „So ist es auch, wenn jemand einen rassistischen Witz macht und es ‚nicht böse meint‘.“

Die Zahlen, die Fereidooni in seinem Vortrag zitiert, zeichnen ein besorgniserregendes Bild der deutschen Gesellschaft. Laut aktuellen Umfragen ist fast die Hälfte aller Menschen in Deutschland (49 Prozent) der Meinung, dass es verschiedene menschliche Rassen gibt – obwohl dies jeglicher wissenschaftlichen Grundlage entbehrt. Fast ein Drittel (27 Prozent) bejahen die Aussage, dass „dass bestimmte Kulturen viel besser [seien] als andere.“

In seinem Vortrag thematisierte Fereidooni vielfältige Formen des Rassismus. Im Besonderen ging er dabei auf sogenannten antimuslimischen Rassismus ein. „Muslimfeindlichkeit bedeutet, dass muslimische Menschen – oder Menschen, die als Muslime wahrgenommen werden – pauschal mit rückständigen oder bedrohlichen Eigenschaften belegt werden“, sagt er.

Muslimfeindlichkeit in Deutschland weit verbreitet

Derartige Vorstellungen würden sich aus einem jahrhundertealten Verständnis des „Orients“ oder der islamischen Welt als Gegenbild und Bedrohung der westlichen Welt speisen. So hätten in aktuellen repräsentativen Umfragen 46 Prozent der Bevölkerung den „Eindruck, dass unter den in Deutschland lebenden Muslimen viele Fanatiker sind“, erläutert der Professor für Didaktik der sozialwissenschaftlichen Bildung. Rund ein Drittel fordere Einschränkungen in der islamischen Glaubensausübung in Deutschland.

In einer Umfrage mit rund 470 in Deutschland lebenden Musliminnen und Muslimen, berichteten rund 60 Prozent der 18- bis 35-Jährigen von teilweise regelmäßigen Diskrimierungserfahrungen. Obwohl sich der Großteil der Muslime in Deutschland zugehörig und wohl fühlt, lösten antimuslimische Erfahrungen bei jedem Zweiten Auswanderungsgedanken aus. Rund ein Drittel der Befragten gab an, nach diskriminierenden Erfahrungen Hilfe gesucht zu haben – aber nicht fündig geworden zu sein.

„Der Staat muss den Schutz von Musliminnen und Muslimen im gesamten öffentlichen Raum umfassend gewährleisten“, sagt Fereidooni. Seine Empfehlung: „Dazu sollte unter anderem ein Sachverständigenrat aufgestellt und die Stelle eines Bundesbeauftragten für die Bekämpfung von Muslimfeindlichkeit geschaffen werden.“